Das LAG Baden-Württemberg beschäftigte sich in seiner Entscheidung intensiv mit den Grenzen der arbeitsrechtlich zulässigen Einsichtnahme in, zumindest auch, privat genutzte E-Mail- und WhatsApp-Verläufe. In der Urteilsbegründung sind einige interessante und nützliche Erkenntnisse für die datenschutzrechtliche Bewertung solcher Sachverhalte zu finden.
Der Inhalt im Überblick
- Der typische Fall: Mitarbeiter nutzt dienstliche E-Mail auch privat
- Verschärfte Verhältnismäßigkeitskontrolle bei privater Nutzung von Kommunikationsmitteln
- Im Zweifel ist Privatnutzung gestattet
- Einzelne Einsichtnahmen sind zusammenhängender Verarbeitungsvorgang
- Richtiger Umgang mit Kommunikationsmittel im Unternehmen ist wichtige Organisationsfrage
Der typische Fall: Mitarbeiter nutzt dienstliche E-Mail auch privat
Anlass für das Verfahren (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.01.2023 – 12 Sa 56/21) gab eine verhaltensbedingte Kündigung gegenüber einem Arbeitnehmer, der sowohl seine dienstliche E-Mail-Adresse als auch sein Mobiltelefon geschäftlich und privat nutzte.
Der Arbeitgeber nahm bereits für die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses anlasslose Einsichtnahmen in die dienstlichen Kommunikationsmittel des Arbeitnehmers vor, ohne diesen davon in Kenntnis zu setzen. Als dann in einigen E-Mails Kommunikationen mit Konkurrenzunternehmen auftauchten, die, laut Gericht, über ein „normales“ Networking hinaus gingen, folgte durch den Arbeitgeber eine verhaltensbedingte Kündigung.
Die datenschutzrechtlichen Fallstricke beim Umgang mit Mitarbeiterpostfächern haben wir bereits in einem gesonderten Beitrag behandelt, auf den hier kurz hingewiesen sei.
Gegen die Kündigung wehrte sich der Arbeitnehmer mit einer Kündigungsschutzklage. Dieses Verfahren landete dann in zweiter Instanz als Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg.
Das Arbeitsgericht setzte sich im Rahmen der Urteilsbegründung mit folgenden datenschutzrechtlichen Fragen auseinander:
- Unterliegt jede einzelne Einsichtnahme des Arbeitgebers einer datenschutzrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung oder ist die Einsichtnahme als ein Verarbeitungsvorgang zu bewerten?
- Kann eine anlasslose verdeckte Einsichtnahme eine rechtmäßige Datenverarbeitung darstellen?
- Wie sind anlasslose Überprüfungen von Arbeitnehmerkommunikationsmitteln durchzuführen?
- Wovon ist auszugehen, wenn keine ausdrückliche Anweisung zur Privatnutzung von E-Mail-Accounts geschehen ist?
Eine rechtswidrige Datenverarbeitung führt, wie in diesem Fall, zu einem Sachvortragsverwertungsverbot der durch die Verarbeitung gewonnenen Kenntnisse und somit zur Unwirksamkeit der auf diese Erkenntnisse gestützten Kündigung. Dies führt häufig zu hohen Rückzahlungen von Arbeitslöhnen, die mangels Kündigung und daraus resultierendem Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses, anfallen können.
Verschärfte Verhältnismäßigkeitskontrolle bei privater Nutzung von Kommunikationsmitteln
Zwar fußt das Gericht die Verarbeitung des Arbeitgebers im Rahmen der streitgegenständlichen Einsichtnahmen in die Kommunikationsmittel des Arbeitnehmers auf den § 26 Abs. 1 S.1 BDSG, der laut EuGH wohl nicht den Anforderungen des Art. 88 DSGVO entspricht. Die geführte Argumentation lässt sich aber auch auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung des Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO übertragen.
Das LAG führt aus:
„Hat der Arbeitgeber die Privatnutzung dienstlicher Kommunikationsmittel (E-Mail; WhatsApp) erlaubt, ist im Rahmen von § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG bei deren Auswertung eine verschärfte Verhältnismäßigkeitskontrolle durchzuführen […].“
Diese verschärfte Verhältnismäßigkeitsprüfung führt zu der Frage, ob eine verdachtsunabhängige Einsichtnahme überhaupt eine rechtmäßige Datenverarbeitung darstellen kann. Und, wenn eine Einsichtnahme möglich ist, unter welchen Voraussetzungen diese erfolgen darf.
Hier kommt das LAG zu dem Ergebnis:
„Bei erlaubter Privatnutzung eines dienstlichen E-Mail-Accounts darf eine verdachtsunabhängige Überprüfung durch den Arbeitgeber in aller Regel nicht verdeckt erfolgen. Vielmehr muss dem Arbeitnehmer angekündigt werden, dass und aus welchem Grund eine Verarbeitung von E-Mails stattfinden soll. Es muss ihm die Gelegenheit gegeben werden, private Nachrichten in einem gesonderten Ordner zu speichern, auf den kein Zugriff erfolgt.“
Einer verdeckten Überprüfung ohne Anlass schiebt das LAG einen Riegel vor und gibt Hinweise für den Fall, dass tatsächlich eine anlasslose Kontrolle stattfinden soll. Fraglich ist nur, wie wirksam eine Kontrolle für die Aufdeckung von Kündigungssachverhalten ist, wenn dem Mitarbeiter vorher die Gelegenheit zur „Säuberung“ gegeben wird.
In der Konsequenz kann so wohl davon ausgegangen werden, dass eine anlasslose Kontrolle in diesem Kontext wenig Sinn ergibt. Allein, wenn bereits gefestigte Anhaltspunkte vorliegen, die auf das Vorliegen eines Kündigungsgrund hinweisen, kommt eine verdeckte Kontrolle als wirksame Aufklärungsmethode in Betracht.
Im Zweifel ist Privatnutzung gestattet
Im Rahmen des Verfahrens wurde die Frage relevant, ob im Zweifel, also ohne ausdrückliche Anweisungen des Arbeitgebers, eine Gestattung der Privatnutzung vorliegt oder nicht.
Hierzu führt das LAG aus:
„Gegen die Annahme eines pauschalen Verbots bei Nichtregelung der Privatnutzung durch den Arbeitgeber könnte nach Ansicht der Kammer sprechen, dass mittlerweile wohl die meisten Unternehmen in Deutschland ihren Mitarbeitern gestatten, auch private E-Mails in bestimmtem Umfang über ihren geschäftlichen Zugang zu versenden oder zu empfangen […]. Die Privatnutzung eines dienstlichen E-Mail-Accounts ist im Arbeitsleben heutzutage kein Ausnahmefall, sondern durchaus üblich.“
Auch hieraus lässt sich folgern, dass Unternehmen gut beraten sind, wenn bereits klare Richtlinien und Vorgaben zur Nutzung von Kommunikationsmitteln vorliegen, um sich nicht in einer vergleichbaren Situation wiederzufinden. Die Gestattung der Nutzung dienstlicher Kommunikationswege für private Zwecke ist laut LAG Baden-Württemberg im Zweifel anzunehmen.
Einzelne Einsichtnahmen sind zusammenhängender Verarbeitungsvorgang
Die Beklagtenseite (hier der Arbeitgeber) führte zudem aus, die Prüfung der Rechtmäßigkeit und damit die Verwertbarkeit der Einsichtnahmen stellen jeweils eine einzelne Verarbeitung dar und müssen folglich auch einzeln auf ihre datenschutzrechtliche Rechtmäßigkeit überprüft werden.
Das LAG erwiderte hierauf:
„Eine derartige Atomisierung eines einheitlichen Verarbeitungsvorgangs würde dazu führen, dass der Arbeitgeber selbst bei einer umfassenden, verdachtsunabhängigen und verdeckten Kontrollmaßnahme ins „Blaue“ hinein bei erlaubter Privatnutzung, einzelne Daten, die er zulässig hätte erheben können, verwerten darf. Dies würde insbesondere den datenschutzrechtlichen Grundsätzen der Zweckbindung (Art. 5 Abs. 1 Buchst. b DS-GVO) sowie der Datenminimierung (Art. 5 Abs. 1 Buchst. c DS-GVO) widersprechen“
Laut LAG handelt es sich somit bei solchen Kontrollmaßnahmen regelmäßig um einen einheitlich betrachteten Verarbeitungsvorgang.
Richtiger Umgang mit Kommunikationsmittel im Unternehmen ist wichtige Organisationsfrage
Wie das Urteil zeigt, ist der richtige Umgang mit Kommunikationsmitteln im Unternehmen nicht zu unterschätzen. Neben der Gefahr rechtswidriger Datenverarbeitungen von Beschäftigtendaten und daraus resultierender Bußgelder, besteht auch die Gefahr in kostenintensiven arbeitsrechtlichen Verfahren zu unterliegen. Es sollte darauf geachtet werden, dass klare Regelungen zum Umgang der Mitarbeiter mit den dienstlichen Kommunikationsmitteln vorliegen.
Solche könnten sein:
- Anweisungen zum richtigen Umgang mit den jeweiligen Diensten
- Verbot bzw. eindeutige Gestattung der privaten Nutzung
- Verpflichtung beim Offboarding, private Inhalte aus dienstlichen Postfächern zu löschen, um auch nach Ausscheiden eines Mitarbeiters Zugriff erlangen zu können.
Weitere Maßnahmen sollten in Zusammenarbeit mit ihrem externen Datenschutzbeauftragen auf Grundlage der jeweiligen Unternehmenssituation getroffen werden.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich frage mich, ob die Einsichtnahme in E-Mails nach Ausscheiden eines Mitarbeiters nicht unzulässig sein könnte aus Sicht des Senders der Mail. Zumindest müsste dieser ja informiert werden oder?
Vielen Dank für eine Rückmeldung.
Viele Grüße
Die Einsicht in E-Mail, wenn diese aus der Perspektive des Mitarbeiters datenschutzrechtlich unter oben genannten Gesichtspunkten zulässig ist, ist für den Sender der E-Mail schon deshalb rechtmäßig, weil dieser konkludent bereits in die Datenverarbeitung eingewilligt hat. Indem er eine E-Mail an das Unternehmen geschrieben hat, kann der Empfänger, und damit der Arbeitgeber, davon ausgehen, dass der Sender so „sehenden Auges“ seine Daten preisgibt.
Sollte es unterhalb der nummerierten Liste nicht eher unrechtmäßige Datenverarbeitung heißen?
Das ist korrekt, wir haben die Stelle korrigiert. Vielen Dank.