Die Videoüberwachung ist wegen ihres erheblichen Kontroll- und Einschüchterungspotentials eines der zentralen Probleme des Datenschutzes. Als der Discounter Lidl seine Mitarbeiter per Minikameras ausspähen ließ, hat das Anfang 2008 hohe Wellen geschlagen. Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit bleibt dagegen die weit verbreitete Praxis, Videokameras in psychiatrischen Kliniken einzusetzen.
Der Inhalt im Überblick
Rechtsgrundlage
Nach § 4 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) ist die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten nur zulässig, soweit das Bundesdatenschutzgesetz oder eine andere Rechtsvorschrift dies erlaubt oder der Betroffene eingewilligt hat.
Wer aufgrund akuter Eigen- oder Fremdgefährdung in die geschlossene Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses zwangsweise eingewiesen wird, kann nicht freiwillig in eine Videoüberwachung einwilligen. Das Merkmal der Freiwilligkeit ist aber auch nicht regelmäßig bei Patienten erfüllt, die sich in eine geschlossene Behandlung freiwillig begeben. Wenn die Aufnahme in die Klinik von der Einwilligung in eine Videoüberwachung abhängig gemacht wird, kann von Freiwilligkeit keine Rede sein. Außerdem stellt sich die Frage, inwieweit die Patienten überhaupt einwilligungsfähig sind. Insofern bedarf es einer gesetzlichen Grundlage für die Videoüberwachung.
Handelt es sich um Kliniken in privater Trägerschaft, ist die Rechtmäßigkeit der Videoüberwachung an den Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) zu messen. Bei öffentlich-rechtliche geführten Kliniken richtet sich die Rechtmäßigkeit nach dem Datenschutzgesetz des jeweiligen Landes, wobei ganz ähnliche Grundsätze gelten wie nach dem Bundesdatenschutzgesetz.
§ 6b BDSG enthält eine explizite Regelung für die Videoüberwachung, allerdings erfasst die Vorschrift nur öffentlich zugänglichen Räume wie etwa Bahnsteige, Ausstellungsräume eines Museums, Verkaufsräume oder Schalterhallen. Wie das Verwaltungsgericht Osnabrück festgestellt hat, wird mit dieser Vorschrift ausschließlich dem besonderen Schutzbedürfnis der Betroffenen gegenüber öffentlicher Videoüberwachung Rechnung getragen und nichts über die datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Videoüberwachung in nicht öffentlich zugänglichen Räumen ausgesagt.
Für Menschen mit psychischen Erkrankungen gelten in Deutschland spezielle Gesetze. So haben die einzelnen Bundesländer Gesetze über den „Schutz“ oder „Hilfen“ für psychisch kranke Menschen erlassen, zum Beispiel in Bayern das Unterbringungsgesetz und in Nordrhein-Westfalen das „PsychKG“. Nur dieses Gesetz enthält eine explizite Regelung zur Videoüberwachung, nämlich ein generelles Verbot.
Gesetzliches Verbot in Nordrhein-Westfalen
2009 genehmigte der nordrhein-westfälische Sozialminister per Erlass die Videoüberwachung psychisch Kranker, um das Personal in den geschlossenen Abteilungen zu entlasten. Obwohl gerade die einzelnen Zimmer der Patienten überwacht wurden, hat man den Erlass auf § 6b BDSG gestützt. Klinikmitarbeiter könnten die Zimmer ohne Einverständnis der Patienten betreten, sodass es sich um öffentlichen Raum handele.
Der Erlass löste eine politische Kontroverse und heftige Proteste von Betroffenenverbänden aus. Daraufhin wurde im November 2011 eine neue Bestimmung in § 20 PSychKG-NRW aufgenommen (Abs. 2):
„Eine Beobachtung durch Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen sowie zum Abhören und Aufzeichnen des gesprochenen Wortes ist verboten.“
Videoüberwachung haftungsrechtlich nicht geboten
Psychiatrische Kliniken sind auch nicht aus haftungsrechtlichen Gründen gehalten, Patienten in geschlossenen Abteilungen mit Videokameras zu überwachen, wie der folgende Fall belegt: Nachdem sich ein junger Mann mit einem Messer gefährliche Verletzungen zugefügt hatte, wurde er wegen des Verdachts auf psychotische Störungen in ein Intensivzimmer auf der geschlossen geführten Station eines Osnabrücker Klinikums aufgenommen. Er wurde mit Medikamenten behandelt und verhielt sich an den folgenden Tagen unauffällig. Bei einem Toilettengang verletzte er sich nach einem raptus-artigen Impuls die Augen so schwer, dass er erblindete.
Eine Klage des Patienten auf Schadensersatz wegen Verletzung von Aufsichtspflichten wurde vom OLG Oldenburg in letzter Instanz abgelehnt, weil bei Patienten mit dem geschilderten Befund während eines Toilettengang nicht stets eine Begleitung oder Videoüberwachung erforderlich ist. Das OLG führte zur Begründung aus:
„Derart einschneidende Maßnahmen wie eine Begleitung zu den Toilettengängen seien in Abwägung des dadurch zu erwartenden Nutzens für den Patienten nicht angezeigt gewesen. Eine Videoüberwachung erscheine gerade auf einer psychiatrischen Akutstation nicht sinnvoll.“
Videoüberwachung weder erforderlich noch verhältnismäßig
Übergreifende Anforderungen an alle Maßnahmen, die den Datenschutz betreffen, sind deren Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit. Es darf kein milderes Mittel zur Erreichung des angestrebten Zwecks geben, welches das informationelle Selbstbestimmungsrecht weniger beeinträchtigt, und die Maßnahme darf nicht außer Verhältnis zu dem Zweck stehen.
Nach Auffassung vieler Experten ist die Videoüberwachung nicht nur ungeeignet, den angestrebten Zweck zu erreichen, sondern geradezu kontraproduktiv. Menschen, die stationärer psychiatrischer Behandlungen bedürfen, erleben schwere und akute Krisen und Verstörungen in Bezug auf die eigene Person und andere Menschen. Zu den häufigen Symptomen gehören Bedrohungsgefühle, wahnhafte Verkennungen, Misstrauen und paranoide Ängste. Die Betroffenen brauchten Rahmenbedingungen und persönliche Zuwendung, die ihnen helfen, sich sicherer zu fühlen und Vertrauen wiederzugewinnen. Eine Videoüberwachung verstärke jedoch das Gefühl von Schutzlosigkeit und Ausgeliefertsein.
Über die medizinische Diskussion hat Morana Schütze eine Dissertation verfasst. Sehr instruktiv sind auch die Protokolle der öffentlichen Sitzung des Ausschuss für Arbeit, Gesundheit, Soziales und Integration im nordrhein-westfälischen Landtag.
Die gängige Praxis vieler psychiatrischer Krankenhäuser, fixierte und isolierte Patienten regelmäßig mit Videokameras zu überwachen, verstößt damit gegen elementare Grundsätze des Datenschutzrechtes.
Der beschriebenen Gratwanderung zwischen dem Recht des Patienten auf informationelle Selbstbestimmung und der Achtung seiner Menschenwürde auf der einen Seite sowie dem erforderlichen Schutz Dritter und des Patienten selbst auf der anderen wird nach Auffassung von Fachleuten eher die sog. Sitzwache gerecht. Gerade in Ausnahmesituationen sei persönliche Betreuung nötig, um sich jederzeit ein Bild von der Verfassung des fixierten Patienten machen zu können. Betreuendes Personal müsse permanent als Ansprechpartner und zum schnellen Eingreifen bei einer Gefährdung, etwa durch beabsichtigte oder unbeabsichtigte Strangulation, zur Verfügung stehen.
Rechtliche Grauzone
Eine explizite gesetzliche Regelung der Videoüberwachung gibt es nur in Nordrhein-Westfalen, nämlich ein generelles Verbot. In den übrigen Bundesländern könnte man die Zulässigkeit aus den allgemeinen Gefahrenabwehrnormen der Unterbringungsgesetze herleiten. Dann scheitert die Rechtmäßigkeit aber in den meisten Fällen an der fehlenden Erforderlichkeit oder Rechtmäßigkeit.
Die Beobachtung mittels optisch- elektronischer Einrichtungen ist zumindest in den Krankenzimmern nur in Ausnahmefällen erlaubt, zur Abwehr spezifischer Gefahren für Leib und Leben der Patienten oder Dritten oder zur Verhinderung von Straftaten von erheblicher Bedeutung. Die gezielte Videoüberwachung bedarf der ärztlichen Anordnung. Anlass, Anordnung, Umfang und Dauer der Maßnahme sind zu dokumentieren und den Betroffenen oder deren gesetzlichen Vertretung unverzüglich mitzuteilen.
Eine generelle Videoüberwachung von Patienten, die in geschlossenen Abteilungen untergebracht sind, ist daher datenschutzwidrig. Wer sich von datenschutzrechtlichen Bedenken nicht beeindrucken lässt, sei auf § 201a StGB verwiesen, der unter anderem auch für ärztliche Behandlungszimmer und besonders gesicherte Hafträumen in Justizvollzugsanstalten gilt:
„Wer von einer anderen Person, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet, unbefugt Bildaufnahmen herstellt oder überträgt und dadurch deren höchstpersönlichen Lebensbereich verletzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“
Gut wären konkrete Schrittanweisungen, wie als Zwangseingewiesene nun gegen die Klinik geklagt werden kann, sollte unrechtmässiges Bild- Video- und Tonmaterial angefertigt worden sein auf der Toilette, im Wachzimmer? Das Person behauptet ja einfach es sei keines angefertigt worden?
*Personal
Die Diagnose „geisteskrank“ ist entsprechend misslich um Rechtsbeistand zu erhalten. Und nun?
Gegen Unterbringungsbeschlüsse kann als Rechtsmittel die Beschwerde (§§ 58 bis 69 FamFG) binnen eines Monats eingelegt werden. Gegen eine Einstweilige Anordnung ist binnen 14 Tagen zu beschweren. Zur Beschwerde ist neben dem Betroffenen selbst noch der in § 329 FamFG bestimmte Personenkreis berechtigt (nahe Angehörige, Behörde, Heimleiter).
Ob mit diesem Rechtsmittel auch Einzelmaßnahmen des Vollzugs angegriffen werden können, müssten Sie mit einem Experten klären. Das gilt auch für die Erfolgsaussichten, die unter Umständen auch davon abhängen, in welchem Bundesland die Unterbringung angeordnet worden ist. Die sogenannte “öffentlich-rechtliche” zwangsweise Unterbringung und Zwangsbehandlung wird in Deutschland nämlich über Landesgesetze geregelt, die in den meisten Bundesländern “Psychisch Kranken Gesetze” (PsychKG), in drei Bundesländern “Unterbringungsgesetz” und in Hessen “Freiheitsentziehungsgesetz” genannt werden.
Soweit es keine spezialgesetzliche Regelung gibt, kommt es auf die Meinung der Experten an. Die Experten sind sich keineswegs einig, dass eine Videoüberwachung rechtswidrig ist. Das wäre für die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels ebenfalls zu beachten.