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Konflikt: Datenschutz vs. Pre-Trial Discovery Verfahren

Konflikt: Datenschutz vs. Pre-Trial Discovery Verfahren

Im Rahmen der Globalisierung kommt es öfters zu Konflikten der bestehenden Rechtssystem und der unterschiedlichen Ansichten im Datenschutz. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Europäische Datenschutz mit den umfassenden Offenlegungspflichten im Rahmen der vorprozessualen Beweiserhebung im angloamerikanischen zivilrechtlichen Pre-Trial Discovery Verfahren kollidiert.

Problemstellung

Grenzüberschreitenden Gerichtsverfahren haben gerade in der heutigen Zeit an Bedeutung gewonnen. Die obige Problematik kann beispielsweise entstehen, wenn ein Unternehmen eine Tochtergesellschaft oder eine Niederlassung in den Vereinigten Staaten von Amerika hat. Unternehmen müssen sich dann teilweise den prozessualen Gepflogenheiten der USA unterwerfen und infolge dessen Unterlagen und Materialen (auch elektronisch gespeicherte Daten) den Behörden und den Gegenparteien vorlegen. Mit umfasst sind dabei naturgemäß auch personenbezogene Daten. Gerade im Bereich von internationalen Großkonzernen, können auch deutsche Unternehmen zur umfassenden Offenlegung verpflichtet werden (sog. long-arm jurisdiction).

Grundproblem ist dabei der Ursprung des Datenschutzes in den unterschiedlichen Rechtsordnungen. In den Vereinigten Staaten wird Datenschutz als von der Rechtsprechung entwickeltes Recht gesehen wird; wohingegen Datenschutz in kontinental Europa als Grundrecht verstanden wird.

Pre-Trial Discovery Verfahren

Auf der einen Seite stehen die prozessualen Besonderheiten im angloamerikanischen Zivilprozessrecht, das sich teilweise wesentlich von dem unseren in Deutschland unterscheidet.

Bezeichnend ist dabei nicht nur das Jurysystem, sondern allen voran das sogenannte Pre-Trial Discovery Verfahren. Dabei handelt es sich grundsätzlich um die Ermittlung des Sachverhalts im Wege eines gerichtlichen Vorverfahrens der Parteien hinsichtlich des anhängigen Rechtsstreits, die unter Aufsicht des Gerichts steht. Das Pre-Trial Discovery Verfahren dient prinzipiell der vorprozessualen Beweisbeschaffung und der Sicherstellung des Zugangs der Parteien zu den Informationen.

Der discovery Prozess umfasst dabei:

  • Beweismaterial (d.h. Dokumente, bewegliche Sachen und elektronisch erfasste Daten, sog. requests),
  • Vorlage von schriftlichen Fragen (sog. interrogatories) zur Beantwortung durch die Partei und
  • die außergerichtliche Partei- und Zeugenvernehmung (deposition).

Erster Schritt nach Einreichung der Klage zur Sicherstellung der Beweismittel ist die sogenannte „written document retention and litigation hold notice“ gemäß Title V Section 26 der United States Federal Rules of Civil Procedure (FRCP) , auch bekannt als litigation hold. Der litigation hold wurde von der Rechtsprechung in Zubulake v. UBS Warburg LLC entwickelt und umfasst dabei auch alle elektronisch erfassten Daten – sog. e-discovery. Dies kann in der Praxis dazu führen, dass komplette Festplatten nicht nur nicht gelöscht, sondern auch nicht vernichtet werden dürfen (destruction hold).

“[O]nce a party reasonably anticipates litigation, it must suspend its routine document retention/destruction policy and put in place a ‚litigation hold‘ [also known as a legal hold] to ensure the preservation of relevant documents.“ Zubulake v. UBS Warburg LLC, 220 F.R.D. 212, 218 (S.D.N.Y. 2003)

Maßgeblich ist, dass die Parteien keinen Beibringungsgrundsatz, wie in Deutschland, kennen und so jegliche im discovery Prozess gewonnen Erkenntnisse verwenden können. Dieses System ist auch im Zivilprozessrecht des Vereinigten Königreichs nach Rule 31 der Zivilprozessordnung vorgesehen.

Auf Grund der Offenbarungspflicht der Parteien werden naturgemäß auch zahlreiche personenbezogene Daten freigegeben bzw. es besteht das Bedürfnis diese zu erhalten. Die meisten Unternehmen werden sich auf Grund der teilweise erheblichen Sanktionsmöglichkeiten der Gerichte (sog. doctrine of spoilation) auch kaum weigern Informationen herauszugeben, da ansonsten erhebliche Geldbußen verhängt oder gar eine Klageabweisung erlassen werden könnte. Auf Grund der teilweise sehr zeitintensiven Verfahren, kann dies jedoch dazu führen, dass personenbezogene Daten über Jahre oder gar Jahrzehnte gespeichert werden, obwohl dies nach dem Europäischen Gedanken nicht mehr erforderlich ist.

Datenschutz in der EU und Deutschland

Das Pre-Trial Discovery Verfahren ist den meisten Mitgliedstaaten der EU jedoch ein Mysterium und wird mit Blick auf die USA oftmals als „fishing expedition“ abgetan.

Gerade bei Datenschützern sträubt sich das Nackenhaar bei dem Gedanken, dass man keinerlei Möglichkeiten hat erfasste personenbezogene Daten zu löschen und die Pflicht hat alles offenzulegen. Viele kontinentaleuropäische Rechtsordnungen, wie in Deutschland, beschränken die Offenlegung von Beweismitteln auf die für den Prozess erforderlichen. Außerdem herrscht der Beibringungsgrundsatz vor, nachdem die Beibringung der Beweismittel Sache der Partei ist.

Eine „unbegrenzte“ Aufbewahrung im Sinne des litigation hold steht darüber hinaus im starken Widerspruch zur EU-Datenschutzrichtlinie Directive 95/46/EC oder dem BDSG, wonach Daten zu löschen sind, sobald die Speicherung für die Erfüllung des Zwecks der Speicherung nicht mehr erforderlich ist.

Leitfaden der Artikel-29-Datenschutzgruppe

Selbst in der EU wird eingeräumt, dass die an einem Rechtsstreit beteiligten Parteien ein legitimes Interesse am Zugang zu den erforderlichen Informationen haben, um Ansprüche geltend zu machen, sich zu verteidigen oder Ermittlungen durchführen zu können. Dennoch muss eine Offenlegung der Daten im angemessenen Verhältnis zu den Pflichten der Parteien und den Rechten der Personen, um deren Daten es geht, stehen.

Die Artikel-29-Datenschutzgruppe hat daher hierzu einen Leitfaden für die in der EU für die Datenverarbeitung Verantwortlichen aufgestellt, um den prozessualen Anforderungen eines grenzüberschreitenden zivilrechtlichen Verfahrens Geltung zu tragen.

Quintessenz dabei ist, dass in den Vereinigten Staaten eine Speicherung personenbezogener Daten für einen Rechtsstreit im Rahmen des Pre-Trial Discovery Verfahrens nicht als Verarbeitung angesehen wird, nach der Richtlinie 95/46/EG jedoch jede Aufbewahrung, Konservierung oder Archivierung von Daten für derartige Zwecke eine Verarbeitung darstellt. Die Artikel-29-Gruppe betrachtet Artikel 7 c) oder f der Richtlinie 95/46/EG als mögliche Rechtsgrundlage.

Hauptkriterien laut der Artikle-29-Gruppe sind:

  • Erforderlichkeit für die Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung/zur Verwirklichung eines berechtigten Interesses
  • Verhältnismäßigkeit (Artikel 6)
  • Transparenz (Artikel 10, 11) ggü. der betroffenen Person
  • Gewährleistung der Datensicherheit (Artikel 17)
  • Übermittlung in Drittländer (Artikel 25, 26 / Im deutschen Recht wäre damit § 4 c Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BDSG einschlägig.)

Handlungsempfehlung in der Praxis

Gerade im Rahmen der Globalisierung lassen sich grenzüberschreitende Zivilprozesse und der einhergehende Konflikt der unterschiedlichen Rechtsauffassungen nicht mehr verhindern. Sollten Sie also jemals mit einer Maßnahme im Rahmen eines Pre-Trial Discovery Verfahrens konfrontiert werden, sollten Sie Ihren Datenschutzbeauftragten zu Rate ziehen.

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  • Das ist mal ein sehr gut geschriebener Artikel! Pre-trial discovery hat so manche Tücken in der Praxis und spielt in internationalen Konzernen bestimmt öfters eine Rolle als man denkt.

  • Meiner Ansicht nach widerspricht das discovery Verfahren nach deutschem Zivilprozess-Recht dem Grundsatz des Verbotes eines Ausforschungsbeweises .Der grundsätzlich beweispflichtige Kläger kann sich nämlich auf diese Weise (Durchsicht der Unterlagen des Beklagten) Beweise beschaffen, die er sonst dem Gericht nicht vorlegen kann.

  • Frau Schmitt, respekt! Ein sehr guter Fachartikel, der einen tollen und kompetenten Überblick über die Problematik gibt. Als treuer Leser des Blogs würde ich mich freuen, wenn mehr internationale Themen bearbeitet werden würden. Haben Sie oder einer Ihrer Kollegen sich schon mal mit den Details (außer dem doch sehr oberflächlichen Blog der letzten Tage) bezüglich des US Cloud Acts und den Auswirkungen auf EU Standardvertragsklauseln, MSAs etc. beschäftigt? Der Eingriff der hierdurch möglich ist, ist ja doch erheblich und zahlreiche Länder beabsichtigen executive agreements mit den USA zu schließen – die ersten Entwürfe sind ja bereits bekannt. Können Sie hierzu eine Einblick geben?

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