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Für den „Geheimnisschutz“: Der Staat pfeift auf Transparenz

Für den „Geheimnisschutz“: Der Staat pfeift auf Transparenz

Wasser predigen, Wein saufen: Wenn Bürgerinnen und Bürger Transparenz verlangen, haben Ministerien und Behörden hierzulande gerne noch ein Ass im Ärmel – sie erklären die Angelegenheit ganz einfach zur Verschlusssache. Klappe zu, Affe tot, Kritiker zum Schweigen gebracht. Was im Datenschutzrecht undenkbar wäre, nimmt der Staat für sich in Anspruch. Geheimnisschutz in allen Ehren, aber sieht so Konfliktbewältigung aus? Ein Kommentar.

Mist gebaut? Egal, Verschlusssache!

Von Transparenz sind unsere Bundesbehörden so weit entfernt wie der tiefste Punkt des Mariannengrabens von der Spitze des Mount Everests. Zwar lässt sich Intransparenz auch schaffen, indem man ganz nach Wendehals-Manier heute hü, morgen hott und übermorgen wieder hü sagt, hier geht es aber darum, dass in manchen Fällen von Vornherein der Mantel des Schweigens über bestimmte Sachverhalte ausgebreitet wird.

Geheimnisschutz nennt sich das. Wie die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zeigt, ist dieser keine Ausnahme, sondern wird millionenfach als Begründung verwendet, um Informationen unter Verschluss zu halten. So wurden seit 2008 im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat 190.020 Verschlusssachen registriert. Im Falle des Bundesamts für Verfassungsschutz sind es ohne zeitliche Beschränkung insgesamt über acht Millionen, im BKA 90.260 und im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 4.166.

Hinzu kommt, dass die Verschlusssachen größtenteils auf Papier in sogenannten Tagebüchern dokumentiert werden. Bei vielen Behörden gibt die Bundesregierung an, gar keine genauen Zahlen liefern zu können, da der Aufwand des händischen Durchsuchens von Dokumenten und Belegen zu groß wäre. Manche Antworten auf die parlamentarische Anfrage hat die Bundesregierung selbst als Verschlusssache eingestuft.

Die Einstufung als Verschlusssache erfolgt gefühlt willkürlich, der Bevölkerung wird trotz Informationsfreiheitsgesetz der Zugang verwehrt. Von Privatunternehmen Transparenz zu verlangen und selbst undurchsichtig zu handeln, wirkt scheinheilig. Was ist da los?

Schweigen ist Gold (wert)

Für derartige Versteckmaßnahmen muss es doch sicher eindeutige Regelungen geben, ohne Beurteilungsspielraum, alles klar wie Kloßbrühe. Ich meine, hier geht es immerhin um die Integrität der Bundesregierung und der Bundesministerien. Und die würden bestimmt nichts unnötig verschweigen wollen. Oder?

Jein. Die Regelungen existieren, allerdings im üblichen interpretierungswürdigen Geschwurbel. Die Arbeitsanweisung dahinter ist schon ein bisschen konkreter, letztlich aber ein zahnloser Tiger. Die Behörden bestimmen, was Verschlusssache ist, vom nicht geöffneten Bordrestaurant bis zur Maut. Wer nachfragt, steht vor verschlossenen Türen. Wer plappert, kann strafrechtlich verfolgt werden. Für sonderlich integer habe ich die Politik noch nie gehalten. Schön, dass sie meine Ansicht immer wieder bestätigt.

Wie ist die Rechtslage?

Wie lange ich darauf gewartet habe, diese Phrase der Politik um die Ohren hauen zu können: Wieso Geheimhaltung? Habt ihr denn was zu verbergen? Ja. Beginnen wir mit einem Blick auf die Begriffsdefinition in § 4 Abs. 1 SÜG (Sicherheitsüberprüfungsgesetz):

„Verschlusssachen sind im öffentlichen Interesse, insbesondere zum Schutz des Wohles des Bundes oder eines Landes, geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, unabhängig von ihrer Darstellungsform. Verschlusssachen können auch Produkte und die dazugehörenden Dokumente sowie zugehörige Schlüsselmittel zur Entschlüsselung, Verschlüsselung und Übertragung von Informationen sein (Kryptomittel). Geheimhaltungsbedürftig im öffentlichen Interesse können auch Geschäfts-, Betriebs-, Erfindungs-, Steuer- oder sonstige private Geheimnisse oder Umstände des persönlichen Lebensbereichs sein.“

Verschlusssachen werden von einer amtlichen Stelle des Bundes oder auf deren Veranlassung in vier Geheimhaltungsgrade nach § 4 Abs. 2 SÜG eingestuft:

  • Streng geheim (Kenntnisnahme könnte den Bestand oder lebenswichtige Interessen der BRD oder eines ihrer Länder gefährden),
  • Geheim (Kenntnisnahme könnte die Sicherheit der BRD oder eines ihrer Länder gefährden oder ihren Interessen schweren Schaden zufügen),
  • VS-vertraulich (Kenntnisnahme könnte für die Interessen der BRD oder eines ihrer Länder schädlich sein),
  • VS-nur für den Dienstgebrauch (Kenntnisnahme könnte für die Interessen der BRD oder eines ihrer Länder nachteilig sein).

Die Einstufung als Verschlusssache erfolgt, damit laut § 4 Abs. 1a SÜG nur diejenigen Personen Kenntnis erhalten, die auf Grund ihrer Aufgabenerfüllung Kenntnis haben müssen (Need-to-know-Prinzip), außerdem lassen sich die Inhalte vor unbefugter Einsichtnahme so besser schützen. Sogar zeithistorische Forschung darf infolge von § 31 Abs. 1 der Verschlusssachenanweisung i.V.m. Anlage VI nicht damit betrieben werden.

Zu Neugierige innerhalb und außerhalb des Bundestags werden infolge einer Einschränkung des Informationsfreiheitsgesetzes (§ 3 Nr. 4 IFG-Bund) bzw. der Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestages (§ 3a) abgewehrt. Für Normalsterbliche besteht bei Einstufung als Verschlusssache demnach kein Anspruch auf Informationszugang. Bundestagsabgeordnete dürfen in streng geheime und geheime Verschlusssachen nur in den Räumen der Geheimregistratur Einsicht nehmen, Mitglieder von Untersuchungsausschüssen und geheim tagenden Gremien unter strengen Voraussetzungen auch in ihren eigenen Büroräumen.

Praktischerweise hat man die Zugangsberechtigten in § 4 Abs. 3 Nr. 1 SÜG gleich zur Verschwiegenheit verpflichtet, es droht die Strafbarkeit nach §§ 203 Abs. 2 oder 353b StGB, je nachdem, ob ein Privat- oder ein Dienstgeheimnis betroffen ist. Besonders brisant: Dies ermöglicht auch die Strafverfolgung von Whistleblowern. Verschlusssachen und damit auch deren Hinweisgeber wurden nach § 5 Abs. 2 des (gescheiterten) Referentenentwurfs des Bundesjustizministeriums für ein Hinweisgeberschutzgesetz sogar rigoros aus dem Anwendungs- bzw. Schutzbereich ausgeschlossen.

Geheimnisschutz gone wild

Das klingt ganz schön ernst. Was derart geschützt wird, muss ja echt Top Secret sein. NSA-Kram, Echsenmenschen, Elvis lebt, und so ein Zeug, oder nicht? Vielleicht. Ein Teil davon wäre Mulder und Scully aber einfach zu langweilig, weil nicht krass genug. Hier ein paar Beispiele:

Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie viele der Fernzüge der Deutschen Bahn AG geschlossene oder nicht vollständig funktionsfähige Bordrestaurants betreiben und wie viel die DB mit dem Gastronomiebetrieb verdient? Falls ja, Pech. Eine Antwort darauf werden Sie nie erhalten. Die Anfrage des FDP-Bundestagsabgeordneten Torsten Herbst dazu wurde unter Verweis auf verfassungsrechtlich geschützte Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse abgelehnt. Begründung: Die Konkurrenz hätte mit dieser Information einen Wettbewerbsvorteil. Wow. Wenn deutscher Geheimnisschutz so aussieht, wundert es mich nicht, dass James Bond Brite und nicht Deutscher ist.

Erinnern Sie sich an den PKW-Maut-Skandal? Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer versprach bei der Aufklärung maximal mögliche Transparenz. Pustekuchen: 170 relevante Papiere wurden als VS-vertraulich eingestuft, sodass der Untersuchungsausschuss darüber nicht mehr öffentlich beraten durfte. Genau genommen hat Andreas Scheuer nicht gelogen. Er hat nur ein bisschen getäuscht. Aber das sind wir ja gewohnt.

Ich gewinne den Eindruck, der Geheimnisschutz wird auf unbequeme Sachverhalte ausgeweitet, auf Dinge, die wir Wählerinnen und Wähler gar nicht so genau wissen sollen. Ohne Kenntnis kein Ärgernis. Ohne Ärgernis die Wiederwahl. Ohne mich.

Geheimnisschutz ist wichtig, wenn er Inhalte betrifft, die wirklich zur Gefahr werden können. Spionage, Extremismus, Terrorismus, würden mir da einfallen. Nicht Andi Scheuers Unfähigkeit oder fehlende ICE-Verpflegung. Anlage III der Verschlusssachenanweisung nennt einige Beispiele. Vielleicht sollten sich Behörden daran orientieren und nicht an etwaigen Vertuschungsstrategien. Mit etwas Begründung lassen sich vermutlich alle unangenehmen Sachverhalte zu Verschlusssachen erklären. So darf es nicht weitergehen! Intransparenz ruft Misstrauen hervor. Das scheint den Ministerien egal zu sein. Sonst würde man auch die unter Verschluss gehaltenen Akten zu den NSU-Morden herausrücken. Für mich hat das ein Geschmäckle.

Mit zweierlei Maß

Die Intransparenz des Staats hat genau genommen nur wenig mit Datenschutz zu tun. Zum einen betriff der Geheimnisschutz häufig keine personenbezogenen Daten, zum anderen greift zum Beispiel infolge der Ausnahme der Anwendbarkeit nach Art. 2 Abs. 2 lit. a DSGVO i.V.m. Art. 4 Abs. 2 S. 2, 3 EUV bei Sachverhalten der nationalen Sicherheit die DSGVO nicht.

Ich finde es dennoch verwerflich, bei Privatunternehmen auf Transparenz und Wahrung von Betroffenenrechten zu pochen und selbst den Geheimnisschutz vorzuschieben. Verstehen Sie mich nicht falsch: Die Datenschutzgrundsätze und Rechte der Betroffenen sind wichtig. Ich mag nur diese Doppelmoral nicht.

Volle Transparenz voraus

Das Erfordernis der Transparenz wird schon in Art. 5 Abs. 1 lit. a DSGVO hervorgehoben. Die Informationspflichten in Art. 12 ff. DSGVO veranschaulichen, was damit gemeint ist. Wer schon einmal Datenschutzerklärungen und -hinweise geschrieben oder gelesen hat, der weiß, dass Transparenz nicht einfach zu wahren ist. Meist scheitert es an der Verständlichkeit. Bei Verstößen drohen Geldbußen von bis zu 20 Millionen Euro oder von bis zu 4 % des gesamten weltweit erzielten Jahresumsatzes des vorangegangenen Geschäftsjahres, Art. 83 Abs. 5 lit. a, b DSGVO.

Jedes noch so kleine Unternehmen wird in Panik versetzt, die staatlichen Behörden allerdings können (fast) tun und lassen, was sie wollen. Das ist ungerecht. Klar, es gibt auch im Bereich der Informationspflichten Ausnahmevorschriften (Art. 13 Abs. 4, 14 Abs. 5 DSGVO), insbesondere, wenn der Betroffene die Informationen bereits hat, der Aufwand unverhältnismäßig wäre oder die Daten einem Berufsgeheimnis unterliegen. Allerdings dürfte es für Privatunternehmen häufig wesentlich schwieriger sein, die Verweigerung der Information zu begründen als für den Staat, der lediglich auf die Selbsteinstufung als Verschlusssache verweist.

Auskunft? Da hast du Pech

Laut Art. 15 ff. DSGVO haben Betroffene umfassende Rechte gegenüber Verantwortlichen. In Verbindung mit der Fristsetzung in Art. 12 Abs. 3 S. 1 DSGVO führen Betroffenenanfragen regelmäßig zu Stress und großem Rätselraten, was denn nun zu tun ist. Privatunternehmen können es sich nicht so leicht machen wie der Staat und Anfragen aufgrund einer Verschlusssache pauschal ablehnen. In jedem Fall müssen sie die Ablehnung begründen, außerdem sollten sie sich wirklich sicher sein, dass Ausschlussgründe greifen, sonst droht ggf. Ärger mit der Aufsichtsbehörde.

Zwar kommt es für den Ausschluss des Rechts auf Informationszugang gegenüber den Behörden laut Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.10.2009 (Az. 7 C 21.08) nicht auf die formelle Einstufung als Verschlusssache, sondern auf die materielle Richtigkeit der Einstufung an – also darauf, dass der Sachverhalt tatsächlich als Verschlusssache zu werten ist, nicht, ob er nur so bezeichnet wird – aber wo kein Kläger, da kein Richter. Es gibt keine Aufsichtsbehörde, die das überprüft. Allenfalls kann man versuchen, mittels in-camera-Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO dagegen vorzugehen. Erfolg? Ungewiss.

Die Lösung?

Es gibt unendlich viele Behörden in unserer Bürokratie, manche davon arbeiten rechtmäßig, manche eher schlampig. Wie wäre es mit einem Bundestransparenzbeauftragten, so wie ihn 2013 bereits die Konferenz der Informationsfreiheitsbeauftragten und 2016 die Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorgeschlagen haben? Dieser könnte mittels Stichproben kontrollieren, ob Informationen rechtswidrig als Verschlusssachen eingestuft werden und als externe Meldestelle für Whistleblower dienen. Die bisherigen Geheimnisschutzbeauftragten in den Bundesbehörden sind nicht unabhängig.

Ungerechtfertigte Intransparenz ist einer Demokratie nicht würdig. Stellen sich Bundesregierung und Bundesministerien hier quer, haben diese bestimmt was zu verbergen.


Dieser Beitrag ist ein Kommentar und spiegelt daher die persönliche Meinung der Autorin / des Autors wider. Diese muss nicht mit der Meinung des Herausgebers oder seiner Mitarbeitenden übereinstimmen.

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  • Willkommen in der Bananenrepublik Deutschland!! Von Corona bis Transparenz – es wird nur noch gelogen und betrogen und unter den Teppich gekehrt (Verschlusssache). Mein Vertrauen in die Politik ist dahin. Was den Bundestransparenzbeauftragen angeht – grundsätzlich eine gute Idee, der ist auch nur ein Mensch und auch hat eine (politische) Meinung. Heißt auch der wird nicht neutral arbeiten (können), auch würden bestimmte Interessen verfolgt werden – leider.

  • Da wunder es einen nicht mehr, wenn ein Russe die deutsche Bürokratie als vorbildlich und perfektioniert betrachtet….(LOL)

  • DAS sind wieder mal Einsichten, dem Regime brennt der Kittel heftig!

  • Besonderheit : zwei VS zur Verheimlichung einer einzigen Straftat. Der ersten, 1996 durch einen hessischen CDU-Politiker als Bundesbeamten im Bundesrat eingegebenen VS zum Identitätsdiebstahl und zum Vermögensentzug folgte sicherheitshalber am 22.02.2010 im hessischen Kabinett die zweite VS zum gleichen Inhalt. Das Opfer, eine hessische Beamtin , verlor ihre Rechte 2011 im PP Westhessen und folgend, 2017, im BKA als angebliche politische Kriminelle; zusätzlich noch einmal bestätigt im VWG Wiesbaden am 1.03.2021. Eine Straftat hat es nie gegeben. Diese beiden Verschlusssachen schützen beispielhaft nicht nur irgendeinen ökonomischen oder politisch fragwürdigen Hintergrund sondern eine schwere Straftat in der Landesregierung Hessens, begonnen 1990..

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