Die neue Produkthaftungsrichtlinie (ProdHaftRL) wurde am 18.10.2024 als Richtlinie (EU) 2024/2853 über die Haftung für fehlerhafte Produkte im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Sie ersetzt die alte ProdHaftRL aus dem Jahr 1985, um den Anforderungen des digitalen Binnenmarktes gerecht zu werden. Teil der Reform ist, dass künftig auch Software als Produkt im Sinne der Richtlinie gilt. Der Beitrag beleuchtet, was die neue ProdHaftRL in Gegenüberstellung zur alten regelt.
Der Inhalt im Überblick
Wofür wird nach der Produktsicherheitsrichtlinie gehaftet?
Grundaussage der ProdHaftRL ist, dass Hersteller verschuldensunabhängig für Fehler ihrer Produkte haften, wenn Verbraucher durch solche körperlich verletzt oder an ihrem Eigentum geschädigt werden (Art. 5 ProdHaftRL). Zum Schutz des Verbrauchers wird die Fehlerhaftigkeit des Produkts nicht an der Gebrauchstauglichkeit, sondern an der zu erwartenden Gebrauchssicherheit gemessen. Der Erwartungshorizont bemisst sich häufig nach dem Stand der Sicherheitstechnik (Art. 7 ProdHaftRL).
Wer haftet nach der Produktsicherheitsrichtlinie?
Für Produktfehler haftet potentiell jeder, der gewerbsmäßig an der Wertschöpfung des Produkts beteiligt ist (Art. 8 ProdHaftRL). Mehrere Schädiger haften insoweit als Gesamtschuldner (Art. 12 ProdHaftRL). Der Geschädigte muss die Kausalität zwischen Produktfehler und Schaden beweisen. In wichtigen Fällen wird die Fehlerhaftigkeit jedoch zumindest vermutet. Dies ist der Fall, wenn das Produkt nicht den gesetzlichen Anforderungen entspricht oder wenn der Fehler im Rahmen der zu erwartenden Verwendung auftritt (Art. 10 ProdHaftRL). Darüber hinaus kann der Hersteller zur Vorlage von Beweisen verpflichtet werden, wenn der Verbraucher einen Schadensersatzanspruch plausibilisiert (Art. 9 ProdHaftRL). Eine ähnliche Regelung sieht der Vorschlag für eine KI-Haftungsrichtlinie vor (Art. 3).
Was sind Produkte unter der ProdHaftRL?
Die wohl größte Neuerung der revidierten ProdHaftRL ist, dass sie Software als Produkt erfasst. Dies war unter der alten ProdHaftRL von 1985 nicht der Fall. So hieß es unter dieser noch:
„Bei der Anwendung dieser Richtlinie gilt als ‚Produkt‘ jede bewegliche Sache, (…). Unter ‚Produkt‘ ist auch Elektrizität zu verstehen.“ (Art. 2 ProdHaftRL a.F.)
Die neue ProdHaftRL erweitert den Begriff des Produkts um folgende Fiktion:
„Unter ‚Produkt‘ sind auch Elektrizität, digitale Konstruktionsunterlagen, Rohstoffe und Software zu verstehen.“ (Art. 4 Nr. 1 2. HS. ProdHaftRL)
Das eröffnet die Möglichkeit, dass Software wegen ungenügenden Datenschutzes oder IT-Sicherheit fehlerhaft im Sinne der ProdHaftRL sein kann. Sieht man, dass unter der neuen ProdHaftRL auch die „Vernichtung oder Beschädigung von Daten, die nicht für berufliche Zwecke verwendet werden, einen Schaden darstellen kann“ (Art. 6 Abs. 1 lit. c) ProdHaftRL), wird das Haftungspotential für den IT-Markt unter der neuen Richtlinie deutlich. Zwar war auch unter der alten ProdHaftRL umstritten, ob Software ein Produkt sein kann, jedoch kannte die ProdHaftRL keinen Schadensersatz für Daten. In Verbindung mit dem weiten Kreis der potentiell Haftenden ergibt sich daraus eine gewisse Brisanz.
Digitales Produktsicherheitsrecht – quo vadis?
Die neue ProdHaftRL passt sich unabhängig rechtspolitischer Fragen als Baustein in eine Kaskade jüngerer Rechtsakte der EU mit Bezug zum produktbezogenen digitalen Binnenmarkt ein, wie:
- dem Cyber Resilience Act,
- der KI-Verordnung,
- der KI-Haftungsrichtlinie,
- dem Data Act,
- und dem Data Governance Act.
Jeder dieser Rechtsakte hat weitgehend einen eigenen Anwendungsbereich mit eigenen Zielsetzungen. Hierdurch bietet der produktbezogene digitale Binnenmarkt bislang das Bild eines ungelösten Puzzles, dessen Motiv bis dato nicht klar erkennbar ist. Es ist zu hoffen, dass die EU bald zu einem kohärenten Bild dieses Puzzles findet. Ansonsten dürfte sich die oft geäußerte Kritik an der Überregulierung aus Brüssel mehr und mehr bewahrheiten.
Bezüglich Elektrizität: Dann hätte man bei Schäden durch Über- oder Unterspannung einen Schadenersatzanspruch gegen seinen Energieversorger?
Ich befürchte leider, dass sich aus der Richtlinie kein Anspruch gegen den Energieversorger bei Schäden durch Über- oder Unterspannung ergibt.
Die Fiktion, dass auch Strom als Produkt gilt, bezieht sich immer auf den Vertrieb einer beweglichen Sache.
Was die Richtlinie also nicht als Haftungsfälle erfasst, sind reine Dienstleistungen wie die Lieferung von Strom durch Energieversorger.