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Künstliche Intelligenz und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats

Künstliche Intelligenz und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats

Künstliche Intelligenz und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats sind zunehmend Streitthemen. Denn KI ist längst in der Arbeitswelt angekommen. Doch der neuen Technik begegnen auch Misstrauen, Sorgen und Ängste. Deshalb stellt sich die Frage, ob der Betriebsrat bei der Einführung von künstlicher Intelligenz Mitbestimmungsrechte hat. Eine erste Entscheidung dazu hat das Arbeitsgericht Hamburg in einem Einstweiligen Rechtschutzverfahren geliefert.

Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats

Der Betriebsrat ist eine wichtige Institution, um die Rechte der vertretenen Arbeitnehmer zu verteidigen. Dazu hat er Mitbestimmungsrechte. Eine wichtige Regelung stellt § 87 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) dar. Nach der Vorschrift des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hat der Betriebsrat in Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb mitzubestimmen. Es gibt Bereiche im Betrieb, in deren Rahmen der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht hat, und solche Bereiche, die mitbestimmungsfrei sind.

Wann darf der Betriebsrat mitbestimmen?

Gegenstand des Mitbestimmungsrechts ist das betriebliche Zusammenleben und kollektive Zusammenwirken der Beschäftigten. Vorgaben des Arbeitgebers, die das Verhalten der Beschäftigten im Betrieb beeinflussen und koordinieren, bedürfen der Zustimmung des Betriebsrats. Dies soll gewährleisten, dass die Beschäftigten gleichberechtigt an der Gestaltung des betrieblichen Zusammenlebens teilhaben können. Daraus schließt die Rechtsprechung, dass nur solche Maßnahmen mitbestimmt werden dürfen, die das so genannte Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer betreffen. Dieses ist berührt, wenn die Maßnahme auf die Gestaltung des kollektiven Miteinander oder die Gewährleistung und Aufrechterhaltung der vorgegebenen Ordnung des Betriebs zielt.

Welche Maßnahmen des Arbeitgebers sind mitbestimmungsfrei?

Mitbestimmungsfrei sind dagegen Maßnahmen, die das so genannte Arbeitsverhalten der Beschäftigten regeln. Darum handelt es sich, wenn der Arbeitgeber kraft seines arbeitsvertraglichen Weisungsrechts näher bestimmt, welche Arbeiten auszuführen sind und in welcher Weise das geschehen soll. Deshalb sind Anordnungen, mit denen lediglich die Arbeitspflicht konkretisiert wird, Mitbestimmungsfrei.

Künstliche Intelligenz und Mitbestimmungsrechte

Es wird deutlich, dass die Trennung zwischen mitbestimmungspflichtigen und mitbestimmungsfreien Maßnahmen des Arbeitgebers schwierig sein kann. Und immer dort, wo es schwierig wird, kann man sich streiten. Und so streiten sich derzeit ein Betriebsrat mit dem Arbeitgeber über die Frage, ob die Einführung von KI-Techniken mitbestimmungsfrei ist, oder ob der Betriebsrat ein Wörtchen mitzureden hat.

Das Arbeitsgericht Hamburg (Az.: 24 BVGa 1/24) hat sich im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes mit der Frage auseinandergesetzt.

Was genau ist passiert?

Ein Unternehmen hat im Intranet Richtlinien zum Umgang mit KI veröffentlicht. Namentlich die „Guidelines for Generative Al Utilization“, die “Generative KI-Richtlinie Version 1“ und das Handbuch „Generative al Manual ver.1.0“. Darin werden den Arbeitnehmern Vorgaben gemacht, wenn diese bei der Arbeit IT-Tools mit künstlicher Intelligenz nutzen. Gleichzeitig veröffentlichte das Unternehmen im Intranet eine Erklärung an die Mitarbeiter, in der über die KI-Leitlinien informiert und zum Aufbruch in neue KI-Welten aufgerufen wird:

„Nutzen wir die generative KI als neues Werkzeug, um unsere Arbeit zu unterstützen.“

Die Arbeitnehmerschaft, vertreten durch den Betriebsrat, sah das aber skeptischer. Jedenfalls meint der Betriebsrat, vorher um Zustimmung gefragt werden zu müssen. Bis zur Fertigstellung einer Konzernbetriebsvereinbarung sollte die Nutzung von KI, insbesondere von ChatGPT, untersagt werden. Der Arbeitgeber habe durch die Entsperrung von ChatGPT verbunden mit der Veröffentlichung von Richtlinien zur Nutzung generativer Künstlichen Intelligenz die Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte des Betriebsrats grob verletzt. Auch sei ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 und Nr. 7 BetrVG gegeben.

Der Arbeitgeber stellt sich dagegen und führt folgende Argumente an: Der Einsatz von ChatGPT erzeugt keinen Überwachungsdruck, da das Unternehmen keine Eingriffs-, Kontroll- bzw. Zugriffsmöglichkeit auf ChatGPT habe. Mit der erarbeiteten Datenschutz-Folgeabschätzung zu ChatGPT sowie durch die Richtlinie mit Handlungsempfehlungen für die Nutzung des Tools seien Datenschutzbedenken ausgeräumt worden. Außerdem sei die Nutzung für die Arbeitnehmer freiwillig und deshalb im Ergebnis nicht anders zu bewerten als die Nutzung der Google-Suchfunktion zur Arbeitserledigung.

Der Beschluss des Gerichts zu KI und Mitbestimmungsrechten

Das Gericht lehnte die Anträge des Betriebsrates ab. Teilweise aus prozessrechtlichen Erwägungen, denn nicht alle Anträge waren zulässig. Aber auch in der Sache vertrat das Gericht die Rechtsmeinung, dass ein Verstoß gegen § 87 BetrVG nicht vorliegt.

Mitbestimmungsfrei seien nämlich Maßnahmen, die das so genannte Arbeitsverhalten der Beschäftigten regeln. Darum handelt es sich, wenn der Arbeitgeber kraft seines arbeitsvertraglichen Weisungsrechts näher bestimmt, welche Arbeiten auszuführen sind und in welcher Weise das geschehen soll. Mitbestimmungsfrei sind deshalb Anordnungen, mit denen lediglich die Arbeitspflicht konkretisiert wird (BAG vom 23.08.2018 – 2 AZR 235/18). Die Entscheidung, ob, wann und wie die vertraglich zugesagte Arbeit zu erledigen ist und wie deren Erbringung kontrolliert und gesichert wird, fällt nicht unter den Mitbestimmungstatbestand (BAG vom 15.04.2014 – 1 ABR 85/12).

„Wendet man diese Grundsätze der ständigen BAG-Rechtsprechung an, so fallen die Vorgaben zur Nutzung von ChatGPT und vergleichbarer Tools unter das mitbestimmungsfreie Arbeitsverhalten (so auch: Holthausen, RdA 2023, S. 261 ff.; Kalbfus/Schöberle, NZA 2023, S. 251 ff.; Witteler, ZD 2023, S. 377 ff.). [Der Arbeitgeber] stellt seinen Arbeitnehmern ein neues Arbeitsmittel unter bestimmten Bedingungen zur Verfügung. Richtlinien, Handbuch usw. sind somit Anordnungen, welche die Art und Weise der Arbeitserbringung betreffen, weshalb kein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG besteht.“ (Beschluss des Arbeitsgerichts, Rn. 39)

Dem Einwand des Betriebsrats, dass es zu einer Teilung der Belegschaft führen könne, da es eine aufgeschlossene Gruppe von Arbeitnehmern gebe und eine Gruppe, die künstlicher Intelligenz skeptisch gegenüberstünden – weshalb im Ergebnis das Zusammenleben der Belegschaft und damit das Ordnungsverhalten betroffen seien – folgte das Gericht nicht. Denn dies sei wohl immer anzunehmen und widerspräche deshalb dem gesetzgeberischen Willen.

Aber handelt es sich bei künstlicher Intelligenz um eine technische Einrichtung?

Nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat der Betriebsrat bei der Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen, mitzubestimmen. Fraglich ist deshalb, ob Künstliche Intelligenz deshalb Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats mit sich bringt.

Das Mitbestimmungsrecht ist darauf gerichtet, Arbeitnehmer vor Beeinträchtigungen ihres Persönlichkeitsrechts durch den Einsatz technischer Überwachungseinrichtungen zu bewahren, die nicht durch schutzwerte Belange des Arbeitgebers gerechtfertigt und unverhältnismäßig sind (BAG vom 03.12.2016 – 1 ABR 7/15).

„Überwachung“ im Sinne des Mitbestimmungsrechts ist ein Vorgang, durch den Informationen über das Verhalten oder die Leistung von Arbeitnehmern seitens des Arbeitgebers erhoben werden. Jedenfalls findet in der Regel auch eine Aufzeichnung statt, um sie auch späterer Wahrnehmung zugänglich zu machen. Die Informationen müssen auf technische Weise ermittelt und dokumentiert werden, so dass sie zumindest für eine gewisse Dauer verfügbar bleiben und vom Arbeitgeber herangezogen werden können.

„Die Überwachung muss durch die technische Einrichtung selbst bewirkt werden. Dazu muss diese aufgrund ihrer technischen Natur unmittelbar die Überwachung vornehmen. Das setzt voraus, dass die technische Einrichtung selbst und automatisch die Daten über bestimmte Vorgänge erhebt, speichert und/oder verarbeitet. Ausreichend ist, wenn lediglich ein Teil des Überwachungsvorgangs mittels einer technischen Einrichtung erfolgt. Zur Überwachung „bestimmt“ sind technische Einrichtungen, wenn sie objektiv geeignet sind, dass der Arbeitgeber Verhaltens- oder Leistungsinformationen über den Arbeitnehmer erheben und aufzuzeichnen kann. Auf die subjektive Überwachungsabsicht des Arbeitgebers kommt es nicht an“ (BAG vom 03.12.2016 – 1 ABR 7/15).

Gibt es andere Gründe für ein Mitbestimmungsrecht bei künstlicher Intelligenz?

Ebenfalls ist ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG nicht ersichtlich. Voraussetzung für das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG i.V.m. § 3a Abs. 1 S. 1 ArbStättV, § 3 Abs. 1 S. 1 ArbStättV ist eine vorliegende oder im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG festgestellte konkrete Gefährdung der Mitarbeiter (LAG Düsseldorf vom 09.01.2018 – 3 TaBVGa 6/17). Zu einer konkreten Gefährdung hat der Betriebsrat nichts vorgetragen, sie sind nach Auffassung des Gerichts auch sonst nicht erkennbar.

Arbeitnehmerdatenschutz, KI und Mitbestimmungsrechte

Die Verästelung zwischen Arbeitsrecht, Kollektivarbeitsrecht (also Betriebsrat und Co.) und Datenschutz nimmt stetig zu. Wachsendes Bewusstsein für den Datenschutz sowie die rasante Entwicklung neuer Techniken bringen viele neue Fragen mit sich. Künstliche Intelligenz und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats werden zu einem Thema werden. Ein Ende ist dabei nicht in Sicht – es bleibt also spannend.

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  • Hallo, ich vermisse einen kurzen Hinweis auf § 90 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG (Unterrichtungspflicht des AG bei (geplantem) Einsatz von KI).
    Liebe Grüße und ein schönes Wochenende Florian A. Stock, LL.M.

    • Vielen Dank für den Hinweis. § 90 BetrVG wurde kurz geprüft, aber abgelehnt.

      Gemäß § 90 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG hat der Arbeitgeber den Betriebsrat über die Planung von Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufen einschließlich des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz rechtzeitig unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen zu unterrichten.

      Ob eine solche Unterrichtung im Sinne der Vorschrift im vorliegenden Fall stattgefunden hat, ließ das Gericht offen.
      „Dahinstehen kann, ob die Beteiligte zu 2. die Unterrichtungs- und Beratungsrechte des Betriebsrats nach § 90 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BetrVG hinreichend erfüllt hat, denn ein einmaliger Verstoß gegen § 90 BetrVG stellt noch keine grobe Pflichtverletzung i.S.d. § 23 Abs. 3 BetrVG dar.“ (Arbeitsgericht Hamburg Az.: 24 BVGa 1/24 Rn. 46)

      Weiter heißt es dort (Rn. 48):

      „Aus § 90 BetrVG kann sich ein Verfügungsanspruch nicht ergeben, denn § 90 BetrVG gewährt lediglich Unterrichtungs- und Beratungsrechte, aber kein Mitbestimmungsrecht, das den Arbeitgeber an einer einseitigen Durchführung der Maßnahme hindert. Daher würde eine einstweilige Verfügung gerichtet auf Beseitigung oder Unterlassen einer Maßnahme über den Hauptanspruch hinausgehen (vgl. nur: Fitting, § 90 BetrVG, Rn. 48).“

  • Die Personalvertretungen werden immer über die Leistungs- und Verhaltenskontrolle, über die Einführung neuer Software/Techniken und auch über die Notwendigkeit von Schulungen kommen. Und wenn man das alles abgewehrt hat steigen die Personalvertretungen wieder ein, wenn es um die konkreten Verfahrensanweisungen bspw. zum Umgang mit Ergebnissen geht. Viel Spaß und Grüße aus einem mitbestimmungsfreien Universum.

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