Ermitteln, Zusammentragen und Bewertung von Informationen nehmen viel Zeit in Anspruch? Kein Problem, VeRA hilft. Sie klingt nicht nur nett, sondern ist auch schneller als die Polizei erlaubt – und gefährlicher für unsere Privatsphäre? Hinter dem harmlos klingenden Kürzel verbirgt sich eine mächtige Software, die nicht nur Kriminelle ins Visier nimmt. Bayerns Polizei wird sie ab August im Einsatz haben.
Der Inhalt im Überblick
Was ist VeRA?
VeRA ist die Abkürzung für ein „Verfahrensübergreifendes Recherche- und Analysesystem“ der US-Firma Palantir und ist eine Software für Strafverfolgungsbehörden. Sie soll bei der Analyse und Recherche von polizeilichen Daten helfen und Verbindungen zwischen verschiedenen Verfahren und Datenbeständen erkennen. Dabei soll VeRA auf alle vorhandenen polizeilichen Daten Zugriff haben. Ziel ist eine Verbesserung der Ermittlungsarbeit.
Bereits im März 2023 berichteten wir über den Einsatz der Software Gotham, ebenfalls von Palantir, bei der hessischen Polizei. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in den Fällen Az. 1 BvR 1547/19, 1 BvR 2634/20 war zumindest klar, dass der Einsatz solcher Software prinzipiell möglich ist. Das BVerfG betonte in seinem Urteil jedoch die Notwendigkeit klarer gesetzlicher Grundlagen und wirksamer Maßnahmen zur Gewährleistung des Datenschutzes beim Einsatz einer solchen Software. Als Antwort folgte VeRA.
Bayerischer Landtag begrüßt VeRA
„Es sollen hierdurch gemeinsame Strukturen, Handlungsmuster, Personengruppen oder andere Zusammenhänge erkannt werden.“,
so der innenpolitische Sprecher der Landtagsfraktion der Freien Wähler und Polizeibeamter Wolfgang Hauber.
Kritisch hervorgehoben wurde insb., dass VeRA auch Zugriff auf die Daten von Zeugen hat. Wie sich dies auf einen Zeugen auswirken könnte, wenn dieser aufgrund bloßer Zufälle besonders häufig bei der Analyse verschiedener Fälle „mitverwertet“ wird, ist vollkommen offen. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann von der CSU betont, dass es nur darum ginge bereits vorhandene Dateien „bei einem gezielten Anlass“ rasch auszuwerten, aber keine neuen Daten zu generieren.
Zum 01. August 2024 greifen die neuen Regelungen im Polizeiaufgabengesetz (PAG), Polizeiorganisationsgesetz und Landesstraf- und Verordnungsgesetz.
Werden wir tatsächlich zum gläsernen Bürger?
Die Webplattform police-it.net beschreibt das Risiko von VeRA wie folgt:
„Mit der gleichzeitigen Einführung von Steuer-Id und dem Gesetz zur Registermodernisierung, das über 200 Datenbanken von Behörden und Institutionen gleichzeitig nutzbar machen soll, und der zeitgleichen Einführung von VeRA entsteht ein zentraler Beobachtungs- und Überwachungsmonitor über uns alle und werden Polizei- und die anderen (bisher noch ungenannten) Sicherheitsbehörden zu Superbehörden mit Ausforschungsmöglichkeiten gemacht, von denen das Reichssicherheitshauptamt oder die Stasi nur träumen konnten.“
Das Registermodernisierungsgesetz soll den Weg für die Bürger hin zur digitalen Beantragung von Verwaltungsleistungen ebnen. Wie bei jedem Antrag werden personenbezogene Daten des Antragstellenden erhoben und weiterverarbeitet. Hierbei werden auch Kennnummern im Sinne des Art. 4 Nr. 1 Hs. 2 DSGVO verarbeitet. Dazu zählen neben der erwähnten Steueridentifikationsnummer auch die Sozialversicherungs- oder Personalausweisnummer. Jede dieser Nummern ist einzigartig und einer bestimmten Person zugeordnet, die VeRA dann theoretisch auch mit in ihre Analyse einbeziehen könnte.
Datenschutzrechtliche Aspekte
Aufgrund des Prinzips der Zweckbindung nach Art. 5 Abs. 1 lit. b) DSGVO, müsste sich eine Datenabfrage – Verarbeitung im Sinne des Art. 4 Nr. 2 DSGVO – stets auf einen konkreten Zweck beziehen. Dieser eindeutige Zweck wurde aber meist bereits für die Erhebung festgelegt. Die Daten könnten zwar ausnahmsweise zu einem anderen, als dem ursprünglichen Zweck weiterverarbeitet werden, jedoch nur, wenn dem Betroffenen die maßgeblichen Informationen zur Verfügung gestellt werden, außer diesem sind diese bereits bekannt. Das Antragstellende im Kontext einer verwaltungstechnischen Angelegenheit sich aber überhaupt Gedanken darüber machen, dass ihre eingegebenen Daten vielleicht schon für präventive Strafverfolgungszwecke im Sinne der Art. 48, 51 und 52 PAG eingesetzt werden könnten, ist fernliegend. In einem modernen Rechtsstaat gilt die Unschuldsvermutung (Art. 48 Abs. 1 i. V. m. 51 Abs. 1 S. 1 Grundrechtecharta; Art. 6 Abs. 2 Europäische Menschenrechtskonvention) als festes Grundprinzip eines jeden Strafverfahrens. Keinem mit einer Behörde interagierendem Bürger kann es zugemutet werden, es als einen allgemein bekannten Umstand anzusehen, stets Subjekt einer Überwachung sein zu können.
Sollten all diese Daten dennoch Eingang in die Software finden, dann könnten sie zusammen mit den diskutierten Zeugenaussagen in Verbindung gebracht werden. Dies unterstellt bedürfte es einer sehr hohen Qualität an technischen und organisatorischen Maßnahmen, dass weiterhin alle datenschutzrechtlichen Grundsätze und Voraussetzungen gewährleistet werden können. Dass die VeRA-beziehenden Behörden die Software bis aufs kleinste Detail einsehen können, ist sehr fraglich.
Als Reaktion auf die Entscheidungen des BVerfG Az. 1 BvR 1547/19, 1 BvR 2634/20 folgt nun der ab 01. August geltende Art. 61a PAG. Dieser soll dem Umstand Rechnung tragen, dass aufgrund automatisierter Datenanalyse oder -auswertung schwere Grundrechtseingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) auch gegen Personen denkbar sind, die objektiv nichts mit dem relevanten Geschehen zu tun haben.
Ob die Rechnung (diesmal) aufgeht, bleibt abzuwarten.
Polizei-Software ab August im Einsatz
Trotz der kritischen Äußerungen stimmte der Landtag dem Antrag zum Einsatz von VeRA ab August zu. Der Sinn einer solchen Software liegt zwar auf der Hand, aber ob sie nun tatsächlich den strengen Anforderungen des BVerfG entspricht, bleibt weiterhin Streitthema. Sollte VeRA tatsächlich über die internen Datenbanken der polizeilichen Ermittlungsbehörden hinaus Zugriff auf solche Datenbestände erhalten sollte, wird das letzte Wort wohl wieder vom BVerfG gesprochen.