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Videoüberwachung und die Grenzen des Eigentumsschutzes

Videoüberwachung und die Grenzen des Eigentumsschutzes

Wenn die Lagerbestände schneller schwinden als sie sollten, dann gilt es den Übeltäter zu finden. Möglich wäre es mit einer umfassenden Videoüberwachung – doch das hat seine rechtlichen Tücken. In einem aktuellen Fall hat das Arbeitsgericht Hamm den Einsatz von Videoüberwachung teilweise für rechtswidrig erklärt.

Videoüberwachung – das Allheilmittel?

Überall lauern Gefahren für Unternehmen. Hier wird geklaut, da werden Sachen beschädigt und am Ende hat das Unternehmen für all das einzustehen. Umso besser also, wenn mit Hilfe von Videoüberwachung einfach, günstig und unkompliziert den Übeltäter ausfindig machen kann. Die Videokamera übersieht wenig. Doch gerade, wenn es zu gut klingt, um wahr zu sein, ist Vorsicht geboten. Mit aufgestellten Kameras wird der Schutz des Unternehmenseigentums zwar gesteigert, gleichzeitig besteht aber auch die damit einhergehende Gefahr der Beschäftigtenüberwachung. Hier ist also besondere Vorsicht geboten. Ansonsten stellt sich die Videoüberwachung schnell als rechtswidrig heraus. Ist die Videoüberwachung also zum Scheitern verurteilt? Um es vorwegzunehmen: Nein! Solange man sich an die Spielregeln hält, steht einer Videoüberwachung nichts entgegen. Für eine erste Einschätzung hat die DSK ein Kurzpapier zur Videoüberwachung veröffentlicht.

Im folgenden Fall erklärte das Arbeitsgericht Hamm (Beschluss v. 09. März 2021 – 1 BV 10/20) die Videoüberwachung für rechtswidrig:

213 Kameras gegen Diebstahl und Beschädigungen

Der vom Arbeitsgericht entschiedene Fall drehte sich um ein Unternehmen, welches auf seinem 136.000 qm großen Betriebsgelände 213 Kameras aufstellen wollte. Davon 105 in Innenräumen. Grund dafür waren Diebstähle in den vergangenen Jahren. Der Wert der gestohlenen Waren und die Reparaturkosten aufgrund von Beschädigungen beliefen sich im Zeitraum von ca. eineinhalb Jahren auf über 100.000 EUR. Die Videoanlage sollte in den Innenbereichen insbesondere die kritischen Warenbereiche und die Ein- und Ausgangsbereiche abdecken. Dabei sollten die Videoaufzeichnungen live auf die Überwachungsmonitore in der Pförtnerloge übertragen werden. Darüber hinaus war geplant, die Videoaufzeichnungen je nach Bereich zwischen 7 und 15 Tagen zu speichern.

Und das geht nicht?

Nein! Zumindest, teilweise. So sah es auch das Arbeitsgericht Hamm. Ganz eindeutig ist das bei der Videoüberwachung leider nicht immer. Die Videoüberwachung ist zwar geeignet das Eigentum des Unternehmens zu schützen. Daraus ergibt sich jedoch eine neue Gefahr. Und zwar für die Rechte der Arbeitnehmer. Diese sind in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I, Art. 1 I GG geschützt. Gerade bei einer permanenten Überwachung entsteht schnell das Gefühl einer ständigen Kontrolle. Eine solche Kontrolle stellt einen immensen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer dar. Hier kollidiert also das Recht auf Schutz des Eigentums mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Insofern ist für den Einzelfall abzuwägen, welches Recht überwiegt. So auch das Bundesarbeitsgericht mit dem Beschluss vom 29.06.2004 (1 ABR 21/03):

„Um das festzustellen, bedarf es einer Gesamtabwägung der Intensität des Eingriffs und des Gewichts der ihn rechtfertigenden Gründe. Diese Abwägung kann nicht abstrakt vorgenommen werden. Es gehen weder das durch Art. 14 I GG geschützte Eigentum oder das durch Art. 2 I GG gewährleistete Persönlichkeitsrecht vor; maßgeblich sind vielmehr die Gesamtumstände“

Spezifische Beurteilung

Für die Schwere des Eingriffs ist insbesondere von Bedeutung, wie intensiv der Eingriff ist und wie viele Personen der Beeinträchtigungen ausgesetzt sind. Dazu äußerte das LAG München im Beschluss vom 23.07.2020 (2 TaBV 126/19):

„In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, ob der Betroffene einen ihm zurechenbaren Anlass für die Datenerhebung geschaffen hat – etwa durch eine Rechtsverletzung – oder ob diese anlasslos erfolgt. Auch die „Persönlichkeitsrelevanz” der erfassten Informationen ist zu berücksichtigen.“

Ausreichende Differenzierung

Dem Arbeitsgericht zufolge ergab sich für den vorliegenden Fall bereits bei Zugrundelegung dieser Erwägung, dass die Installation der Kameras im Innenbereich unverhältnismäßig ist. Der Kammer fehlte es an einer notwendigen Differenzierung zwischen den einzelnen zu überwachenden Waren. Außerdem wurde der ungefähre Wert der zu überwachenden Waren nicht ausreichend dargelegt. Da dem Gericht der Wert der Waren nicht bekannt war, ging die Kammer davon aus, dass dieser ein Vielfaches des in ca. eineinhalb Jahren durch Diebstähle entstandenen Schadens ausmache.

Darüber hinaus fehlte es dem Gericht an einer expliziten Begründung der Überwachung für die einzelnen Bereiche. Die Kammer forderte, dass darzulegen sei, warum es sich in Bezug auf die gefährdeten Waren um solche handelt. Es sei im vorliegenden Fall nicht ersichtlich gewesen, warum unter anderem Süßigkeiten und Brühwürstchen als „kritische Ware“ gewertet würden und woran der Bereich der „kritischen Ware“ festgemacht worden sei.

Das Problem mit der Vollzeitüberwachung

Weiter stößt sich das Gericht daran, dass die Videoüberwachung vollschichtig erfolgen sollte. Dadurch stünden die Mitarbeiter, die sich in diesem Bereich bewegen, unter permanenter Überwachung. Dies führe dazu, dass sich die Mitarbeiter bei jeder Bewegung kontrolliert fühlen müssen. Verdachtsunabhängig stelle eine solche Überwachung einen unangemessenen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar. Zwar bestünde in den überwachten Bereichen keine sogenannten Dauerarbeitsplätze, die Beschäftigten hielten sich also nicht ausschließlich während ihrer Schicht in diesem Bereich auf, dennoch könne die dargestellte Höhe der Schäden sowie die Gefahr für das Eigentum die Rechtsgutsverletzungen der Beschäftigten nicht aufwiegen. Dabei hat das Arbeitsgericht insbesondere berücksichtigt, dass ca. 400 Arbeitnehmer überwacht würden, ohne dass ein konkreter Anlass hierfür festgestellt oder ein hohes Schadensrisiko begründet wurde.

Auch die Überwachung von Arbeitsbereichen aufgrund von Beschädigungen durch Pflichtverletzungen der Arbeitnehmer sei nicht gerechtfertigt. Es sei nicht hinreichend dargelegt, dass sämtliche Beschädigungen aus vorangegangenen Pflichtverstößen herrühren.

Ist Videoüberwachung also zum Scheitern verurteilt?

Keinesfalls. Aber der Beschluss zeigt deutlich, dass Videoüberwachung zwar möglich ist, bei derartigen Vorhaben dennoch sehr genau hingeschaut werden muss. Wann Videoüberwachung definitiv unzulässig ist haben wir zuvor in einem Beitrag zusammengestellt. Stellt man Kameras auf, so sind verschiedenste Aspekte und Rechte zu berücksichtigen. Zu guter Letzt scheitert die Videoüberwachung oftmals an den Rechten der Beschäftigten. Daher ist regelmäßig das Augenmerk auf die Überwachung von Beschäftigten zu richten.

Die Entscheidung weist einmal mehr darauf hin, wie wichtig es ist, die einzelnen Entscheidungsschritte, die zum Einsatz der Videoüberwachung führen, penibel zu dokumentieren. Das fängt bei den Schäden an und hört bei den einzelnen Kameras auf. Für jeden einzelnen Bereich und jede Einzelne Kamera muss neu abgewogen werden, ob die Videoüberwachung gerechtfertigt ist bzw. ob und inwieweit durch die Überwachung in die Rechte Betroffener und Dritter eingegriffen wird. Auch darf nie unberücksichtigt bleiben, dass auch mildere Maßnahmen, wie der Einsatz eines Wachdienstes oder eine Sensibilisierung der Mitarbeiter für das jeweilige Problem in Betracht kommen kann.

Da das Thema besonders komplex ist, empfiehlt es sich, den Datenschutzbeauftragten frühzeitig in derartige Vorhaben einzubinden und mit diesem Prozesse zu etablieren. Denn ein Betroffener, der sich an der Videoüberwachung stört, findet oft den Weg zur Datenschutzaufsichtsbehörde und diese versteht wenig Spaß beim Stichwort Überwachung.

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