Wie angekündigt, soll in der Reihe zum Thema Cybercrime aufgeklärt werden, welche Tathandlungen im Internet oder unter Ausnutzung von Computer- oder Internetsystemen strafbar sind. Insbesondere Internetdelikte haben die Angewohnheit, dass deren Auswirkungen grenzüberschreitend sein können. In diesem Beitrag wird daher allgemein über die örtliche Zuständigkeit von Strafverfolgungsorganen informiert.
Der Inhalt im Überblick
Wohin wenden, wenn man Opfer einer Straftat wird?
Egal, wie sehr man sich schützt, es kann jeden jederzeit treffen. Jeder kann Opfer einer Straftat werden – auf der Straße, zu Hause oder im Netz. Wenn einem sowas passiert, dann wendet man sich an die Polizei und erstattet Strafanzeige. Hier genügt es auch, das nächstgelegene Polizeirevier aufzusuchen. Ein Polizeibeamter wird dann alle Daten aufnehmen und noch verschiedenen Fragen stellen. In einem Bericht werden die ersten Ermittlungserkenntnisse zusammengefasst und der Staatsanwaltschaft vorgelegt. Diese entscheidet dann, ob weitere polizeiliche Ermittlungen nötig sind, ob funktionelle Sonderzuständigkeiten greifen könnte und ob Maßnahmen wie Erlass eines Strafbefehls oder Erhebung der Anklage möglich sind. Dies ist natürlich jetzt stark zusammengefasst.
Eine zentrale Frage ist hierbei natürlich auch, ob die Staatsanwaltschaft und das Gericht örtlich zuständig sind.
Regeln zur örtlichen Zuständigkeit innerhalb Deutschlands
Hinsichtlich der Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft ist § 143 GVG als zentrale Vorschrift zu beachten. Diese besagt in Absatz u.a.:
„Die örtliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft bestimmt sich nach der örtlichen Zuständigkeit des Gerichts, bei dem die Staatsanwaltschaft besteht. Fehlt es im Geltungsbereich dieses Gesetzes an einem zuständigen Gericht oder ist dieses nicht ermittelt, ist die zuerst mit der Sache befasste Staatsanwaltschaft zuständig.“
Es besteht also eine Abhängigkeit zur Zuständigkeit der Gerichte. Das Gericht der ersten Instanz, bei dem die Anklage erhoben wird, prüft bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § 16 Abs. 1 StPO von Amts wegen, ob es örtlich zuständig ist. Danach darf das Gericht diese Frage nur noch auf Rüge des Angeklagten hin überprüfen.
In den §§ 7 ff. StPO finden sich dann Ausführungen, wie die örtliche Zuständigkeit bestimmt wird. Folgende Gerichtsstände sind üblicherweise relevant:
- Tatort gemäß § 7 StPO
- Wohnsitz oder Aufenthaltsort des Angeschuldigten gemäß § 8 StPO
- Ergreifungsort gemäß § 9 StPO
- Gerichtsstand bei zusammenhängenden Strafsachen gemäß § 13 StPO
Zur besseren Erklärung soll folgendes Beispiel dienen:
A und B sind beide Deutsche und leben in Berlin. A schießt B absichtlich an und B verstirbt daraufhin in einem Berliner Krankenhaus. A wird daraufhin von der Polizei in seiner Wohnung festgenommen.
Dieses Beispiel ist unproblematisch, da sich hier die Zuständigkeit für Berlin ergibt. Tatort, Wohnsitz und Ergreifungsort sind Berlin.
Wie ist das mit dem Tatort bei Delikten im Internet?
Bei Delikten im Internet ist dies aber nicht mehr so einfach, wie folgendes Beispiel zeigt:
Der norwegische A sitzt an seinem PC in Oslo. Er lädt in einer Online-Tauschbörse, die von einem US-Anbieter betrieben wird, eine illegale Filmdatei hoch. B lädt diese Datei in Deutschland herunter. C lädt diese Datei in Australien herunter.
Hier wird es kniffelig. Denn eins ist klar: Deutschland kann nicht für alle Delikte im Internet zuständig werden. Neben der Überlastung der Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte, hätte dies wohl auch völkerrechtlich weitreichende Konsequenzen.
Was ist eigentlich der Tatort?
- Ort, an dem der Täter gehandelt hat,
- Ort, an dem der Täter hätte handeln müssen (bei Unterlassungsdelikte),
- Ort, an dem der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist oder
- Ort, wo nach Vorstellung des Täters der Erfolg eingetreten wäre.
Die Strafrechtler wissen nur zu gut, dass die relevante Tathandlung nicht immer zeitgleich mit dem strafbaren Taterfolg eintreten muss. Durch das zeitliche Auseinanderfallen kann es also passieren, dass auch die Örtlichkeiten, die die Gerichtsbarkeit beeinflussen, sich ebenfalls ändern.
Welche Besonderheiten bestehen bei Delikte im Internet?
Wenn bei Internetdelikten es bereits genügt, dass das Opfer einer veröffentlichten Beleidigung in einem sozialen Netzwerk Kenntnis bekommt, während das Opfer in Deutschland Urlaub macht, oder das jemand im Deutschland-Urlaub eine illegale Datei herunterlädt, dann wäre die deutsche Zuständigkeit immer gegeben. Der Handlungs- oder Erfolgsort kann schnell in Deutschland begründet werden.
Dies hatte zur Folge, dass sich viele verschiedene Rechtsmeinungen entwickelten, um dieser uferlosen Auslegung entgegenzuwirken. Auch die Gerichte ließ diese Diskussion nicht klar und so äußerten sich diese ebenfalls.
Der BGH und die erste Auschwitzlüge
Besonders relevant ist das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12. Dezember 2000 – 1 StR 184/00 hinsichtlich der Anwendung deutschen Strafrechts bei Internetdelikten. Einer der Leitsätze lautete wie folgt:
„Stellt ein Ausländer von ihm verfasste Äußerungen, die den Tatbestand der Volksverhetzung im Sinne des § 130 Abs. 1 oder des § 130 Abs. 3 StGB erfüllen („Auschwitzlüge“), auf einem ausländischen Server in das Internet, der Internetnutzern in Deutschland zugänglich ist, so tritt ein zum Tatbestand gehörender Erfolg (§ 9 Abs. 1 3. Alternative StGB) im Inland ein, wenn diese Äußerungen konkret zur Friedensstörung im Inland geeignet sind.“
Der Angeklagte war in Deutschland geboren, lebte aber in Australien und hat die australische Staatsangehörigkeit inne. Er beschäftigte sich mit dem Holocaust und veröffentlichte unter dem Vorwand von wissenschaftlicher Forschung Rundbriefe und Artikel im Internet, wonach er behauptete, dass eine Ermordung von Juden zu Herrschaftszeiten des NS-Regime nicht stattgefunden habe und diese lediglich eine Erfindung sei. Da die Publikationen auch in Deutschland für Internetnutzer zugänglich waren, waren diese nach Auffassung des BGH geeignet, den öffentlichen Frieden in Deutschland zu stören.
Der BGH und die zweite Auschwitzlüge
Von dieser scheinbar zunächst weiten Auslegung des § 9 StGB wand sich der BGH aber später mit seinem Beschluss vom 3. Mai 2016 (LG München II) wieder ab. Die Angeklagte hatte in der Schweiz Vorträge gehalten und ebenfalls behauptet, dass der Holocaust nicht stattgefunden habe. Bei diesen Vorträgen hätten auch deutsche Staatsbürger teilnehmen können. Auch hier war eine mögliche Strafbarkeit der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 oder 3 StGB zu prüfen. Dies stellt ein sog. abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt dar. Das Gericht entschied, dass bei solchen Delikten regelmäßig eine Strafbarkeit nach deutschem Recht ausscheidet, wenn der Täter vom Ausland aus handelt. § 9 StGB ist daher also doch enger auszulegen. Die damalige Entscheidung aus dem Jahre 2000 hätten die Richter nunmehr also anders bewertet.
Zuständigkeiten – gar nicht mal so einfach
Gerade diese beiden Urteile zeigen, dass die örtliche Zuständigkeit der Strafgerichte gar nicht so einfach zu bestimmen ist. Einerseits muss geprüft werden, um welche Art von Delikten es sich handelt und worin der Kern des Strafvorwurfs besteht. Aber auch wo welche Aspekte der Tat wann und wo ausgeführt werden bzw. wo ein möglicher Taterfolg eintritt, ist genau zu analysieren.
Es wird aber auch deutlich, dass Täter nicht glauben sollten, deutsche Gerichte seien nicht mehr zuständig, nur weil sie die Internettat außerhalb von Deutschland begangen haben.