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Die Koalition, der Datenschutz und Schumpeter

Die Koalition, der Datenschutz und Schumpeter

Mit dem neuen Koalitionsvertrag nimmt die politische Debatte um den Datenschutz erneut Fahrt auf. Immer wieder wird behauptet, strenge Vorgaben behinderten Innovation und wirtschaftliches Wachstum. Doch dieses Narrativ greift zu kurz – und verschleiert, woran es wirklich hapert, wenn es um „Fortschritt und Digitalisierung“ in Deutschland geht. Ein Kommentar.

Was der Koalitionsvertrag vorsieht

Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung erkennt die Balance zwischen Vorgaben und Innovation teilweise an.

Einige der darin enthaltenen wichtigen Vorhaben:

  • Förderung von Innovation und Digitalisierung: Datenschutzregelungen sollen nicht blockieren, sondern gezielt ermöglichen – etwa durch innovationsfreundliche Standards und sichere Datenräume.
  • Vereinfachungen für Vereine und KMU: Gerade kleinere Akteure sollen durch angepasste Vorgaben entlastet werden. Das bedeutet: weniger Bürokratie, ohne den Schutz der Betroffenen aufzugeben.
  • Reform der Datenschutzaufsicht: Die Bündelung beim Bundesdatenschutzbeauftragten kann zu mehr Einheitlichkeit und effizienterer Beratung führen.
  • Digitale staatliche Leistungen vereinfachen: Die Umstellung auf Widerspruchslösungen statt komplizierter Einwilligungen ist ein sinnvoller Schritt für mehr Bürgerfreundlichkeit.

Die wahren Wachstumsbremsen: Investitionsstau und politische Lähmung

Immer wieder wird der Datenschutz als vermeintliche Ursache für das Hinterherhinken Deutschlands bei digitalen Geschäftsmodellen genannt. Doch Beispiele wie StudiVZ zeigen: Es war nicht der Datenschutz, der in diesem Fall das Scheitern verursachte, sondern das Fehlen von langfristigem Risikokapital und Skalierungsstrategien.

Die eigentliche Wachstumsbremse liegt nicht in Brüssel oder beim BfDI, sondern in jahrelang verschleppter Investitionspolitik. Ohne ausreichende Investitionen gibt es keine nachhaltige Innovation. Punkt. Die Produktivität leidet, wenn Infrastruktur veraltet ist, Bildungseinrichtungen zurückfallen und Unternehmen keine Anreize zum Forschen und Entwickeln haben.

Ein Blick auf die Zahlen:

  • In China beträgt die Investitionsquote rund 45 % des BIP – in Deutschland liegt sie bei nur 1,6 %.
  • Die Produktivität in Deutschland sank 2023 um 0,6 %, obwohl sie eigentlich um 1,7 % steigen sollte – laut Prognosen, die auf Investitionen setzten.
  • Die Investitionstätigkeit stagniert hierzulande seit Jahren – ein dramatischer Standortnachteil im internationalen Wettbewerb.

Schumpeter: Innovation als Prozess kreativer Zerstörung

Um zu verstehen, warum nicht der Datenschutz, sondern andere Faktoren entscheidend für wirtschaftlichen Fortschritt sind, lohnt sich ein Blick in die Wirtschaftstheorie – insbesondere auf die Gedanken von Joseph Schumpeter, einem der einflussreichsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts.

Schumpeter betrachtet wirtschaftliche Entwicklung nicht als einen linearen Prozess oder eine bloße Verbesserung des Bestehenden. Für ihn ist Wirtschaft ein ständiger Wandel, getrieben durch Unternehmerinnen und Unternehmer, die bereit sind, neue Wege zu gehen:

„Innovation ist nicht das Ergebnis von Routine oder Optimierung – sondern das Resultat von Neuerfindung, von radikalen Umbrüchen und dem Mut zur Veränderung.“

Diese Innovationen entstehen, wenn bestehende Elemente – Kapital, Arbeit, Technologien – neu kombiniert werden. Dabei können völlig neue Produkte, Dienstleistungen, Geschäftsmodelle entstehen. Wer diese Pionierleistung erbringt, verschafft sich einen temporären Vorsprung, der es ermöglicht, sich im Markt zu behaupten: durch Effizienz, durch Attraktivität, durch disruptive Kraft. Das Neue verdrängt das Alte – ein Prozess, den Schumpeter als „schöpferische Zerstörung“ bezeichnet.

Dieser Mechanismus setzt eine Kettenreaktion in Gang: Die Konkurrenz ist gezwungen, nachzuziehen, zu imitieren, selbst innovativ zu werden, um nicht abgehängt zu werden. Erneuerung wird zur Notwendigkeit. In dieser Dynamik besteht laut Schumpeter der eigentliche Motor wirtschaftlicher Entwicklung – nicht in statischem Wettbewerb um Kosten oder marginale Verbesserungen.

Wirtschaft ist für Schumpeter kein Zustand des Gleichgewichts, wie es in der neoklassischen Theorie angenommen wird. Auch sogenannte „dynamische Gleichgewichte“ seien Illusionen. Vielmehr handelt es sich um einen dauerhaften Transformationsprozess, in dem jede Innovation neue Impulse und Folgeinnovationen hervorbringt. Fortschritt ist nicht von außen steuerbar, sondern ein Prozess, der aus dem System selbst heraus entsteht.

Wirtschaft ist demnach kein Zustand, sondern ein Prozess. Es braucht Störungen, Impulse, Investitionen, mutige Unternehmer – nicht bloß mehr „Freiheit von Regeln“. Schumpeter macht deutlich: Der zentrale Treiber von Innovation ist nicht das Fehlen von Vorschriften, sondern die Fähigkeit, produktive Erneuerung zu gestalten und institutionell zu begleiten.

Produktivität und Digitalisierung brauchen aktive Wirtschaftspolitik

Die digitale Transformation gelingt nicht allein durch das Reduzieren von Standards oder das Abschwächen des Datenschutzes. Erfolgreiche Digitalisierung erfordert zunächst Bewegung – also Investitionen, mutige unternehmerische Entscheidungen und eine aktive politische Unterstützung von Innovationen. Sie braucht einen fahrenden Zug, den man umlenken kann – nicht einen geparkten Waggon, bei dem man die Bremse löst und hofft, er rolle von selbst los.

Statt also den Datenschutz zum Sündenbock zu machen, braucht es eine ehrliche Debatte über die tatsächlichen Wachstumshemmnisse. Denn es greift zu kurz, immer wieder auf die Datenschutz-Grundverordnung zu zeigen, wenn es mit der Digitalisierung in Deutschland nicht vorangeht. Die Probleme liegen tiefer – strukturell, nicht rechtlich.

Man kann nur hoffen, dass die neue Koalition mehr Schumpeter liest – und nicht glaubt, dass durch Lockerung des Datenschutzes plötzlich Digitalunternehmen aus dem Boden schießen.


Dieser Beitrag ist ein Kommentar und spiegelt die persönliche Meinung der Autorin / des Autors wider. Diese muss nicht mit der Meinung des Herausgebers oder seiner Mitarbeitenden übereinstimmen.

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    • Ein in meinen Augen sehr guter Kommentar! Man braucht halt immer einen der Schuld ist, wenn etwas nicht funktioniert. Da bietet sich der Datenschutz gut an, kostet nur und bringt nichts (im Sinne von produktiven Output). Außer man kann mit Daten Geld verdienen, stört er natürlich ganz gewaltig. Wenn es allerdings um unsere Herrn Politiker selber geht, dann ist der Datenschutz plötzlich gaaanz wichtig.

      Ich finde es immer wieder erschreckend, wenn Politiker und sog. „Experten“ öffentlich und ohne Widerspruch behaupten Deutschland habe das strengste Datenschutzgesetz. Ich dachte immer die DSGVO gilt in ganz Europa. Aber wahrscheinlich ist das Thema zu komplex und ich habe es nicht verstanden.

      Ich habe ein wenig Angst vor dem, was noch alles auf uns zukommt: ePA, Bürger ID, digitaler Euro, Vermögenserfassung durch die EU, …Da wird in meinen Augen Datenschutz eher immer wichtiger!

    • Der Beitrag wiederspiegelt sehr gut unsere aktuelle politische Lage und leider auch den Zustand unserer Republick. Innovation muss gefördert werden und nicht Schuldige gesucht werden. Der europäische Datenschutz schützt Bürger und Verbraucher. Wenn er praxisnah angewendet wird, fördert er schlanke, effektive Prozesse und hilft den Unternehmen wettbewerbsfähig zu sein. Wer etwas anderes behauptet, hat sich vermutlich noch nie mit der DSGVO und ihren Möglichkeiten der Auslegung und Interpretation auseinander gesetzt.

    • Ich kann ebenfalls nur uneingeschränkt zustimmen! Danke für die Stellungnahme!
      Aber leider geht offenbar auch die Diskussion in den Berufsverbänden der Datenschützer nicht (oder nicht ausreichend deutlich) in die von Ihnen aufgezeigte Richtung. Natürlich ist zu viel Bürokratie schädlich! Aber ich finde man sollte schon in Frage stellen, ob es wirklich der Schutz der informationellen Selbstbestimmung ist, der Bürokratie erhöht, und inwieweit nicht Bürokratie auch einfach für Rechtssicherheit sorgt. Auch dafür lohnt sich gerade der Blick über den Atlantik

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