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Lesetipp: Networks of Control – Kommerzielle Überwachung im Alltag

Lesetipp: Networks of Control – Kommerzielle Überwachung im Alltag

Die Studie „Networks of Control“ von den Forschern Wolfie Christl und Sarah Spiekermann der Universität Wien beschäftigte sich 2016 in umfassender und kritischer Weise mit dem Themenkomplex digitales Tracking, Big Data und Privatsphäre. Die Ergebnisse wurden auch als Buch aufbereitet. Networks of Control ist eine überaus lesenswerte Lektüre für jeden aktiven Internetnutzer, wie wir finden.

Mehr als nur personalisierte Werbung

Den meisten Menschen ist es heutzutage durchaus bewusst, dass ihr Onlineverhalten keine private Angelegenheit ist. Das liegt in erster Linie an der für jedermann erkennbaren personalisierten Werbung. „Ist doch auch eine gute Sache“, wird oft argumentiert. „Wenn schon Werbung eingeblendet werden muss, so wird immerhin angezeigt was mich interessiert.“ Wer dann aber als Mac-User plötzlich mehr für eine Flugreise zahlen muss, als der PC-User nebenan, hat guten Grund sich zu ärgern. Denn man wurde ungefragt in die digitale Schublade der zahlungskräftigeren Konsumenten gesteckt.

Doch ist das schon alles? Die zwei Beispiele zeigen, zu welchem Zweck Unternehmen Nutzerdaten verwenden können. Tatsächlich ist dies aber nur die Spitze des Eisbergs. Christl und Spiekermann erklären in Ihrer Studie, welche Möglichkeiten der Vorhersage, Kategorisierung und Beeinflussung menschlichen Verhaltens durch das massenhafte und automatisierte sammeln, auswerten und nutzen von Daten bestehen und auch genutzt werden. Das Ausmaß dürfte dabei selbst diejenigen erstaunen, die sich schon einmal näher mit der Thematik befasst haben. Es werden außerdem negative Auswirkungen auf die Gesellschaft und den Einzelnen diskutiert und Lösungsansätze angeboten um diesen Auswirkungen entgegenzutreten.

Inhalt:

Auf folgende Fragen wird dabei im Einzelnen eingegangen:

  • Wer sind die Akteure im Geschäft mit personenbezogenen Daten? Wie werden durch Online-Plattformen, Tech-Unternehmen und Daten-Händler wirklich persönliche Informationen gesammelt, geteilt und genutzt?
  • Welche Daten werden von Smartphones, Fitness-Trackern, eReadern, Smart-TVs, Thermostaten und Autos aufgezeichnet? Wird das Internet der Dinge zu einer allgegenwärtigen Überwachung führen?
  • Was können unsere Einkäufe, Anrufe, Nachrichten, Webseitenbesuchen, Web-Suchen und Likes über uns aussagen?
  • Wie werden Big Data Auswertungen bereits genutzt um uns in Bereichen wie Marketing, Einzelhandel, Versicherungen, Finanzwesen, Gesundheitswesen und der Arbeitswelt unterschiedlich zu behandeln?
  • Was sind die gesellschaftlichen und ethischen Auswirkungen dieser Praktiken? Und wie können wir uns nach vorne bewegen?

Grenzenlose Möglichkeiten der Überwachung

Die Studie liefert viele interessante Erkenntnisse. So überrascht etwa die Vielfalt der Methoden, mit deren Hilfe die Persönlichkeit und das Verhalten von Menschen beurteilt und vorhergesagt werden soll. Oder wussten Sie, dass die Art und Weise wie Sie Ihr Smartphone und die darauf befindlichen Apps nutzen, für Aussagen über Ihre emotionale Stabilität genutzt werden kann?

Nehmen wir z.B. das Werbeunternehmen MediaBrix. Dieses analysiert u.a. die Emotionen von Online-Spielern und spricht diese gezielt und individuell in hoch emotionalen Momenten an. Dabei bewegt man sich in einem Spektrum zwischen Begeisterung und Frustration. Nach eigenen Angaben kann man dadurch die Effektivität der Werbung bei mobilen Apps um 30% steigern.

Nur über Ihre Facebook-Likes könnte man außerdem mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit bestimmen, welche politischen oder religiösen Einstellungen Sie haben oder wie es um Ihre sexuelle Orientierung bestellt ist. Auch das Ausmaß wie Daten gesammelt und gehandelt werden und wie einzelne Firmen diese Daten nutzen wird ausführlich beschrieben.

Gefährliche Folgen

Auch die möglichen oder bereits bestehenden Gefahren und Missbräuche von nicht reguliertem und intransparentem Gebrauch von digitalen Informationen werden ausführlich beleuchtet. Eine solche Problematik liegt zum Beispiel darin, dass Individuen in verschiedene Kategorien eingeteilt werden und diese Einteilung dann eine unterschiedliche Behandlung zur Folge hat. Darüber hinaus liegt dieser Kategorisierung immer ein automatisiertes mathematisches Verfahren zu Grunde, zu deren Objekt das Individuum letztlich gemacht wird. Dies allein wirkt schon diskriminierend. Des Weiteren sind die Grundlage der Entscheidungsfindung meist intransparente Verfahren, die auf statistische Beziehungen und Wahrscheinlichkeiten beruhen und mit Kausalität nicht viel zu tun haben. Es ist also nicht einmal sichergestellt ob wir „richtig oder falsch diskriminiert“ werden.

Als Beispiel mag das Hamburger Unternehmen Kreditech dienen. Dieses greift für seine Analysen zur Kreditwürdigkeit neben Standort-Informationen und Daten aus sozialen Netzwerken auch auf die Art und Weise zurück, wie der Online-Kreditantrag ausgefüllt wird (etwa Häufigkeit der Nutzung der Löschtaste). Denn Emotionen wie Zuversicht, Unschlüssigkeit, Nervosität, Entspannung, Trauer oder Müdigkeit lassen sich ungefähr mit einer 80 prozentigen Wahrscheinlichkeit aus der Analyse von Rhythmus und Dynamik des Tippens erkennen. Eine Quote die für Unternehmen zur wirtschaftlichen Entscheidungsfindung sicherlich ausreicht. Aber auf der anderen Seite steht die Fehlerquote und die von ihr betroffenen Individuen. Im Extremfall ist diese Bewertung dann bei der Person ausschlaggebend für die Kreditwürdigkeit.

Kritisiert wird auch völlig zurecht die Hilflosigkeit des Einzelnen tatsächlich über die Nutzung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen. Oftmals werden diese für Zwecke genutzt, für welche sie ursprünglich gar nicht gedacht waren. Man erinnere sich an die jüngsten Schlagzeilen, als ein Versicherungsunternehmen seine Kunden aufgrund von Facebook Postings in höhere oder niedrigere Risikostufen einteilen wollte. Dieser Praktik widersprach Facebook zwar nach einem überaus negativen Medienecho. Ähnliche zweckentfremdende Praktiken sind allerdings durchaus gebräuchlich, wie in weiteren Beispielen der Studie gezeigt wird.

Prädikat besonders lesenswert

Alles in allem liefert die Studie einen sehr umfangreichen und wissenschaftlich fundierten Einblick in die heutigen Möglichkeiten und dem Status Quo der kommerziellen digitalen Überwachung. Außerdem stellt sie einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Aufklärung und Diskussion dar. Die Studie ist als Buch verfügbar, kann aber auch kostenlos als PDF-Datei heruntergeladen werden.

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