Ja ist denn heut schon Weihnachten? Noch nicht ganz, sagte der Hase zum Schoko-Nikolaus; wohlwissend, dass die Festlichkeiten nicht mehr lange auf sich warten lassen. Von der Weihnachtsstimmung bleibt auch die Staatsmacht nicht verschont, die sich sogleich Gedanken über die Sicherheit ihrer Schäfchen macht; und diesen ein Geschenk in Form von Videoüberwachung auf dem Weihnachtsmarkt bereitet. Aber ist das zulässig? Das Verwaltungsgericht Hannover (Az.: 10 A 5210/22) hat sich in einem konkreten Fall dazu geäußert, nachdem gegen die Videoüberwachung auf dem Weihnachtsmarkt geklagt wurde.
Der Inhalt im Überblick
Der Sachverhalt – Weihnachtsmarkt in Hannover
Der Fall spielte sich also in Niedersachsen ab. Genauer gesagt, in der Innenstadt von Hannover im Jahre 2022. Dort ordnete die Polizeidirektion eine Videoüberwachung an. Und zwar auf dem jährlichen Weihnachtsmarkt. Die Polizei hat also vier Kameras aufgestellt und das mit einer sogenannten Datenschutz-Folgenabschätzung begründet. Was genau in dieser DSFA steht, bleibt den aktenkundigen Prozessbeteiligten vorbehalten, das würde an dieser Stelle aber auch zu tief gehen. Jedenfalls sei die Videoüberwachung des Weihnachtsmarktes notwendig. Denn der Weihnachtsmarkt führe zu einem erhöhten Besucherandrang, weshalb mit einem Anstieg der Alltagskriminalität und Gefahren bestimmter Verhaltensweisen zu rechnen sei. Man sehe u.a. aggressives, stark belästigendes Betteln, Störungen durch übermäßig alkoholisierte Personen, Verstöße gegen Ordnungsnormen oder unerlaubte Sondernutzung auf sich zukommen. Zudem seien Weihnachtsmärkte seit dem Anschlag auf den Breitscheidplatz in Berlin verstärkt in den Fokus im Zusammenhang mit terroristischer Bedrohung gerückt.
Das klingt erstmal nicht ganz abwegig. Es kommt aber letztlich darauf an, ob die Videoüberwachung in rechtmäßiger Weise auf eine entsprechende Rechtsgrundlage gestützt wurde.
Die Rechtsgrundlage – Gibt´s da was zu Weihnachten?
Denn was im Datenschutz generell gilt, gilt beim Eingriff der Staatsmacht in Grundrechte erst recht: Man braucht eine Rechtsgrundlage. Ohne dass man eine rechtfertigende Norm findet, läuft also erstmal gar nichts. In Betracht kommen Vorschriften aus der DSGVO, dem BDSG oder eine Spezialvorschrift. Nach so einer Spezialvorschrift hat auch die Beklagte gesucht und wurde fündig. Denn eine gute Polizeidirektion kennt sich natürlich im Polizeigesetz aus. Sehen wir also einmal, über den Tellerrand der DSGVO hinaus, eine solche Spezialvorschrift an. Solche Polizeigesetze sind Landesgesetze, gelten also immer nur in einem Bundesland. In Hannover gilt demnach das Niedersächsische Polizei- und Ordnungsbehördengesetz (NPOG). Und da gibt es den § 32 NPOG. Diese trägt den Namen:
„Datenerhebung durch den Einsatz technischer Mittel bei öffentlichen Veranstaltungen und im öffentlichen Raum“
Was steht in der Vorschrift?
So umgangssprachlich und leserfreundlich wie möglich: Gemäß § 32 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Satz 3 NPOG dürfen öffentliche Straßen und Plätze sowie andere öffentlich zugängliche Orte mittels Bildübertragung offen beobachtet werden, wenn davon ausgegangen werden darf, dass im Zusammenhang mit einer Veranstaltung oder einem sonstigen Ereignis eine Straftat oder (nicht geringfügige) Ordnungswidrigkeit begangen wird und die Beobachtung im zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit diesem Ereignis zur Verhütung dieser Straftat oder Ordnungswidrigkeit erforderlich ist. Wenn künftige Straftaten erwartet werden, darf auch aufgezeichnet werden, wenn die Aufzeichnung zur Verhütung dieser Straftaten erforderlich ist.
Ist das verfassungsgemäß?
Solche Vorschriften dürfen selbst nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen. Mit höherrangigem Recht ist das übergeordnete Grundgesetz gemeint. Dass § 32 NPOG verfassungsgemäß ist, wurde bereits vom Oberverwaltungsgericht Niedersachsen entschieden. Zwar wird das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingeschränkt.
„Das Land Niedersachsen verfügt aber über die notwendige Gesetzgebungskompetenz und die Vorschrift ist hinreichend bestimmt und verhältnismäßig.“
Liegen alle Voraussetzungen der Norm vor?
Nachdem wir in der gebotenen Kürze festgestellt haben, dass die Vorschrift selbst rechtens ist, müssen wir uns ansehen, ob die Norm hier überhaupt auf den Sachverhalt passt, also einschlägig ist. Das Verwaltungsgericht sagt: Ja!
„Die Tatbestandsvoraussetzungen liegen in Bezug auf den innerstädtischen Weihnachtsmarkt vor.“
Gefahr für Straftaten und Ordnungswidrigkeiten
„Es besteht eine Gefahr für vermehrte Straftaten und Ordnungswidrigkeiten.“
Eine Gefahr, wie vom Gesetz gefordert, konnte mit der polizeilichen Kriminalstatistik nachgewiesen werden. Aus dieser kann man eine erhöhte Gefahr für Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Rahmen des innerstädtischen Weihnachtsmarktes herauslesen. Die Polizeidirektion hat zunächst alle Straftaten und Ordnungswidrigkeiten in dem Bereich für die Jahre 2015 bis 2021 erfasst. Anschließend hat sie diese Vorkommnisse nochmals danach gefiltert, ob sie in Verbindung mit der Veranstaltung „Weihnachtsmarkt“ stehen. Dabei kam raus: Es gibt im Zusammenhang mit dem Weihnachtsmarkt einen Anstieg der Taten.
Abstrakte Gefahr eines terroristischen Anschlags auf Weihnachtsmärkten
„Es besteht zumindest auch die abstrakte Gefahr eines terroristischen Anschlags.“
Darüber hinaus besteht zumindest die abstrakte Gefahr eines terroristischen Anschlags auf den Weihnachtsmarkt in der Innenstadt in Hannover als besonderer Anziehungspunkt für Besucher. Typische, immer wiederkehrende Gefahrenmuster sind tendenziell abstrakt. Der Weihnachtsmarkt hat aufgrund seiner Symbolträchtigkeit und Bekanntheit eine besondere Lage. Typische, immer wiederkehrende Gefahrenmuster sind eher abstrakt. Dabei verhindert die Überwachung u.U. nicht den terroristischen Anschlag an sich; Vorfeldaktivitäten u.a. könnten aber entdeckt werden. Daher ist eine abstrakte Gefahr hier ausreichend. Grundsätzlich nimmt man nämlich an, dass im Polizeirecht nur konkrete Gefahren zum Eingriff berechtigt. Im Strafrecht hingegen kann schon eine abstrakte Gefahr genügen. Das geht aber zu sehr in die Feinheiten des Polizei- und Strafrechts – wir wollen doch weiter beim Datenschutzrecht bleiben.
Kein milderes Mittel durch Polizeipräsenz
„Der Einsatz von Polizeibeamten statt einer Videoüberwachung stellt zudem kein milderes Mittel dar.“
Die Verhältnismäßigkeit ist gewahrt. Zum einen ist bereits zweifelhaft, dass die Steigerung der Polizeipräsenz in einem solchen Maße überhaupt möglich wäre. Zum anderen wäre der Einsatz weniger effektiv aufgrund der zahlreichen hier genutzten technischen Möglichkeiten, u.a. des Zoomens und des Aufzeichnens.
Erkennbarkeit der Videoüberwachung
In dem oben genannten Urteil des OVG wurde neben der Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz entschieden, wie eine Kenntlichmachung der Videobeobachtung zu erfolgen hat. Demnach muss die Überwachung für den durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer hinreichend erkennbar und wahrnehmbar ist. Wann ist das der Fall?
„Diese Anforderungen sind in der Regel erfüllt, wenn die Verkehrsteilnehmer durch gut sichtbar angebrachte Hinweisschilder, auf denen u.a. ein Videokamerapiktogramm abgebildet ist, darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie einen überwachten Bereich betreten.“
Die Videoüberwachung des innerstädtischen Weihnachtsmarktes in Hannover war für die betroffenen Besucher nach diesen Grundsätzen hinreichend erkennbar. Zwar waren die Kameras sehr hoch angebracht und damit außerhalb des Sichtfeldes der den Weihnachtsmarkt betretenen Personen; Die Polizei hat aber hinreichende Hinweisschilder angebracht, die es Besuchern ermöglichen, von der Videoüberwachung Kenntnis zu erlangen. Zudem wurde die Videoüberwachung durch eine Pressemitteilung publik gemacht. Auf der Webseite der Polizei konnten sogar die Standorte der Videokameras eingesehen werden.
Das Urteil und das Verfahrensrecht
Aber wieso kommt erst jetzt ein Urteil für einen Fall aus dem letzten Jahr? Das hat mit der Wiederholungsgefahr zu tun. In Bezug auf den Weihnachtsmarkt 2023 hat die Polizeidirektion bereits in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt, dass eine Videoüberwachung in Prüfung sei.
Gegen das Urteil kann die Zulassung der Berufung beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg beantragt werden.
Datenschutz in Spezialvorschriften
Am Beispiel eines konkreten Falles können wir doch etwas Generelles erkennen: Datenschutz „versteckt“ sich auch in anderen Gesetzen als der DSGVO und dem BDSG. Außerdem können wir nun beflügelt vom Kinderpunsch herrliche juristische Diskussionen zur Zulässigkeit einer etwaigen Videoüberwachung auf unserem heimatlichen Weihnachtsmarkt führen. In dem Bewusstsein, dass jeder Fall anders gelagert ist und hier zusätzlich: Das Landesrecht nicht überall gleich ist.
Liebes Dr. Datenschutzteam, ich lese euren Newsletter nun mehrere Wochen und bin mit diesem höchst zufrieden. Ihr bereitet interessante Themen in gut verträglichen Häppchen auf. Die Veröffentlichung heute hätte aber ruhig nochmal Korrektur gelesen werden können und die Zitate mit Quellen (Randnummern im Urteil, wenn sie denn alle aus diesem stammen) versehen werden. Freu mich schon auf die morgige Ausgabe! :) LG