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Akustische Zeitreise mit Kopfhörern und der Gruselfaktor

Akustische Zeitreise mit Kopfhörern und der Gruselfaktor

Mich faszinieren neue technische Konzepte. Aber bei einigen Ideen überläuft mich ein Schauer, weil sehr private Daten in einem nie gekannten Ausmaß verarbeitet werden. Eine solche Idee ist ein neuartiges Kopfhörerkonzept, dass eine akustische Zeitreise in die eigene Vergangenheit erlauben soll. Technisch wohl möglich, aber gruselig.

Sound Innovation

Wie unter anderem Wired berichtet, haben Yamaha und Fujitsu ein neues Konzept namens „Sound Innovation“ vorgestellt. Kabellose Ohrstecker, die mit einem integrierten GPS-System, Bluetooth und einem Mikrofon ausgestattet sind, sollen Umgebungsgeräusche aufzeichnen und mit den GPS-Daten verknüpfen. Soweit noch nicht wirklich spannend – bietet ja eigentlich jedes Smartphone.

Das Schaudern beginnt jetzt: Es ist nicht etwa der Nutzer, der eine Aufnahme startet. Das System soll über Beginn und Ende offenbar selbst „entscheiden“. Außerdem ist Sound Innovation wohl auch in der Lage, Geräusche zu identifizieren. Wenn beispielsweise Straßenlärm und ein Straßenmusiker zu hören sind, soll sich das System automatisch auf den Straßenmusiker fokussieren.

Natürlich wird alles in der Cloud gespeichert und dort von künstlicher Intelligenz verarbeitet.

„Emotionaler Dienst“ durch „Reise in die Vergangenheit“

Der Clou des ganzen Systems ist der beabsichtigte Zweck. Sound Innovation soll dem Nutzer eine „Reise in die Vergangenheit“ ermöglichen. Alle Aufnahmen werden mittels Geotagging einem bestimmten Standort zugeordnet. Wenn ein Nutzer Jahre später nochmals den gleichen Ort aufsucht, soll ihm das System automatisch die Aufnahme vom vorherigen Besuch vorspielen. Die Entwickler bezeichnen die Reise in die Vergangenheit als „emotionalen Dienst“.

Im Rahmen des Konzepts wird offenbar auch erwogen, die Aufzeichnungen nicht nur dem Nutzer zur Verfügung zu stellen, der diese gemacht hat. Vielmehr gibt es Überlegungen, die Aufnahmen automatisch auf einer für jedermann zugänglichen Plattform zu veröffentlichen.

Konzept rechtlich überhaupt umsetzbar?

Wired berichtet, dass bei dem Konzept noch eine Reihe von rechtlichen Fragen zu klären sind. Und das zu Recht: Es ist für mich nicht erkennbar, wie ein solches Konzept mit der deutschen Rechtslage in Einklang zu bringen ist.

Der größte „Stolperstein“ wird hier § 201 StGB sein, der die Vertraulichkeit des Wortes schützt. Bereits jede Aufnahme eines nicht-öffentlich gesprochenen Wortes wird mit Freiheitsstrafe von bis zu 3 Jahren oder einer Geldstrafe bestraft. Der bloße Umstand, dass ein Gespräch z.B. auf der Straße geführt wird, führt dabei nicht etwa dazu, dass es sich um ein „öffentlich gesprochenes Wort“ handelt. „Öffentlich“ bedeutet vielmehr, dass sich der Sprecher bewusst an die Allgemeinheit gewendet hat oder aber jedenfalls den Umständen nach damit rechnen musste, dass Andere die Äußerung wahrnehmen. Dies ist dann etwa der Fall, wenn sich jemand lautstark im Beisein von vielen Menschen äußert.

Tatsächlich finden aber viele Gespräche in der Öffentlichkeit so statt, dass von einem „nicht-öffentlichen Wort“ ausgegangen werden muss. Etwa wenn ich mich leise oder jedenfalls in einem Tonfall bei dem ich davon ausgehen kann, dass ein Dritter sich sehr anstrengen müsste, um mich zu verstehen, mit meinem Gesprächspartner in einem Restaurant oder U-Bahnstation unterhalte. Sound Innovation würde alle diese Gespräche heimlich aufzeichnen bzw. es scheint unmöglich dies technisch zu verhindern.

Abgesehen von § 201 StGB sind aber auch eine Reihe von datenschutzrechtlichen Verstößen möglich. Zunächst ist es zwar so, dass das BDSG aber auch die DSGVO nur anwendbar sind, wenn es sich nicht nur um private Datenverarbeitungen handelt. Ein Verstoß durch den Nutzer selbst ist daher eher ausgeschlossen. Wenn jedoch die Daten auf einer öffentlichen Plattform publik gemacht werden sollen, sieht die Rechtslage für den Betreiber einer solchen Plattform schon wieder ganz anders aus. Der Betreiber wird sich an die Vorgaben des BDSG und der DSGVO halten müssen.

Zudem sind Verstöße gegen § 90 TKG, wie etwa kürzlich beim Fall der Spielzeugpuppe Cayla, oder auch gegen das Urheberrecht sowie Persönlichkeitsrechte nicht fernliegend.

„Schönste Ankündigung für die Zukunft“

Abgesehen von juristischen Bedenken überwiegt hier mein Schauerfaktor eindeutig. Das fängt schon damit an, dass ich es gruselig finde, ein Gerät mitzuführen, welches – sogar ohne mein Wissen – jederzeit all das aufnehmen kann, was ansonsten nur ich hören würde. Ich bin eigentlich ganz dankbar für die Filter, die mein Gehirn automatisch verwendet, um der Informationsflut Herr zu werden. Der Gedanke an eine Speicherung in der Cloud und die „Unterstützung“ durch KI macht mein Unbehagen nicht besser. Die Daten sind deutlich umfangreicher als die Informationen, die ohnehin in soziale Netzwerke gepostet werden. Über die Möglichkeit, den Kopfhörer oder die Datenbank zu hacken und mein Ohr mit einem Dritten zu teilen, will ich hier gar nicht erst reden.

Die schönste Ankündigung für die Zukunft dieser Technologie will ich aber dem geneigten Leser nicht vorenthalten. In einer nächsten Ausbaustufe soll die jeweilige Stimmung des Trägers erkannt werden, um beispielsweise passende Musik abzuspielen. Ich gebe mal einen Tipp ab: Auch diese Information wird dann natürlich in der Cloud gespeichert und eine KI wird sich ausgiebig mit meiner Stimmung befassen. Wem hier nun nicht auch endgültig gruselig wird, dem kann ein großes Technikvertrauen attestiert werden.

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  • „Das fängt schon damit an, dass ich es gruselig finde, ein Gerät mitzuführen, welches – sogar ohne mein Wissen – jederzeit all das aufnehmen kann, was ansonsten nur ich hören würde.“ Sie haben bereits akzeptiert mit dem Handy ein Gerät mit sich zu führen, welches jederzeit Ihren Aufenthaltsort preisgeben kann sowie regelmäßig Dritten ermöglicht Ihnen ein Gesprächsangebot zu unterbreiten. Insofern werden Sie auch weitere Eingriffe in Ihre Privatsphäre bereitwillig zulassen, wenn Sie andernfalls auf den Gegenwert in Form jederzeitiger ausgehender Kommunikationsbereitschaft verzichten müssten.

    • Sie haben im Grundsatz vollkommen recht. Auch ich – wie die allermeisten Zeitgenossen – akzeptiere bereits in einem erheblichen Maß Eingriffe in meine Privatsphäre. Wenig überzeugt mich in diesem Zusammenhang aber eine „Alles-oder-Nichts“–Argumentation. Ich persönlich sehe doch einen erheblichen Unterschied zwischen der Preisgabe meines Standortes und der Preisgabe meines Standortes plus aller Umgebungsgeräusche. Wenn ich also einen im Verhältnis geringeren Eingriff gestatte, folgt daraus nicht zwangsläufig das ich auch den weitergehenden Eingriff zulassen muss oder will.

      • Genau der von Ihnen angesprochene „Alles-oder-Nichts“-Aspekt kommt in der Praxis zum Tragen: Nur ein Smartphone bewahrt Sie heutzutage davor auf steinzeitliche Utensilien wie Landkarten oder gedruckte Fahrpläne zurückgreifen zu müssen. Bei diesem können Sie nicht sicher sein, ob Ihnen Geräte- & Serviceprovider tatsächlich die gewünschte „Do not track/remember/listen-Option auch tatsächlich angedeihen lässt. Mit einem Basishandy wollen Sie vielleicht doch nicht arbeiten.

        • Ich würde hier doch ein wenig differenzieren. Es ist selbstverständlich möglich den Aufenthaltsort über das Smartphone zu tracken. Ich bin mir aber relativ sicher, dass diese Daten bei Telekommunikationsanbietern sorgfältig behandelt werden. Das hier einschlägige Telekommunikationsgesetz weist strenge Regelungen bzgl. dieser Daten auf und die Konsequenzen eines Verstoßes wären erheblich.

          Der Geräteanbieter selbst unterliegt diesen strengen Regelungen nicht. Gleichwohl würde ich nicht daraus schließen, dass dieser ein Tracking ohne das Einverständnis des Betroffenen durchführt. Neben auch hier bestehenden datenschutzrechtlichen Regelungen ist es doch so, dass ein heimliches Tracking jedenfalls mittlerweile zu einem erheblichen Imageschaden führen würde (siehe z.B. Uber in den USA), den sicherlich jeder Anbieter vermeiden will.

          Problematisch sind aus meiner Sicht die vielen Angebote, die auf einer Einwilligung des Betroffenen beruhen. Datenschutzrechtlich kann die Einwilligung durchaus eine Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung sein. Das größte Problem ist aus meiner Sicht, dass den Betroffenen häufig nicht bewusst ist, welche Konsequenzen bzw. welche Eingriffsintensität ihre Einwilligung hat.

          Der „Gruselfaktor“ ist aus meiner Sicht daher nicht das Schlechteste um sich das bewusst zu machen.

        • Im übrigen gibt es im Bereich Navigation durchaus Alternativen zu einem Smartphone, einem gedruckten Atlas und der papierhaften Landkarte. Ein klassisches rein empfangendes Navigationsgerät für das Auto und/oder ein GPS-Empfänger für Wald und Wiese sind sehr dienlich und unterstützen mich tadellos ohne personenbezogene Daten zu sammeln und zu versenden.

  • Danke für diesen Beitrag. Mich gruselt es schon lange hinsichtlich der technischen „Spielereien“ die immer stärker Einzug in unseren privaten Alltag finden und von denen die Hersteller behaupten dass sie uns unser Leben so viel angenehmer und Lebenswerter machen (sollen). Ich meine von mir behaupten zu können mich dem zwar nicht vollständig, aber zumindest größtenteils Entzogen zu haben. Traurigerweise wird man dadurch auch des Öfteren von seinen Menschen als „Rückständig“ tituliert. Dass es mir hier um den Schutz meiner Informationen und meiner Privatsphäre geht wird nur selten als valides Argument akzeptiert. Ich muss den Firmen die derartige Produkte auf den Markt bringen ein gewisses Maß an Respekt zollen… Nie hätte ich es mir denken können dass sich Menschen die Totalüberwachung durch Firmen und Konzerne, freiwillig ins Haus holen und auch noch dafür bereitwillig viel Geld bezahlen. Das muss man erst mal hinbekommen. Diese Unternehmen haben großartige Marketingabteilungen/-Agenturen.

    George Orwell würde wahrscheinlich in seinem Grab rotieren wenn er wüsste, dass seine dystropische Zukunftsvision in seinem Buch 1984 in vielen Bereichen bereits Realität wurde… und dass sich die Menschen höchst freiwillig dazu entschieden haben.

    Ich bin da doch lieber Rückständig.

    Danke für den Artikel, der mich in meinem Lebensstil bestätigt.

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