Das Bundesjustizministerium hat Pläne für ein Gesetz gegen digitale Gewalt vorgestellt. Noch handelt es sich lediglich um Eckpunkte, aber bereits diese haben teilweise deutliche Kritik hervorgerufen. Der Chaos Computer Club spricht gar von der Einführung der Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür. In diesem Beitrag gehen wir näher auf das geplante Gesetz ein.
Der Inhalt im Überblick
Ausgangslage – NetzDG, DSA und TTDSG
In sozialen Netzwerken und bei Messengerdiensten findet oftmals nicht nur ein lebhafter Meinungsaustausch statt. Häufig werden auch strafbare Falschnachrichten, Beleidigungen oder gar Morddrohungen verfasst. Zur Bekämpfung derartiger strafbarer Inhalte auf sozialen Netzwerken sollen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) sowie der Digital Service Act (DSA) beitragen. Nach dem NetzDG müssen soziale Netzwerke etwa offensichtlich rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden löschen. Ähnliche Regelungen sieht der DSA vor, der im November 2022 in Kraft getreten ist und ab dem 17. Februar 2024 in allen EU-Staaten gilt. Darüber hinaus haben Betroffene aufgrund des Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetzes (TTDSG) die Möglichkeit, von Betreibern sozialer Netzwerke Auskunft über die Identität von Verfassern rechtsverletzender Äußerungen zu verlangen.
Dieser bestehende rechtliche Rahmen reicht nach Auffassung der Ampelkoalition für eine effektive private Rechtsdurchsetzung nicht aus. Mit einem Gesetz gegen digitale Gewalt soll dies anders werden. Das Bundesjustizministerium setzt hierzu auf drei Säulen:
- Stärkung privater Auskunftsverfahren
- Anspruch auf richterlich angeordnete Accountsperren
- Erleichterung der Zustellung
Stärkung privater Auskunftsverfahren
Das neue Auskunftsverfahren sieht unter bestimmten Voraussetzungen eine Herausgabe von Nutzungsdaten vor. Außerdem soll das Auskunftsverfahren nicht mehr nur für bestimmte Straftaten gelten. Gestärkt werden soll der Auskunftsanspruch schließlich mit der Möglichkeit einer richtlichen Beweissicherungsanordnung.
Herausgabe von Nutzungsdaten
Das bisherige Auskunftsverfahren sieht vor, dass der Verletzte unter bestimmten Voraussetzungen von Betreibern sozialer Netzwerke Auskunft über die Bestandsdaten verlangen kann (§ 21 Abs. 2 TTDSG). Zu den Bestandsdaten zählen etwa der Name oder die E-Mail-Adresse, mit dem sich andere Nutzer auf sozialen Netzwerken registriert haben. Die sogenannten Nutzungsdaten sind bisher hingegen nicht vom Auskunftsanspruch erfasst. Das ist in den Fällen problematisch, in denen den sozialen Netzwerken keine oder falsche Daten vorliegen. Künftig sollen deshalb auch die Nutzungsdaten und damit insbesondere die IP-Adresse herausgegeben werden müssen, sofern dies verhältnismäßig und für die Rechtsverfolgung erforderlich ist.
Digitale Gewalt ist (fast) alles
Aktuell sind soziale Netzwerke nur in Fällen bestimmter Straftaten zur Auskunft gegenüber dem Verletzten verpflichtet. Hierzu zählen etwa Beleidigungen Verleumdungen oder Bedrohungen (§ 21 Abs. 2 S. 1 TTDSG i.V.m. § 1 Abs. 3 NetzDG).
Nunmehr soll der Anwendungsbereich des Auskunftsanspruchs ganz erheblich erweitert werden. Zukünftig wird der Auskunftsanspruch in allen Fällen einer rechtswidrigen Verletzung absoluter Rechte eröffnet sein. Absolute Rechte sind diejenigen Rechte, die gegenüber jedermann gelten, also unabhängig davon, ob etwa ein Vertragsverhältnis besteht. Zu den absoluten Rechten gehören beispielsweise die Persönlichkeitsrechte oder die Eigentumsrechte. Selbst ein Gewerbebetrieb ist in seiner Gesamtheit (Bestand, Erscheinungsform, Tätigkeitskreis, Kundenstamm) ein absolut geschütztes Recht. Zu den absoluten Rechten gehört außerdem auch das Urheberrecht. Konkret führt die Ausweitung auf sämtliche absoluten Rechte dazu, dass der Auskunftsanspruch auch bei wahrheitswidrigen Restaurantkritiken geltend gemacht werden könnte.
Einerseits ist es nachvollziehbar, dass auch derartige Rechtsverletzungen wirksam privat verfolgt werden können sollen. Andererseits definiert das Bundesjustizministerium digitale Gewalt eigentlich als Persönlichkeitsrechtsverletzungen im digitalen Raum. Hiermit haben wahrheitswidrige Restaurantkritiken und Urheberrechtsverletzung nichts zu tun. Weshalb sich der Auskunftsanspruch auf alle absoluten Rechte erstrecken soll, wird weder durch das Eckpunktepapier noch durch das begleitende Erläuterungspapier aufgeklärt. Kritiker befürchten, dass aufgrund der Ausweitung beispielsweise wirtschaftsstarke Unternehmen ohne Weiteres Identifizierungsmaßnahmen gegen Verfasser unliebsamer Posts einleiten könnten.
Auskunftspflicht auch für Messengerdienste und Provider
Bisher sind nur Anbieter von Telemedien von der Auskunftspflicht umfasst, also unter anderem soziale Netzwerke. Geplant ist, dass darüber hinaus auch alle Anbieter von Messengerdiensten wie WhatsApp, Signal oder Threema sowie Internetprovider (sog. Telekommunikationsunternehmen) unter bestimmten Voraussetzungen zur Herausgabe von Daten durch ein Gericht verpflichtet werden. Auf diese Weise soll zunächst der Telemediendienstanbieter, typischerweise das soziale Netzwerk, IP-Adresse und Bestandsdaten herausgeben müssen. In einem zweiten Schritt muss dann der Provider darüber Auskunft erteilen, wem die IP-Adresse zum maßgeblichen Zeitpunkt zugeordnet war.
Richterliche Beweissicherungsanordnung
Neben der Erweiterung des Auskunftsanspruchs auf alle absoluten Rechte ist die Beweissicherungsanordnung der zweite wesentliche Kritikpunkt am geplanten Gesetzesvorhaben. Nach Vorstellung des Bundesjustizministeriums sollen alle Diensteanbieter verpflichtet werden, sämtliche Bestands- und Nutzungsdaten des Verfassers der mutmaßlich rechtsverletzenden Äußerung zu speichern. In zeitlicher Hinsicht gilt die Speicherpflicht ab der Einleitung bis zum Abschluss des gerichtlichen Auskunftsverfahrens. Duch dieses Verfahren im Stil eines Quick-Freeze soll verhindert werden, dass ein bestehender Auskunftsanspruch nur deshalb ins Leere läuft, weil die Daten bereits gelöscht worden sind. Der Chaos Computer Club kritisiert, dass die Speicher- und Identifikationspflicht faktisch zu einer Vorratsdatenspeicherung führt und auch solche Daten gespeichert werden, die für die Rechtsverfolgung nicht notwendig sind.
Das Bundesjustizministerium hat sich zum Ziel gesetzt, dass die gerichtliche Sicherungsanordnung innerhalb weniger Tage nach Einleitung des Auskunftsverfahrens erfolgt. Ob die Zivilgerichte dem gerecht werden können, bleibt abzuwarten. Der Deutsche Richterbund geht jedenfalls von einer dreistelligen Zahl neuer Richter aus, die zur Bewältigung der neuen Aufgaben erforderlich wären.
Auskunftsverfahren nur mit Anwalt
Für das Auskunftsverfahren soll das Landgericht zuständig sein. Da am Landgericht Anwaltszwang besteht, müssten Betroffene – mit den damit verbundenen Kosten – einen Anwalt mandatieren und mit dessen Hilfe das Auskunftsverfahren durchführen. Der Betroffene, vertreten durch seinen Anwalt, muss beim Landgericht einen Antrag auf Auskunft stellen, woraufhin das Landgericht die genannten Maßnahmen gegen Telemediendienste oder Telekommunikationsunternehmen anordnen kann.
Richterliche Accountsperren
Betroffene von schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen sollen verlangen können, dass das Gericht dem Diensteanbieter die Sperrung desjenigen Accounts anordnet, über den die Persönlichkeitsrechtsverletzung verbreitet wurde. Dies soll den Rechtsschutz gegen „notorische Rechtsverletzer im digitalen Raum“ verbessern. Die geplante Accountsperre orientiert sich stark an den Voraussetzungen, die auch der DSA vorsieht. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit soll die Accountsperre nur für einen angemessenen Zeitraum angeordnet werden können. Im Einzelnen wird die Accountsperre an die folgenden Bedingungen geknüpft:
- Schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung
- Rechtsverletzung und nicht bloße Verletzung von Community-Standards
- Inhaltemoderation als milderes Mittel reicht nicht aus
- Gefahr der Wiederholung schwerwiegender Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
- Der Diensteanbieter hat den Accountinhaber auf das Sperrersuchen hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben
Die Accountsperre erfasst nur diejenigen Fälle, in denen immer wieder dieselbe Person attackiert wird. Demnach dürfte dem Accountinhaber, der das allgemeine Persönlichkeitsrecht verschiedener Personen verletzt, keine Accountsperre drohen. Da eine Persönlichkeitsrechtsverletzung vorliegen muss, wird das Posten volksverhetzender Inhalte oder verfassungsfeindlicher Symbole für eine Accountsperre nach dem Gesetz gegen digitale Gewalt ebenfalls nicht ausreichen.
Erleichterung der Zustellung
Nach § 5 Abs. 1 NetzDG haben Anbieter sozialer Netzwerke im Inland einen Zustellungsbevollmächtigten zu ernennen. Hierdurch können Zustellungen in Gerichtsverfahren vor deutschen Gerichten bewirkt werden. Wegen des DSA wird das NetzDG aufgehoben werden, allerdings soll eine dem § 5 Abs. 1 NetzDG vergleichbare Regelung in das neue Gesetz gegen digitale Gewalt eingefügt werden. Denn anderenfalls müsste zeit- und kostenintensiv im Ausland zugestellt werden.
Die neue Regelung soll außerdem nicht nur für Zustellungen im Gerichtsverfahren, sondern auch für außergerichtliche Schreiben gelten. Aufforderungen zur Löschung rechtswidriger Inhalte könnten so ebenfalls leicht zugestellt werden.
Wie geht es jetzt weiter?
Bis zum 23. Mai dieses Jahres können interessierte Kreise zum Eckpunktepapier Stellung nehmen. Voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte 2023 soll dann der Referentenentwurf vorgelegt werden. Es bleibt also abzuwarten, ob die Beweissicherungsanordnung im Stile eines Quick-Freeze sowie die Ausweitung des Auskunftsverfahrens auf alle absoluten Rechte kommen werden. Für das Gesetz gegen digitale Gewalt könnte die auch nur beschränkte Kapazität der Landgerichte noch zu einem Problem werden. Da die Aufstockung mit Richtern in dreistelliger Höhe natürlich zu Belastungen des Haushalts führt, ist aber insoweit erst einmal keine Abhilfe in Sicht.