Die polizeiliche Kennzeichnungspflicht treibt die Republik und damit auch die Netzgemeinde schon seit einiger Zeit um. Nun brachte das Bundesverwaltungsgericht etwas Klarheit.
Der Inhalt im Überblick
Kennzeichnungspflicht: Worum geht es?
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschied in gleich zwei Verfahren (BVerwG 2 C 32.18 und BVerwG 2 C 33.18) über die Zulässigkeit einer Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte.
In den letzten Monaten häufen sich mediale Berichte über unverhältnismäßige Maßnahmen von Polizeibeamten. Insbesondere im Rahmen von Demonstrationen finden immer wieder Videos den Weg ins Netz, auf denen scheinbar unnötige Gewalt seitens der Polizei angewandt wird. Obwohl in vielen Fällen die Rechtmäßigkeit der dargestellten Maßnahmen kaum anhand des online gestellten Videomaterials bewertet werden kann, so steigt dennoch das allgemeine Bedürfnis, mögliches Fehlverhalten konsequent und effektiv verfolgen zu können.
In dieser aufgeheizten Stimmung wird der Ruf nach einer Pflicht zur Kennzeichnung von Polizeibeamten im Dienst immer lauter. Die Befürworter versprechen sich hiervon eine effektivere Verfolgung von Straften im Amt, oftmals seien einzelne Beamte nämlich selbst auf Video aufgrund von Uniform und Helm nicht erkennbar.
Insbesondere Interessenverbände der Polizei sprachen sich vehement gegen eine solche Kennzeichnung aus. Sie stelle sämtliche Beamte unter Generalverdacht und schade somit eher dem Vertrauen der Bürger in die Polizei. Zudem berge die Kennzeichnung mit Namen oder Dienstnummer ein erhebliches privates Risiko für die Beamten.
Bisheriger Verfahrensgang
Ausgangspunkt der Verfahren waren die Klagen eines Polizeibeamten sowie einer Polizeibeamtin aus Brandenburg. Als solche waren beide unter anderem in sog. geschlossenen Einheiten (Hundertschaften) eingesetzt.
§ 9 Abs. 2 des Brandenburgischen Polizeigesetzes sieht eine Kennzeichnung im Dienst vor:
„Polizeivollzugsbedienstete tragen bei Amtshandlungen an ihrer Dienstkleidung ein Namensschild. Das Namensschild wird beim Einsatz geschlossener Einheiten durch eine zur nachträglichen Identitätsfeststellung geeignete Kennzeichnung ersetzt.“
Die Kläger hatten ursprünglich beantragt, von dieser Verpflichtung befreit zu werden. Hauptargument der Klagen waren Sicherheitsbedenken. Denn insbesondere bei heiklen Einsätzen bestünde durchaus ein Risiko für die Beamten, wenn der Name oder auch nur eine Identifikationsnummer von jedermann erkennbar sei und gefilmt werden könne. So schilderte die Beamtin, der Seitenspiegel ihres privaten PKW sei bereits einmal abgetreten worden. Die Pflicht zur Kennzeichnung greife demnach in das Recht der Beamten auf informationelle Selbstbestimmung ein.
Beide Klagen wurden von den Vorinstanzen abgewiesen, nun scheiterten die Revision der Beamten letztlich auch vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Entscheidung des BVerwG
Das Bundesverwaltungsgericht entschied in beiden Klagen zuungunsten der Kläger. Dabei erkannte es durchaus an, dass die Kenntnisgabe des Namens oder einer Kennziffer geeignet sei, in die „Informationelle Selbstbestimmung“ der Beamten (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) einzugreifen. Dieser Eingriff sei jedoch gerechtfertigt.
„Dieser Eingriff ist aber verfassungsgemäß. Er beruht auf einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage. […] Die Verpflichtung genügt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.“
Die tragenden Erwägungen
Als Argumente waren insbesondere die leichtere Aufklärbarkeit erheblicher Dienstpflichtverletzungen und Straftaten sowie die damit verbundene Prävention ausschlaggebend. Ferner wurde auch vorgebracht, dass durch eine individuelle Kennzeichnung alle anderen Polizeibeamten, die sich rechtstreu verhalten, nicht mit unnötigen Ermittlungsmaßnahmen konfrontiert würden.
Zuletzt wies das Gericht darauf hin, dass bereits der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) der Kennzeichnung von Polizeibeamten positiv gegenüberstand (EGMR, Urteil vom 9.11.2017, 4774/15). Auch datenschutzrechtliche Grundsätze stünden dem nicht entgegen:
„Die ergänzend heranzuziehenden datenschutzrechtlichen Vorschriften des Landes Brandenburg sichern die zweckentsprechende Verwendung der Daten über die Zuordnung der Kennzeichnung.“
Rechte der Kläger mussten zurücktreten
Demgegenüber hatte das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zurückzutreten. Insbesondere gab es wohl keine Anhaltspunkte dafür, dass die Sicherheit der Beamten erheblich beeinträchtigt sei. So konnte die Beamtin nicht darlegen, dass die Sachbeschädigung am eigenen PKW auf die Namenskennzeichnung zurückzuführen sei. Damit wurde die Ansicht der Vorinstanz bestätigt, wonach sich die Risiken eines namentlich bekannten Polizeibeamten kaum von denen anderer Berufsträger in konfliktträchtigen Bereichen (z.B. Sozial- oder Jugendamt) unterscheiden.
Zudem sei die Pflicht zur Kennzeichnung aus § 9 BbgPolG auch verhältnismäßig. Denn so sieht die Norm in Abs. 3 bereits Einschränkungen vor, wenn der Zweck der Amtshandlung oder besondere Belange des Beamten geschützt werden sollen. Damit war auch aus Sicht der Leipziger Richter der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht verletzt.
Das Verfahren hat damit einen vorläufigen Abschluss genommen. Ob man letztlich den Weg einer Verfassungsbeschwerde nach Karlsruhe gehen wird, wird sich aber wohl erst nach Veröffentlichung der Urteilsgründe zeigen.
Das Urteil eine Selbstverständlichkeit?
Die individuelle Kennzeichnung greift zweifellos in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Polizeibeamten ein. Doch die Intensität des Eingriffs ist gering, sie findet auf einer gesetzlichen Grundlage zu einem legitimen Zweck, der Aufklärung erheblicher Dienstpflichtverletzungen und Straftaten, statt und lässt im Einzelfall die Abstufung Namensschild, Kennzeichnung oder keine Identifizierung zu. Zum Vergleich: Für einen ähnlichen Eingriff reicht in der freien Wirtschaft als überwiegendes berechtigtes Interesse eines Arbeitgebers für das Tragen von Namensschildern durch den Arbeitnehmer in der Abwägung regelmäßig, dass „Kunden Beschäftigte mit Namen ansprechen können und insoweit kundenfreundlich bedient werden und sich mit Kenntnis der Namen von Beschäftigten beim Arbeitgeber gezielt beschweren können.“
An diese Stelle wird von den Gegnern angeführt, dass die Kennzeichnungspflicht es erleichtere, Familien von Beamten privat auszuspähen und zu bedrohen. Belastbare Zahlen und konkrete Fälle, bei denen ein solcher Vorgang kausal allein auf die Kennzeichnung zurückzuführen sind, scheint es aber nicht zu geben. So gibt die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Brandenburg an, dass ihr kein solcher Fall bekannt sei. Dies erscheint auch der allgemeinen Lebenserfahrung zu entsprechen. Wer genug kriminelle Energie besitzt, sich mit dem Staat anzulegen, Beamte privat bedroht und dafür in ihr familiäres Umfeld eindringt, für den wird der dazu ausschlaggebende Grund nicht sein, dass diese Tat durch die Kennzeichnung erleichtert wird. Denn die Möglichkeit der Identifizierung wird durch die Kennzeichnung nicht erst eröffnet. Eine solche dürfte in der Regel mit etwas Rechercheaufwand schon über Fotos des Beamten, dessen Arbeitsort und weitere Hinweise wie das Kennzeichen des Einsatzfahrzeuges, der öffentlichen Facebook-Seite des Beamten und dem Social-Media-Auftritt der Polizeibehörde möglich sein. Es steht außer Frage, dass die Beamten einen z.T. sehr gefährlichen Job erledigen. Nur ist nicht ersichtlich, dass diese abstrakt generelle Gefahr durch die Kennzeichnungspflicht konkret wesentlich erhöht wird.
Des Weiteren ist das Argument der GdP, das eine pauschale Kennzeichnungspflicht Polizeibeamte unter Generalverdacht stelle, von einer nicht zu übersehenden Doppelmoral geprägt. So fordert man seit Jahren die Einführung der Vorratsdatenspeicherung für alle Büger und wirft deren Gegnern vor (die sich nicht unter Generalverdacht stellen lassen wollen), aus reiner Ideologie zu argumentieren. Diese Argumentation verdreht die Grundsätze des liberalen Rechtsstaates. Nach Ansicht der GdP solle nicht der Staat, bzw. hier genauer die Polizei als Träger des staatlichen Gewaltenmonopols, ihre Freiheitseingriffe begründen müssen und ihr Handeln überprüfen lassen, sondern der Bürger solle sich vor dem Staat für seine Freiheit rechtfertigen.
Auch für das Argument, dass durch Kennzeichnungspflicht mehr Beamte zu Unrecht angezeigt werden, was sich wiederum negativ auf ihr Arbeitsverhältnis auswirkt, lassen sich keine belastbaren Zahlen finden. Im Gegenteil, nach den Erkenntnissen des wissenschaftlichen Dienstes gab es in anderen europäischen Ländern mit Kennzeichnungspflicht keinen solchen befürchteten Anstieg.
Aus diesen Gründen mögen uns die bisher vorgebrachten Argumente gegen eine Kennzeichnungspflicht nicht überzeugen. Vielmehr stellt das Urteil eigentlich eine Selbstverständlichkeit dar. Auch die Worte des Bundesverwaltungsgerichts scheinen dahingehend recht deutlich. Die Kennzeichnungspflicht trage in erster Linie zur Stärkung der Bürgernähe und der Transparenz der Arbeit der Polizei bei. Zudem verhindere die Möglichkeit der Identifizierung gerade einen Generalverdacht bei etwaigen Ermittlungen, sodass eine Vielzahl rechtmäßig handelnder Beamter gerade dadurch von der Einbeziehung in diese verschont bleiben. Das Urteil ist somit ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, um den systematischen Problemen bei der Überprüfung des rechtmäßigen Handelns der Polizei zu begegnen.