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Ist „individuelles“ Dynamic Pricing zulässig?

Ist „individuelles“ Dynamic Pricing zulässig?

Sie kennen es wahrscheinlich, wenn Sie online nach Produkten, Reisen oder Flügen suchen – Die Preise verändern sich ständig! Für die Bestimmung der Preise werden immer häufiger auch personenbezogene Daten potenzieller Kunden ausgewertet. Wir wollen die Vereinbarkeit von Dynamic Pricing mit dem Verbot ausschließlich automatisierter Entscheidungen nach Art. 22 DSGVO beleuchten.

Was ist Dynamic Pricing?

Es gibt verschiedene Ansätze bei Dynamic Pricing, bei manchen werden nur allgemeine Informationen, wie z.B. die Tageszeit oder allgemeine Nachfrage zur Zeit eines Kaufs verarbeitet. Häufig werden aber auch personenbezogene Daten des potenziellen Kunden verarbeitet, wie jüngst das Dynamic Pricing bei dem Carsharing-Angebot von Sixt. Algorithmen berechnen individuell Preise, z.B. je nach bisherigem Suchverhalten des potenziellen Kunden, seinem Aufenthaltsort, Warenkorbabbrüchen, Einkäufen und dem genutzten Endgerät. Die Preise können also steigen, wenn man ein Produkt schon öfters angesehen hat, ein Apple Gerät nutzt oder in München wohnt statt in der Uckermark.

Zulässigkeit von Dynamic Pricing nach Art. 22 DSGVO

Der Wortlaut des Art. 22 Abs. 1 DSGVO macht klar:

„Die betroffene Person hat das Recht, nicht einer ausschließlich auf einer automatisierten Verarbeitung – einschließlich Profiling – beruhenden Entscheidung unterworfen zu werden, die ihr gegenüber rechtliche Wirkung entfaltet oder sie in ähnlicher Weise erheblich beeinträchtigt“.

Es geht dabei also nicht um das Verbot automatisierter Entscheidungsfindung, sondern um die Verwendung der Ergebnisse. Folgende Voraussetzungen müssen vorliegen:

  • Eine Entscheidung, dynamische Preisgestaltung
  • die ausschließlich automatisiert erfolgt
  • mit rechtlicher Wirkung oder in ähnlicher Weise erheblich beeinträchtigend,
  • die nachteilig für die betroffene Person ist

Ist Dynamic Pricing eine „ausschließlich automatisierte“ Entscheidung?

Eine automatisierte Entscheidung liegt nur dann nicht vor, wenn sich ein Mensch inhaltlich mit der Entscheidung auseinandersetzt. Er muss die Entscheidung so überprüfen, dass die getroffene Entscheidung in letzter Konsequenz von einem Menschen und nicht von der Maschine zu verantworten ist.

Nicht ausreichend ist es also, wenn die Entscheidung pro forma über den Schreibtisch eines Mitarbeiters läuft, der weder die Befugnis noch ausreichend Informationen hat, um die automatische Entscheidung in Frage zu stellen.

Danach ist Dynamic Pricing eine ausschließlich automatisierte Entscheidung. Angesichts der Vielzahl von Entscheidungen beim Dynamic Pricing, der Schnelligkeit und einer praktisch nicht denkbaren Unterbrechung eines Kaufvorgangs ist eine menschliche Überprüfung beim Dynamic Pricing nicht möglich, z.B. sollen allein bei Amazon pro Monat ca. 3-4 Millionen Preisveränderungen stattfinden. Diese erfolgen nicht notwendig unter Verarbeitung von personenbezogenen Daten, lassen aber den Umfang von Dynamic Pricing erahnen.

Rechtliche Wirkung oder ähnliche erhebliche Beeinträchtung?

Die entscheidende Frage ist, ob Dynamic Pricing gegenüber dem Kunden eine rechtliche Wirkung entfaltet. Schließlich könnte der Kunde auch bei einem anderen Anbieter kaufen.

Eine rechtliche Wirkung ist dann gegeben, wenn die Rechtsposition einer betroffenen Person in irgendeiner Weise verändert wird, z.B. indem ein Recht oder Rechtsverhältnis begründet oder aufgehoben wird. Im privaten Geschäftsverkehr fallen unter diesen Begriff Entscheidungen über einen Vertragsschluss oder die konkrete Ausgestaltung eines Vertrages. Ob das bei Dynamic Pricing der Fall ist problematisch. Einerseits wird der Preis eines Angebots festgelegt, ohne das der Kunde die Möglichkeit hat, dem zu widersprechen. Andererseits ist das so festgelegte Angebot lediglich eine „invitatio ad offerendum“, also eine Aufforderung zur Abgabe eines Angebots seitens des Kunden. Der Kunde entscheidet also letztlich darüber, ob ein Vertragsschluss zustande kommt und damit eine rechtliche Wirkung des Dynamic Pricing entsteht.

Letztendlich kann diese Frage aber dahinstehen, wenn der Kunde in ähnlicher Weise erheblich beeinträchtigt wird. Dafür bedarf es nach allgemeiner Auffassung einer nicht nur geringfügigen Beeinträchtigung der wirtschaftlichen oder persönlichen Situation der betroffenen Person. In der rechtlichen Literatur ist die Erheblichkeit der Beeinträchtigung beim Dynamic Pricing umstritten. Aus unserer Sicht ist diese aber gegeben, denn ein Kunde kann durch die automatisierte Preisanpassung einen erheblichen wirtschaftlichen Nachteil erleiden. Er kann sich zudem nicht dagegen wehren, dass ihm ein Vertragsschluss nur zu so ermittelten Konditionen angeboten wird. Es liegt also eine ähnliche erhebliche Beeinträchtigung vor. (Sollte man diese Einschätzung nicht teilen, fällt man an dieser Stelle aus der Prüfung des Art. 22 DSGVO und kann über eine Zulässigkeit nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO wie hier beschrieben nachdenken.)

Das Dynamic Pricing muss nachteilig sein!

Die Gleichstellung der beiden Alternativen in Art. 22 Abs. 1 DSGVO „rechtliche Wirkung oder sonstige erhebliche Beeinträchtigung“ legt nahe, dass die Entscheidung für die betroffene Person nachteilig sein muss.

In diesem Kontext stellt sich die Frage, wann Dynamic Pricing nachteilig wirkt. Welchen Vergleichswert legt man an? Was ist beispielsweise, wenn ein Anbieter zwar unter den Marktpreisen liegt, aber aufgrund von Dynamic Pricing einem Kunden einen höheren Preis anzeigt als üblich, dieser aber immer noch unter dem Marktdurchschnitt liegt? Diese Frage ist noch zu klären – Es bedarf wahrscheinlich einer Abwägung im Einzelfall.

Eine positive Beeinflussung von Preisen durch Dynamic Pricing fällt jedenfalls nicht unter das Verbot des Art. 22 Abs. 1 DSGVO.

Rechtfertigung des Dynamic Pricing?

Nach Art. 22 Abs. 2 DSGVO (bzw. Erwägungsgrund 71) kann eine ausschließlich automatisierte Entscheidung ausnahmsweise zulässig sein, wenn:

  • sie erforderlich ist für den Abschluss eines Vertrages oder dessen Erfüllung
  • ein Gesetz es erlaubt
  • oder die betroffene Person ausdrücklich einwilligt

Erforderlichkeit für den Vertragsabschluss

Eine automatische Entscheidung kann zulässig sein, wenn sie erforderlich ist für den Abschluss oder die Erfüllung eines Vertrages zwischen der betroffenen Person und dem Verantwortlichen. Erforderlich können solche Entscheidungen sein, wenn der Anbieter sie für seine interne Entscheidung und Kalkulation benötigt. Das ist z.B. im Bankengeschäft bei der Entscheidung über die Höhe von Darlehenszinsen üblich. Es ist dann auch zulässig, eine für die andere Seite nachteilige Entscheidung zu treffen, indem ein Vertragsabschluss abgelehnt wird oder der Vertrag nur zu schlechteren Konditionen abgeschlossen wird.

Für die Erforderlichkeit spricht auch die Privatautonomie des Anbieters. Schließlich ist Dynamic Pricing „nur“ eine ausgeklügelte Variante von uns allen bekannten Preisanpassungen nach Jahreszeit, Tageszeit (z.B. an Tankstellen) oder Umweltfaktoren. Der wirtschaftliche Erfolg eines Unternehmens hängt letztendlich davon ab, dass es kluge Entscheidungen trifft, wozu auch eine optimale Preisfindung gehört. Dynamic Pricing ist gewissermaßen nur ein neues Tool im „Werkzeugkasten“ der Händler, indem der Preis bestimmt wird, den der konkrete Kunde noch bereit ist zu zahlen. So kann der Anbieter eine optimale Marge erzielen und wirtschaftlich arbeiten.

Möglichkeit der Stellungnahme des Kunden

Problematisch ist allerdings das der Verantwortliche nach Art. 22 Abs. 3 DSGVO angemessene Maßnahmen zur Wahrung der Rechte und Freiheiten der betroffenen Person treffen muss. Die betroffene Person muss dabei mindestens das Recht haben, ein Eingreifen einer Person auf Seiten des Verantwortlichen zur Prüfung der automatisierten Entscheidung zu erwirken. Der Kunde müsste also theoretisch gegenüber einem Mitarbeiter des Anbieters seinen eigenen Standpunkt erläutern können.

Umsetzung der Stellungnahme

Angenommen ein Student möchte also auf seinem schicken MacBook – für das er seine letzten Ersparnisse aufgebraucht hat – neue Sneaker kaufen. Der Algorithmus des „Stores“ bezieht als ein Merkmal der Preisfindung mit ein, mit welchem Endgerät der Nutzer die Seite aufruft. Ein potenzieller Kunde mit einem MacBook wird dabei als eher gut betucht eingestuft. Dem Studenten werden nun die Sneaker statt für üblich 100 € für 120 € angeboten. Rein nach dem Gesetzeswortlaut müsste er nun die Möglichkeit erhalten gegenüber einem Mitarbeiter des Händlers darzulegen, dass der Eindruck täuscht, er seinen letzten Heller für das MacBook ausgegeben hat und deswegen eigentlich sogar in den Genuss von Vorteilspreisen kommen müsste.

Dieses Beispiel zeigt, dass die Einräumung einer Möglichkeit zur Stellungnahme in dem Kontext von Dynamic Pricing lebensfremd erscheint.

Ausnahme vom Verbot aufgrund einer Rechtsvorschrift

Alternativ kann der nationale oder europäische Gesetzgeber Rechtsvorschriften erlassen, die Ausnahmen von dem Verbot zulassen. Zwar hat der deutsche Gesetzgeber mit § 31 BDSG die Zulässigkeit von Scoring geregelt, aber diese Norm greift hier nicht, da Scoring die Verarbeitung im Vorfeld einer Entscheidung erfasst und nicht die Entscheidung als solche.

Ausnahme aufgrund einer Einwilligung

Eine weitere Möglichkeit ist die Einwilligung der betroffenen Person. Problematisch ist, dass die Einwilligung informiert, freiwillig und bestimmt erfolgen muss. Aufgrund der Komplexität der Bewertungsalgorithmen, der Schnelligkeit der getroffenen Entscheidungen und der unerwünschten Unterbrechung des Kaufvorgangs ist die Einholung einer Einwilligung kein praktikabler Weg. Es würden wohl auch nur Kunden einwilligen, die von Dynamic Pricing profitieren, was dem Sinn des Einsatzes zuwider laufen würde.

Privatautonomie vs. Datenschutz

Letztendlich stehen sich bei Dynamic Pricing die Regelungen der DSGVO und der Grundsatz der Privatautonomie gegenüber.

Einerseits ist Dynamic Pricing nur die Verfeinerung der schon immer stattfindenden Preisgestaltung in einem sich ständig verändernden Marktumfeld. Für den Einsatz spricht auch, dass sich Verbraucher an Dynamic Pricing bei Angeboten mit einem Verfallsdatum – also bei Flügen, Hotels etc. – bereits gewöhnt haben.

Andererseits verfolgt das Verbot ausschließlich automatisierter Entscheidungen das hehre Ziel, dass Menschen nicht zu Objekten von Computerentscheidungen degradiert werden sollen. Die Entscheidung über Menschen soll also nicht allein Computerprogrammen überantwortet werden. Der Gesetzgeber hatte wohl Situationen wie Bonitätsprüfungen im Sinne und weniger eher triviale Situationen wie Onlinekäufe.

Einen Ausweg könnte die transparente Information der Kunden bieten, indem Webshops Kunden im Vorfeld des Kaufs über die individuelle Preisgestaltung nachvollziehbar aufklären. Diese Lösung läuft wohl aber dem Reiz des Dynamic Pricing entgegen, wie auch das Beispiel von Sixt’s Carsharing Angebot gezeigt hat. Die Kunden mögen verständlicherweise nicht, wenn sie sehenden Auges mehr zahlen müssen als ihre Mitmenschen.

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  • Die Entscheidung hat hier der Gesetzgeber bereits getroffen, und zwar gegen die Privatautonomie und zugunsten der Persönlichkeitsrechte. Auch der Vergleich mit „Angeboten mit Verfallsdatum“ hinkt, denn auch dort werden alle Kunden gleich behandelt. Verringert sich z.B. die Anzahl freier Plätze eines Fluges, wird die Buchung für alle gleichermaßen teurer, egal, ob sie per MacBook, Smartphone oder Desktop-PC buchen.

    • Der Gesetzeswortlaut spricht tatsächlich für eine gesetzgeberische Entscheidung zugunsten der Persönlichkeitsrechte und gegen die Privatautonomie. Es ist jedoch fraglich, ob dem Gesetzgeber ein so weiter Anwendungsbereich des Verbots ausschließlich automatisierter Entscheidungen bewusst war.

      In dem Artikel wird kein Vergleich mit dem Einsatz von Dynamic Pricing bei Angeboten mit Verfallsdatum angestellt. Dieser Bereich wird vielmehr nur als Beispiel für die weitgehende Akzeptanz von Dynamic Pricing in gewissen Bereichen genannt.

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