Die Landesdatenschutzbehörde von Schleswig-Holstein will Facebook per Verwaltungsakt zwingen, die Klarnamenpflicht aufzuheben. Bislang sperrt Facebook pseudonyme Nutzerkonten, soweit es sie als solche identifiziert, und verlangt den Upload einer Ausweiskopie, um den Namen zu verifizieren und das Konto anschließend zu entsperren.
Der Inhalt im Überblick
Die Verfügung
Weil sich Facebook-Nutzer in Schleswig-Holstein beschwert hatten, wurde Facebook zunächst aufgefordert, pseudonyme Konten zuzulassen. Als der Konzern der Aufforderung nicht nachkam, hat das Unabhängige Landeszentrum Schleswig-Holstein (ULD) einen Verwaltungsakt sowohl gegen die irische Facebook Ltd. als auch den Mutterkonzern Facebook Inc. erlassen.
Facebook hat nun sicherzustellen, dass sich die Nutzer in Schleswig-Holstein nicht nur über Eingabe von Echtdaten (Vorname, Nachname, E-Mail-Adresse, Geschlecht und Geburtsdatum), sondern auch durch Eingabe eines Pseudonyms registrieren können.
Facebook wird vom ULD ferner verpflichtet, Nutzerkonten zu entsperren, die allein wegen der Nichtangabe oder der nicht vollständigen Angabe von Echtdaten bei der Registrierung gesperrt worden sind.
Schließlich muss Facebook die Nutzer aus Schleswig-Holstein vor der Registrierung in einfacher, verständlicher und leicht zugänglicher Form sowie in deutscher Sprache über die Möglichkeit der Registrierung unter Angabe eines Pseudonyms informieren.
Wenn Facebook diese Auflagen nicht erfüllt, wird ein Zwangsgeld von 20.000 Euro verhängt.
Die Klarnamenpflicht
Ein Verwaltungsakt einer kleinen deutschen Behörde mag zwar nur ein Nadelstich sein, doch wenn Facebook seine Klarnamenpflicht auch nur modifizieren müsste, würde es den Riesen bis ins Mark erschüttern. Das börsennotierte milliardenschwere soziale Netzwerk hängt davon ab, dass die Nutzer ihre Namen und weitere persönlichen Daten bei der Registrierung offenbaren und im Rahmen des Netzwerks nur unter dem Namen aktiv sind. Die Unternehmen, die ihre Werbung bei Facebook platzieren, bezahlen nämlich gerade dafür, dass Facebook seine Nutzer kennt. Je mehr das Netzwerk über den einzelnen Nutzer weiß, desto genauer kann die Werbung auf den Nutzer abgestimmt werden.
Um die Effektivität der personalisierten Werbung zu beweisen, gleicht Facebook seit neuestem seine Nutzerdaten mit Daten über das Konsumverhalten von Verbrauchern ab. Wie wir berichtet haben, sammelt der Kooperationspartner Datalogix riesige Datenmengen über Rabatt- und Kundenkarten.
In der Begründung des Verwaltungsaktes betont das ULD, dass es Facebook nicht allein deshalb gibt, um die Kommunikation von Freunden zu fördern. Gerade diesen Eindruck möchte Facebook aber erwecken, wenn es ein pseudonymes Nutzerkonto sperrt. Der Betroffene erhält dann die Nachricht:
Facebook ist eine Gemeinschaft, in der Menschen mithilfe ihrer wahren Identitäten miteinander in Verbindung treten und Inhalte teilen können. Wir können Dir erst dann helfen, wenn Du Deinen richtigen, vollständigen Namen unten eingegeben hast.
Die Rechtslage
Der Vorstoß der Landesdatenschutzbehörde von Schleswig-Holstein ist auch deshalb so bemerkenswert, weil die Rechtslage keineswegs eindeutig ist. § 13 Abs. 6 TMG lautet:
Der Diensteanbieter hat die Nutzung von Telemedien und ihre Bezahlung anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist. Der Nutzer ist über diese Möglichkeit zu informieren.
Nach Ansicht von Rechtsexperten wird dieser Vorschrift bereits genügt, wenn man sich in einem sozialen Netzwerk unter Pseudonym bewegen kann, und den Klarnamen nur dem Dienstanbieter bei der Registrierung offenbart. Der Klarname werde benötigt, um Nutzer zu identifizieren, die das Netzwerk missbrauchen oder Rechte Dritter verletzen. Offen ist, wie ein deutsches Gericht über diese Frage entscheiden wird.
Der Mutige
Trotzdem ist es zu begrüßen, dass sich hier jemand weit aus dem Fenster gelehnt hat. Bei Facebook ist man offenbar nicht gewillt, sich mit den nationalen Eigenheiten des Datenschutzrechts in Europa auseinanderzusetzen. Sobald vermeintliche oder wirkliche Verstöße angemahnt werden, beruft man sich darauf, dass die zuständige irische Datenschutzbehörde in zwei Audits keine gravierenden Mängel festgestellt hat.
Thilo Weichert, Leiter des ULD, will das nicht akzeptieren:
Es ist nicht hinnehmbar, dass ein US-Portal wie Facebook unbeanstandet und ohne Aussicht auf ein Ende gegen deutsches Datenschutzrecht verstößt.
Die Apologeten des Klarnamenzwangs übersehen in ihrem ideologischem Sicherheitswahn, dass überraschend viele Menschen auf anonyme oder pseudonyme Meinungsäußerungen angewiesen sind.
Auch auf Marktplätzen, in Fußgängerzonen oder bei öffentlichen Versammlungen muss sich niemand mittels Ausweis identifizieren und sich namentlich registrieren lassen.
Das verfassungsmäßig verbürgte Grundrecht auf freie Meinungsäußerung bedingt die Möglichkeit der anonymen bzw. pseudonymen Äußerung.
Viele Menschen haben aus verschiedenen Gründen Repressalien zu befürchten, wenn Sie unter Klarnamen ihre Meinung veröffentlichen.
Sei es der politische Aktivist, der von Polizei und Geheimdiensten bespitzelt wird; sei es der Arbeitslose, der die Praktiken der Arbeitsbehörden kritisiert; sei es das Verbrechensopfer, das über seine Peiniger spricht; sei es der Angestellte, der seinen Arbeitsgeber kritisiert; sei es Whistleblower, der Mißstände anprangert; usw. usf.
Aber all dies ist in unserer real existierenden Schein- und Fassadendemokratie seitens Obrigkeit und Großkonzernen unerwünscht. Deshalb wird immer wieder von den Überwachungsextremisten postuliert, daß Klarnamenpflicht die Diskussionskultur und die Sicherheit erhöhen würden.
Welche Diskussionkultur? Etwa die, wo sich auf Facebook Jugendliche unter ihren echten Namen mit Beleidigungen und Fäkalausdrücken gegenseitig demütigen?
Wessen Sicherheit? Etwa die Sicherheit des Stalkingopfers, dank Klarnamenzwang jederzeit im Internet durch seinen Peiniger auffindbar zu sein?
Aber soweit denken die herrschenden Kontrollfanatiker und all die ihnen huldigenden Jubelperser aus dem einfachen Pöbel natürlich nicht.