Der Adresshandel stellt für Unternehmen und Werbetreibende ein wichtiges Marketing und Vertriebsinstrument dar, um Produkte und Dienstleistungen an potenzielle Kunden zu verkaufen. Zu diesem Zweck werden Postanschriften von Adresshändlern erworben, die solche personenbezogenen Daten aus öffentlich zugänglichen Quellen sammeln. Kann die Verarbeitung solcher Daten zum Zwecke der Direktwerbung auf ein berechtigtes Interesse nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO gestützt werden?
Der Inhalt im Überblick
Sachverhalt: Versand von Werbung per Lettershop-Verfahren
Mit dieser Frage hat sich das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart in einem Beschluss vom 2. Februar 2024 (Az. 2 U 63/22) auseinandergesetzt. Bei der im Verfahren Beklagten handelt es sich um ein auf den Adresshandel spezialisiertes Unternehmen, das die personenbezogenen Daten des Klägers von einem Schweizer Unternehmen erworben hatte. Im vorliegenden Fall wurde ein sogenanntes Lettershop-Verfahren eingesetzt, um die Werbung zu versenden. Somit stellte das werbetreibende Unternehmen lediglich die Inhalte des Werbeschreibens zur Verfügung und hatte keinen Einfluss auf die Mittel und die Auswahl der Empfänger, sodass es nicht als Verantwortlicher im Sinne von Art. 4 Nr. 7 DSGVO gesehen werden konnte. Für die Verarbeitung verantwortlich war somit nur der Adresshändler.
Im Mai 2021 bekam der Kläger Briefwerbung an seine Privatadresse, woraufhin er sein Auskunftsrecht geltend machte und die Löschung seiner personenbezogenen Daten verlangte. Obwohl die Beklagte fristgemäß auf die Betroffenenanfragen reagierte, erhob der Betroffene Klage gegen den Adresshändler. Er war der Auffassung, dass seine personenbezogenen Daten ohne eine entsprechende Rechtsgrundlage verarbeitet wurden, da er in die Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten nicht eingewilligt hatte. Mangels einer Kundenbeziehung mit der Beklagten könne nach seinem Verständnis die Direktwerbung nicht auf ein berechtigtes Interesse nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO gestützt werden. Zudem machte der Kläger einen immateriellen Schadenersatzanspruch gemäß Art. 82 DSGVO in Höhe von 3.000 Euro sowie vorgerichtliche Anwaltskosten geltend.
Ist eine Kundenbeziehung für Direktwerbung erforderlich?
Der Kläger argumentierte, dass das Versenden des Werbebriefs rechtswidrig sei, weil die damit verbundene Datenverarbeitung nicht erforderlich sei. Nach seiner Auffassung sei die Datenerhebung durch den Adresshändler auf einem öffentlich zugänglichen Adressverzeichnis auch rechtswidrig gewesen. Weiter behauptete der Kläger, dass der Versand von E-Mail-Werbung ein milderes Mittel darstelle und somit das Merkmal der Erforderlichkeit hier nicht gegeben sei.
Im Hinblick auf die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO heißt es in der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Niedersachsen vom 19. Januar 2021 (11 LA 16/20), dass unter dem Begriff der berechtigten Interessen alle rechtlichen, wirtschaftlichen oder immateriellen Interessen zu verstehen sind, die auch außerhalb oder im Vorfeld einer Kundenbeziehung liegen können. Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang allerdings Erwägungsgrund 47 S. 7 DSGVO, der Folgendes besagt:
„Die Verarbeitung personenbezogener Daten zum Zwecke der Direktwerbung kann als eine einem berechtigten Interesse dienende Verarbeitung betrachtet werden.“
Demgegenüber sah der Erwägungsgrund 50 des Entwurfs der Datenschutz-Grundverordnung vom 29. November 2011 (Version 56) Folgendes vor:
„Werden personenbezogene Daten zum Zwecke der Direktwerbung für nichtkommerzielle Zwecke verarbeitet, so sollte die betroffene Person das Recht haben, gegen eine solche Verarbeitung. Im Falle von Direktmarketing zu kommerziellen Zwecken sollte ein solches Marketing nur rechtmäßig sein, wenn die betroffene Person zuvor ihre Einwilligung gegeben hat. Die Einwilligung kann zurückgezogen werden.“
Während also Erwägungsgrund 50 die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten zum Zwecke der Direktwerbung für kommerzielle Zwecke von der Einwilligung der betroffenen Person abhängig machte, heißt es in Erwägungsgrund 47 S. 7 DSGVO, dass diese als eine dem berechtigten Interesse dienende Verarbeitung betrachtet werden kann.
Nach einer historischen Auslegung der Norm kann daher die Meinung der Einwilligungsnotwendigkeit nicht vertreten werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass dem europäischen Gesetzgeber diese Problematik durchaus bewusst war und er sich dagegen entschied, die Einwilligung der betroffenen Person für jegliche Verarbeitungen zum Zweck der Direktwerbung zu verlangen.
OLG Stuttgart: Adresshandel und Werbung können zulässig sein
Das Landgericht Stuttgart wies die Klage in erster Instanz mit der Begründung ab, dass die Versendung der Direktwerbung rechtmäßig im Sinne von Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO sei. Eine Übermittlung von geschäftlichen Informationen sei als berechtigtes Interesse im Sinne dieser Norm anerkannt. Das Bestehen einer Kundenbeziehung sei keine Voraussetzung.
Im Berufungsverfahren stellte das OLG Stuttgart seinerseits fest, dass sowohl die Erhebung der öffentlich zugänglichen Daten als auch die der Versendung des Werbeschreibens zugrunde liegende Verarbeitung der Daten nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO erfolgte. Weder aus Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO noch aus Erwägungsgrund 47 DSGVO ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass eine Kundenbeziehung mit dem Adressaten bestehen muss.
Bei der Abwägung, ob ein berechtigtes Interesse im Einzelfall besteht, kommt es gemäß Erwägungsgrund 47 Nr. 3 DSGVO vielmehr darauf an, ob die betroffene Person zum Zeitpunkt der Erhebung der personenbezogenen Daten und angesichts der Umstände, unter denen sie erfolgt, vernünftigerweise absehen kann, dass möglicherweise eine Verarbeitung für diesen Zweck erfolgen wird. Es ist nicht ersichtlich, dass die betroffene Person nicht erwarten kann, dass ihre personenbezogenen Daten zum Zwecke der Briefwerbung verarbeitet werden.
Im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Datenverarbeitung ist zu prüfen, ob der Zweck der Verarbeitung in zumutbarer Weise durch andere Mittel erreicht werden kann, die weniger intensiv in die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person eingreifen. Die Werbung unter Verwendung elektronischer Post stellt allerdings kein milderes Mittel dar, weil diese gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG ohne die vorherige ausdrückliche Einwilligung des Adressaten als eine unzumutbare Belästigung gilt. Dagegen wird die Briefwerbung von der Rechtsprechung grundsätzlich als zulässig betrachtet. Erst wenn der Adressat Widerspruch erhebt, ist die Direktwerbung per Brief nach Art. 21 Abs. 2 DSGVO unzulässig.
Schließlich erinnert das OLG Stuttgart daran, das der bloße Verstoß gegen Bestimmungen der Verordnung einen Schadensersatzanspruch noch nicht auslöst. Vielmehr muss festgestellt werden, dass ein Schaden entstanden ist. Eine seelisch belastende Ungewissheit über das Schicksal der personenbezogenen Daten ist hierfür nicht ausreichend.
Achtsamkeit ist bei Werbung per Post geboten
Bei der Verarbeitung personenbezogener Daten auf der Grundlage eines berechtigten Interesses ist stets eine Interessenabwägung im Einzelfall vorzunehmen, die dann zu dokumentieren ist. Dabei ist sorgfältig zu prüfen, inwieweit die Rechte und Interessen der betroffenen Person durch die geplante Datenverarbeitung beeinträchtigt werden. Aus diesem Grund ist es ratsam, bei der Direktwerbung per Post den Datenschutzbeauftragten schon frühzeitig zu involvieren.
genau diese schweizer Firma hat auch meine Daten verarbeitet. Angeblich aus öffentlich verfügbare Quellen. Blöd nur, dass die Daten eben nicht öffentlich auffindbar sind (hab gegoogelt, gebingt etc. etc.)
Auch hatte ich vor Jahren festgestellt, dass Gemeinden Adressen aus dem Melderegister an Adreßbuchverlage verkaufen.
Es mag schon sein, dass Erwägungsgründe ein Direktmarketing zulassen.
Jedoch verstößt gerade die Praktik dieses schweizer Unternehmens gegen Art 5 (1) a) DS-GVO. Wie meiner Meinung nach sämtliche Adresshandelsunternehmen. Egal ob es das Adresshandelsunternehmen der Deutschen Post ist, die die Adressen zum Teil über die Postverteilungszentren, wo die Briefe und Pakete gescannt werden oder das Adresshandelsunternehmen von Bertelsmann etc ist.
Auch hatte ich schon erlebt, dass ein Online-Händler in der Datenschutzerklärung erklärt hat die Adressen nicht weiterzugeben. Sie aber letztlich an die Schober Gruppe in Stuttgart veräußert hat und diese nicht geprüft hat, ob der Online-Händler die Daten überhaupt weitergeben hätte dürfen,
Fazit: ich hoffe, dass die EU-Kommission bald erkennt, dass gerade Adreßhändler die Daten nicht aus öffentlich verfügbaren Verzeichnissen ziehen (was ja immer schwieriger wird, da z.B. immer weniger Menschen dem Telefonbucheintrag zustimmen oder eine Einwilligung zur Weitergabe der Daten aus dem Melderegister erteilen).
Das Gebahren der Adresshändler (besonders das im Bericht angesprochene schweizer Unternehmen) kann nicht mehr durch berechtigtes Interesse gedeckt werden. Wenn es nach mir ginge, wäre der Handel von Adressen von Privatpersonen durch Adresshändler verboten.