Auf Grundlage des Wettbewerbsrechts können auch Unternehmen dank einer seit 2020 bestehenden Regelung Mitbewerber bei Datenschutzverstöße gerichtlich abmahnen. Da die Datenschutz-Grundverordnung darauf abzielt natürliche Personen zu schützen, ist diese wettbewerbsrechtliche Regelung rechtlich umstritten. Nicht zuletzt sorgen eine Gesetzesinitiative des Bunderats und ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof für Furore.
Der Inhalt im Überblick
- Zwei wettbewerbsrechtliche Apotheker-Streitigkeiten als Ausgangspunkt
- Abmahnfähigkeit von Datenschutzverstößen durch Verbände
- Frage an EuGH zur Abmahnfähigkeit von Datenschutzverstößen
- Pros/Cons der wettbewerbsrechtlichen Abmahnfähigkeit
- Gesetzesinitiative gegen wettbewerbsrechtliche Abmahnfähigkeit
- Ohne EuGH und Bundestag weiterhin unklare Rechtslage
Zwei wettbewerbsrechtliche Apotheker-Streitigkeiten als Ausgangspunkt
Zwei wettbewerbsrechtliche Verfahren waren Anlass für den für das Wettbewerbsrecht zuständigen I. Zivilsenat des BGH dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Fragen zur Vorabscheidung vorzulegen. Zum einen fragt der BGH den EuGH, ob der Vertrieb von Arzneimitteln über eine Online-Plattform durch einen Apotheker aufgrund einer möglichen Betroffenheit von Gesundheitsdaten einen Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) darstellt. Darüber hinaus soll bei Bejahung eines Verstoßes gegen die DSGVO die Frage geklärt werden, ob Wettbewerber solche Verstöße klagebefugt mithilfe des Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) verfolgen dürfen. Die beiden Verfahren betreffen die Sachverhalte I ZR 222/19 und I ZR 223/19.
Erstes wettbewerbsrechtliches Verfahren I ZR 222/19
In dem ersten Verfahren herrschte zwischen zwei Apothekern Uneinigkeit darüber, ob der mit Versandhandelserlaubnis erfolgende Vertrieb von sog. OTC-Arzneimittel über eine Internetplattform durch den Beklagten gegen die DSGVO, das Arzneimittelgesetz (AMG), das Heilmittelwerbegesetz (HWG), die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) und die Berufsordnung für Apotheker verstoße. Das Landgericht (LG) Magdeburg (Urteil vom 18. Januar 2019 – 36 O 48/18) sah keine Verstöße gegen oben genannte Gesetze und die ApBetrO. Es kam zu dem Schluss, dass der Kläger als Wettbewerber des Beklagten für die Geldendmachung von DSGVO-Verstößen aufgrund des abschließenden Sanktionssystems der Verordnung nicht klagebefugt sei.
In der zweiten Instanz gab das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg dem Kläger teilweise Recht. Es entschied, dass es sich bei den Vorschriften der DSGVO um Marktverhaltensregelungen i.S.d. § 3a UWG handle. Zum einen verarbeite der Beklagte in diesem Fall gesundheitsbezogene Daten i.S.d. Art. 9 Abs. 1 DSGVO ohne die nach der DSGVO zwingend erforderlich ausdrückliche Einwilligung der Betroffenen. Die DSGVO habe das Ziel ein einheitliches Datenschutzniveau bei grenzüberschreitenden Datenverarbeitungen zu schaffen. Ein unterschiedliches Datenschutzniveau sei ein Hemmnis für Wirtschaftstätigkeiten auf EU-Ebene und könnte den Wettbewerb verfälschen.
Zweites wettbewerbsrechtliches Verfahren I ZR 223/19
Vor dem LG Dessau-Roßlau (Urteil vom 27. März 2018 – Az. 3O 29/17) begehrte ein Apotheker eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung. Der beklagte Mitbewerber hatte über die Plattform Amazon Marketplace apothekenpflichtige Medikamente vertrieben. Nach Auffassung des Apothekers verarbeite der Mitbewerber hierbei sensible Gesundheitsdaten der Käufer nach Art. 9 DSGVO. Somit hätten datenschutzkonforme Einwilligungen der Käufer eingeholt werden müssen. Aus diesem Grund stufte der Kläger diese Art des Vertriebs über Amazon als unlautere und somit gemäß UWG unzulässige geschäftliche Handlung ein, weil der Beklagte damit gegen die Vorgaben der §§ 3a, 7 UWG verstoße. Das Landgericht sowie das OLG Naumburg als zweite Instanz bejahten sowohl Verstöße gegen wettbewerbsrechtliche sowie datenschutzrechtliche Vorschriften.
Das OLG Naumburg eröffnete in beiden Fällen die Möglichkeit der Revision zum Bundesgerichtshof (BGH), wovon sowohl Kläger als auch der Beklagte Gebrauch gemacht haben.
BGH setzt beide Verfahren aus
Mit der Revision in beiden Verfahren befasste sich sodann der BGH. Der zuständige Senat entschied die Verfahren auszusetzen, bis das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH in einem weiteren Verfahren beendet wurde. Von der damals im Raum stehenden Entscheidung des EuGH in dem Verfahren gegen Facebook im Fall „App-Zentrum“ (Beschluss vom 28. Mai 2020 – Az. I ZR 186/17) erhoffte sich das Gericht Rechtsklarheit.
Abmahnfähigkeit von Datenschutzverstößen durch Verbände
Bei der damals noch ausstehenden EuGH-Entscheidung (Urteil vom 8. April 2022) in dem Verfahren gegen Facebook ging es darum, ob ein Verband von Verbraucherschützern aufgrund eines Datenschutzverstoßes die Befugnis zu einer wettbewerbsrechtlichen Abmahnung gem. § 3 UWG besaß. Der zuständige Senat hegte Zweifel an der Zulässigkeit der Klage des Bundesverbands. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung war die DSGVO noch nicht in Kraft getreten. Jetzt könnte die DSGVO jedoch als zusätzliche Bedingung fordern, dass der Verband von einer betroffenen Person hätte direkt beauftragt sein müssen. Bei der Klagebefugnis eines Verbands nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG spielt dieser Aspekt jedoch keine Rolle.
Der EuGH ging in seiner Entscheidung ausschließlich auf die Klagebefugnis von Verbänden ohne Gewinnerzielungsabsicht im Sinne von Art. 80 Abs. 1, 2 DSGVO ein. Für diese bejahte das Gericht entsprechende Klagebefugnis. Für die Erhebung einer Verbandsklage sei es unter Würdigung des Begriffs der „betroffenen Person“ ausreichend, wenn eine Gruppe von Personen benannt werden könne und diese zusammen von einer Verarbeitung betroffen wären. Eine Verbandsklage könne zahlreiche Verletzungen der Rechte der betroffenen Personen verhindern und sich somit als wirksamer erweisen als die Klage eines Einzelnen.
Frage an EuGH zur Abmahnfähigkeit von Datenschutzverstößen
Wie oben bereits angeteasert setzte der I. Zivilsenat des BGH die Verfahren aus und legte dem EuGH neben der Frage nach der Definition von Gesundheitsdaten folgendes zur Vorabscheidung (Beschluss vom 10. November 2022 – I ZR 186/17) vor:
„Stehen die Regelungen […] der DSGVO nationalen Regelungen entgegen, die – neben den Eingriffsbefugnissen der […] zuständigen Aufsichtsbehörden und den Rechtsschutzmöglichkeiten der betroffenen Personen – Mitbewerbern die Befugnis einräumen, wegen Verstößen gegen die DSGVO gegen den Verletzer im Wege einer Klage […] unter dem Gesichtspunkt des Verbots der Vornahme unlauterer Geschäftspraktiken vorzugehen?“
Pros/Cons der wettbewerbsrechtlichen Abmahnfähigkeit
Ob die wettbewerbsrechtliche Abmahnfähigkeit von Datenschutzverstößen durch den EuGH bejaht oder verneint wird hängt maßgeblich davon ab, ob sich die Rechtslage hinsichtlich des auf das UWG, BDSG alte Fassung (a.F.) gestützten Unterlassungsantrags und damals geltenden Datenschutzrichtlinie seit dem Inkrafttreten der DSGVO am 25. Mai 2018 geändert hat.
Regelungen zur Durchsetzung der Bestimmungen der DSGVO abschließend?
Gegen eine Klagebefugnis eines Mitbewerbers im Sinne von § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG spricht, dass die in der DSGVO enthaltenen Regelungen zur Durchsetzung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen der Verordnung abschließend sein könnten. Schließlich sieht die DSGVO für die Aufsichtsbehörden umfangreiche Aufgaben und Befugnisse zur Überwachung und Durchsetzung der Verordnung bereits vor. Somit könnte der Unionsgesetzgeber grundsätzlich von einer Durchsetzung der Bestimmungen der DSGVO durch die Aufsichtsbehörden ausgehen.
Die DSGVO stellt den betroffenen Personen in den Artikeln 77, 78 und 79 DSGVO Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung. Gegen eine abschließende Regelung könnte sprechen, dass in diesen Vorschriften die Wendung „unbeschadet eines anderweitigen Rechtsbehelfs“ enthalten ist.
Unvereinbarkeit der wettbewerbsrechtlichen Klagebefugnis mit Harmonisierungsziel
Der Unionsgesetzgeber verfolgt mit der DSGVO das Ziel ein einheitliches Datenschutzniveau zu schaffen und somit auch bestehende Unterschiede in der Durchsetzung der Bestimmungen zum Datenschutz abzumildern. Eine über die in der Verordnung geregelten Instrumente zur Durchsetzung datenschutzrechtlicher Bestimmungen hinausgehende Regelung, wie die für Mitbewerber, könnte diesem Vereinheitlichungsziel entgegenstehen.
Gesetzesinitiative gegen wettbewerbsrechtliche Abmahnfähigkeit
Obwohl eine Entscheidung des EuGH frühestens Ende 2024 erwartet wird, hat der Bundesrat eine entsprechende Gesetzesinitiative im Juni auf den Weg gebracht. Der Gesetzestext des § 3a UWG soll unter anderem dahingehend ergänzt werden, dass Verstöße gegen die DSGVO und das BDSG explizit ausgenommen sind.
Argumente der Initiatoren
Der Bundesrat argumentiert, dass Unternehmen durch das Mitbewerberklagerecht einer missbräuchlichen Rechtsverfolgung durch Abmahnungen (wie damals bei der Abmahnwelle wegen Google Fonts) ausgesetzt wären. Unternehmen bräuchten dringende Rechtssicherheit. Primäres Ziel der DSGVO sei der Schutz der informationellen Selbstbestimmung des Einzelnen, nicht die Regelung des Marktverhaltens.
Reaktion der Bundesregierung
Die Bundesregierung möchte das EuGH-Urteil zunächst abwarten und nimmt das Anliegen des Gesetzesentwurfs sehr ernst. Ihr zufolge sei der Gefahr rein wirtschaftlich motivierter Abmahnungen von Mitwerbern bei Verstößen gegen das Datenschutzrecht bereits durch eine „grundlegende Reform des Abmahnwesens“ im Jahre 2020 durch das „Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs“ vom 26. November 2020 begegnet worden. Weiterhin verweist sie auf die Regelungen des UWG zum Aufwendungsersatz, welche den monetären Anreiz für die Abmahnung von Datenschutzverstößen effektiv begrenze. Nach dieser Regelung gibt es keinen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen für Abmahnbefugte, welche Verstöße gegen gesetzliche Informations- und Kennzeichnungspflichten im Internet oder in digitalen Diensten nach dem Digitale-Dienste-Gesetz rügen. Gleiches gilt bei Datenschutzverstößen, die von Unternehmen oder gewerblichen Vereinen mit in der Regel weniger als 250 Mitarbeitern verursacht wurden.
Ohne EuGH und Bundestag weiterhin unklare Rechtslage
Wegweisend für den weiteren Verlauf der Gesetzesinitiative werden die Entscheidungen von Bundestag und EuGH sein. Für meinen Geschmack überwiegen aktuell die Argumente für das Bejahen einer wettbewerbsrechtlichen Abmahnfähigkeit von Datenschutzverstößen. Diverse Erwägungsgründe des EuGH-Urteils vom 8. April 2022, wenn auch unter dem Blickwinkel klagebefugter Verbände ohne Gewinnerzielungsabsicht getroffen, sind auch bei rein gewerblich tätigen Mitbewerbern zu berücksichtigen. Der DSGVO geht es neben dem Schutz der informationellen Selbstbestimmung auch darum ein einheitliches Datenschutzniveau zu schaffen. Die Tatsache, dass Mitbewerber wie zum Beispiel Verbände Datenverstöße über das UWG rügen können, trägt dazu bei die Rechte der Betroffenen zu stärken und ihnen ein hohes Schutzniveau zu gewährleisten. Nichtdestotrotz sollte diese Regelung nicht missbräuchlich verwendet werden!