Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Koblenz entschied mit Urteil vom 25.06.2021 (Az. 10 A 10302/21.OVG), dass der Abbau einer abgeschalteten Überwachungskamera nicht aufgrund der DSGVO von der Aufsichtsbehörde angeordnet werden durfte. Lesen Sie in diesem Artikel den Grund der Entscheidung und welche Folgen auf den Verantwortlichen trotzdem zukommen können.
Der Inhalt im Überblick
Keine erweiternde Auslegung des Verbotsbegriffes
Der Kläger hatte bereits in der ersten Instanz teilweise Erfolg mit seiner Klage (VG Mainz, Urteil vom 24.09.2020 – 1 K 584/19.MZ), wie wir bereits in diesem Beitrag berichteten. Nun gab auch das OVG Koblenz mit dem Urteil vom 25.06.2021 (Az. 10 A 10302/21.OVG) dem Kläger teilweise recht. Es stellte in seinem Urteil ebenfalls fest, dass eine Abbauverfügung nicht von Art. 58 Abs. 2 DSGVO umfasst sei. Diese Befähigung kann, laut dem OVG Koblenz, auch nicht aus einer erweiternden Auslegung des Verbotsbegriffes gemäß Art. 58 Abs. 2 lit. f DSGVO entnommen werden.
Wann ist Videoüberwachung zulässig?
Die Zulässigkeit einer Videoüberwachung richtet sich in den meisten Fällen nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO. Hierbei müssen drei Kriterien beachtet werden:
- Die Wahrung berechtigter Interessen,
- die Erforderlichkeit und
- eine Interessenabwägung.
Die Wahrung „berechtigter Interessen“ stellt häufig den Schutz von Eigentum dar. Erforderlichkeit meint, dass es kein anderes, milderes Mittel gibt, dass den Zweck mit der gleichen Effektivität erreicht. Schließlich muss eine Interessenabwägung erfolgen. Bei der Interessenabwägung müssen insbesondere Drittinteressen beachtet werden.
Aus Erwägungsgrund 47 ergibt sich, dass es darauf ankommt was die betroffene Person subjektiv erwartet, also ob diese im konkreten Fall mit einer Videoüberwachung rechnen kann. Es kommt jedoch auch darauf an, was ein objektiver Dritter erwarten kann. Weiter muss auch den Informationspflichten aus Art. 13 DSGVO nachgekommen werden. Hierzu gehört insbesondere die deutliche Kennzeichnung eines videoüberwachten Gebietes.
Was war geschehen?
Der Kläger, Eigentümer eines Einkaufszentrums, hatte eine große Werbetafel aufgestellt und Kameras installiert, um diese zu schützen. Er wehrte sich gegen die Anordnung der Beklagten (Aufsichtsbehörde) die Videoüberwachung zumindest teilweise einzustellen und insbesondere eine abgeschaltete Kamera abzubauen. Er begründet sein Interesse an der Videoüberwachung damit, dass er die Werbetafel gegen Vandalismus schützen wolle. Die Beauftragung eines Sicherheitsdienstes oder der Abschluss einer Versicherung seien in diesem Fall nicht wirtschaftlich.
Abbauanordnung nicht von Art. 58 Abs. 2 lit. f DSGVO umfasst
Das OVG Koblenz stellte in seinem Urteil fest, dass eine Abbauverfügung nicht von Art. 58 Abs. 2 DSGVO umfasst sei und eine deaktivierte Kamera schon nicht unter den Anwendungsbereich der DSGVO falle, da keine Verarbeitung von personenbezogenen Daten stattfinden könne.
„Die deaktivierte Kamera unterfällt bereits nicht dem Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung (1.). Überdies kommt Art. 58 Abs. 2 lit. f DSGVO als Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung des Abbaus nicht in Betracht. Eine erweiternde Auslegung dieser Vorschrift, wie sie der Beklagte vornimmt, scheidet aus (2.).“
Eine erweitere Auslegung des Verbotsbegriffs von Art. 58 Abs. 2 lit. f DSGVO komme nicht in Betracht, da dieser deutlich eingriffintensiver sei.
„Stellt sich das Verbot damit als ultima ratio der Abhilfemaßnahmen nach Art. 58 Abs. 2 lit. f DS-GVO dar (vgl. Simitis/Horn/Spiecker, a.a.O., Art. 58. Rn. 40; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Januar 2020 – 1 S 3001/19 – juris, Rn. 61), scheidet eine erweiternde Auslegung des Verbotsbegriffes im Sinne eines deutlich eingriffsintensiveren Gebots zum Abbau einer deaktivierten Kamera aus.“
Die Abbauordnung könne auch nicht in auf den unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz stützen, da der Verordnungsgeber mit Art. 58 DSGVO 26 konkrete Untersuchungs-, Abhilfe- und Genehmigungsbefugnisse geschaffen hat und damit eine unbewusste Lücke grundsätzlich nicht angenommen werden könne.
Weiter hätte auch der nationale Gesetzgeber durch die Öffnungsklausel gemäß Art. 58 Abs. 6 S. 1 DSGVO eine entsprechende Regelung einführen können. Dies habe er bis jetzt nur in Gestalt von § 40 Abs. 3 S. 3 und Abs. 6 S. 2 BDSG getan, hingegen nicht in Bezug auf die Ermächtigung zum Erlass einer Beseitigungsanordnung. Der deutsche Gesetzgeber hätte also den Aufsichtsbehörden das Recht den Abbau von Überwachungsanlagen anzuordnen einräumen können, hat dies jedoch nicht getan.
Ansprüche wegen Überwachungsdruck
Die Aufsichtsbehörde begründete die Anordnung bezüglich des Abbaus der Kameras auch damit, dass auch eine deaktivierte Kamera sog. „Überwachungsdruck“ erzeuge. Das OVG Koblenz stellte hierzu fest, dass dies grundsätzlich der Fall sein könne, aber keine Abbauanordnung rechtfertige. Soweit Videoüberwachung in persönliche Freiheitsrechte eingreife seien diesen auf dem Zivilrechtsweg geltend zu machen.
„Schließlich rechtfertigt der Umstand, dass von der abgeschalteten Kamera 01 ebenso wie von einer Attrappe ein sog. Überwachungsdruck ausgeht, nicht die Annahme einer Befugnis des Beklagten zur Anordnung des Abbaus. Soweit eine Videoüberwachung in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Einzelnen in seiner Ausprägung als Recht der informationellen Selbstbestimmung eingreift, sind evtl. Abwehr-, Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche vom Betroffenen im Zivilrechtsweg geltend zu machen“
„Überwachungsdruck“ kann vorliegen, wenn nicht mittels rein äußerlicher Wahrnehmung zu erkennen ist, ob auch bei tatsächlich nicht erfolgender Überwachung andauernd eine bloße Attrappe oder eine Überwachungskamera mit Aufzeichnungen betrieben wird, also wenn die Attrappe täuschend echt ist.
Folgen für Verantwortliche bei abgeschalteten Überwachungskameras
Die Aufsichtsbehörden sind somit nicht befugt auch den Abbau von Überwachungskameras aufgrund von Art. 58 DSGVO anzuordnen. Verantwortliche sollten sich jedoch bewusst sein, dass auch deaktivierte Kameras bzw. Kamera-Attrappen einen sog. „Überwachungsdruck“ erzeugen können und somit in die Rechte von Personen einschneiden können. Hieraus können Abwehr-, Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche folgen und damit zivilrechtliche Rechtsstreitigkeiten.