„Minority Report“ aus dem Jahr 2002 (Regie: Stephen Spielberg, nach einer Kurzgeschichte von Philip K. Dick) ist neben George Orwells „1984“ inzwischen wohl das meist zitierteste Werk der Pop-Kultur im Kontext der staatlichen Überwachung. Die Geschichte ist schnell erzählt: Im Jahr 2054 gibt es dank der Behörde „Precrime“ keine Verbrechen mehr, denn potentielle Verbrecher werden verhaftet, bevor sie ihre Verbrechen begehen können. Was damals noch unmöglich klang, ist mittlerweile nicht mehr weit entfernt.
Der Inhalt im Überblick
Überwachung auf Schritt und Tritt
Im Film bedurfte es Menschen mit der Begabung, in eine potentielle Zukunft schauen zu können. Unterstützung erhielten sie dabei von einer Umgebung, die mit Kameras und Iris-Scannern zugepflastert ist. Ein ähnliches System intelligenter Videoüberwachung wollen Bundespolizei, Bundeskriminalamt und die Deutsche Bahn am Bahnhof Berlin-Südkreuz erproben, wie Netzpolitik.org in Berufung auf die Berliner Morgenpost berichtet. Dabei werden unterschiedliche Techniken zum Einsatz kommen. Zum einen die Möglichkeit, Menschen über mehrere Kameras hinweg durchgehend verfolgen zu können (sowohl in Echtzeit als auch im Archiv). Des Weiteren wird man fortgeschrittene Formen der biometrische Gesichtserkennung testen. Schließlich sollen in Zukunft automatisiert gewaltbereite Personen erkannt und auffällig erscheinende Personen nachverfolgt werden können. Der Testlauf der Systeme soll nach erfolgreicher Ausschreibung der erforderlichen Technik noch in diesem Jahr starten.
Rechtsgrundlage verzweifelt gesucht
Fraglich ist bereits, welche Rechtsgrundlage einschlägig ist. Zumindest die Bundespolizei geht davon aus, sich auf § 27 S. 1 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs 1 Nr. 4 Bundespolizeigesetz stützen zu können. Die Norm gestatten die selbsttätige Bildaufnahme und -zeichnung zwecks Gefahrenerkennung auf Bahnhöfen der Bundesbahn. Zumindest von den wissenschaftlichen Diensten des Bundestages wird angezweifelt, das die Norm hier greift.
Die Einwände sind berechtigt. Und das schon unabhängig von der Frage, wie offen die Regelung für technische Entwicklung im Bereich der Videoüberwachung ist bzw. sein soll. Spätestens bei der Verknüpfung von Kameradaten mit anderen verfügbaren Datenbanken wird die Schwelle zur Vorauslese anhand des Erscheinungsbildes oder Verhaltens überschritten. Und das fast ausschließlich, ohne dass die Beobachteten etwas konkret Rechtswidriges getan haben müssen. Wir erinnern uns: Für ein ähnliches Vorgehen bei ihrem Einsatz in der Silvesternacht 2016/2017 gegen sogenannte „Nafris“ wurde die Polizei schon harsch kritisiert. Es liegt also höchstwahrscheinlich eine Verletzung von Grundrechten vor. Betroffen sind das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Artikel 1 Abs. 1 i.V.m. Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz).
Precrime vs. Chilling Effect
Sie denken jetzt vielleicht:
„Aber das alles klingt doch gut! Ich fühle mich nicht eingeschränkt. Im Gegenteil: Grade an vollen Orten wie einem Bahnhof fühle ich mich so gleich viel sicherer!“
Das ist soweit richtig, als dass man sich in überwachten Bereichen zunächst tatsächlich sicherer fühlt. Trotzdem findet bei den meisten Menschen eine subtile, fast nicht wahrnehmbare Veränderung der eigenen Verhaltensweise statt. Dafür gibt es sogar einen Fachbegriff: Chilling Effect. Dahinter verbirgt sich die Verhaltensänderung des Einzelnen durch das Bewusstsein einer permanenten Beobachtung. Kurz gesagt: Menschen handeln unter Beobachtung anders, um nicht aufzufallen. Man versteckt sich quasi „in der Herde“.
Falls Sie das nicht glauben, stellen sie sich folgendes vor: In Ihrer gesamten Wohnung sind Kameras angebracht, um im Falle eines Einbruchs die Täter schneller ermitteln zu können. Die Kameras sind durchgehend eingeschaltet und decken den ganzen Wohnraum ab. Sie selbst wissen aber nicht, ob und wo grade eine Aufzeichnung stattfindet. Würden Sie sich genauso verhalten wie sonst auch?
Rassistische Roboter
Die meisten Menschen werden in solchen Fällen sagen: Nein, natürlich nicht. Aber manche werden einwenden:
„In der Öffentlichkeit ist das doch was anderes! Und außerdem werden wir doch nur von Computern erfasst! Es sitzen doch nicht ständig Menschen vor Bildschirmen und gucken mir beim Umsteigen zu.“
Auch das ist grundsätzlich richtig. Nur: Inzwischen weiß man, dass auch Computerprogramme und Künstliche Intelligenzen nicht frei von Beeinflussung und Vorurteilen sind. Denn bisher werden sie immer noch von Menschen mit Informationen versorgt. Und Menschen sind immer in irgendeiner Art und Weise in ihrer Wahrnehmung und ihrem darauf basierendem Verhalten voreingenommen. Diese Prägung schlägt sich auch in der Informationsauswahl nieder, anhand derer die Programme entscheiden sollen.
Es ist also gut möglich, dass Sie sich in Zukunft auf dem Bahnhof nur kurz die Beine vertreten wollen und das Kamerasystem Alarm schlägt, weil es in Ihrem Laufweg ein für Taschendiebe typischen Bewegungsablauf erkannt hat. Oder Ihr vor dem Klo stehen gelassener Rollkoffer löst einen Bombenalarm aus, weil Sie sich zu viel Zeit gelassen haben.
Die Zukunft: Nur noch vorauseilender Gehorsam?
Übrigens: Im eingangs erwähnten Film gerät der Protagonist und „Precrime“-Mitarbeiter Chief John Anderton (gespielt von Tom Cruise) in die Fänge des Systems, obwohl er nichts Falsches getan hat. Um der permanenten Beobachtung und Erfassung zu entkommen, lässt er sich unter anderem auf dem Schwarzmarkt in einem schäbigen Hinterhof neue Augen einpflanzen. Und wer zumindest diesen Aspekt immer noch für abwegig hält: In der realen Welt ist die Technik inzwischen so weit, biometrische Merkmale in Menschenmengen auf bis zu 20 Metern Entfernung zu erkennen.
Sie denken, dass klingt gruselig? Das ist es auch – vor allem wenn diese Systeme jemals Marktreife erreichen sollten. Es bedarf also dringend einer gesellschaftlichen Debatte über den Einsatz KI-basierter Kamerasysteme. Im besten Fall reagiert der Gesetzgeber zeitnah mit einer ausführlichen gesetzlichen Regulierung.
Ich wäre für eine Genanalyse „jedes“ Bürgers und nicht nur durch Arbeitgeber, so wie in den USA.
Quelle: http://www.sueddeutsche.de/gesundheit/us-vorstoss-amerikas-einbruch-in-die-privatsphaere-1.3423395
Damit könnte man möglichen kriminellen Veranlagungen von Tätern noch früher und besser „vorbeugen“! *zwinker* ;)
Sicherheit und Einschränkungen gehen immer Hand in Hand und sind das Gegenteil von Freiheit und Gefahr. Diese Abwägung erfolgt in vielen alltäglichen Situationen, zum Beispiel werden auch Schutzhelme als lästig empfunden. Oder ich stelle mir die Frage, wie soll der Zaun um mein Grundstück ausfallen? Jede Maßnahme zur Erhöhung der empfundenen Sicherheit wird die empfundene Freiheit reduzieren. Somit wird jede Kamera ihre Auswirkungen haben. Diese Abwägung zwischen einer gefühlten Verbesserung der Sicherheit und einer gefühlten Beschneidung der Freiheit fällt individuell sehr unterschiedlich aus. Unsere Demokratie basiert auf Mehrheiten. Da wäre meine Frage, warum es nicht ausreicht, wenn 51% der Betroffenen mehr Sicherheit durch eine Videoüberwachung empfinden. Natürlich wäre es toll, wenn mehr an einem Strang ziehen würden. Das Bedürfnis eines Einzelnen nach Sicherheit und Aufklärung von Straftaten sollte genauso respektiert werden, wie das Bedürfnis eines Einzelnen nach Privatsphäre. Beide können aufeinander Zugehen, indem der Betreiber einer Videoüberwachung die bestimmungsgemäße Verwendung der Daten zusichert und die Gegenpartei ein gesundes Maß an Vertrauen in diese Zusicherung investiert. Denn Vertrauen ist auch ein Zeichen von Respekt.
S. Beckmann: „Unsere Demokratie basiert auf Mehrheiten. Da wäre meine Frage, warum es nicht ausreicht, wenn 51% der Betroffenen mehr Sicherheit durch eine Videoüberwachung empfinden.“
Das reicht aus. Das stellt wohl kein Datenschützer in Frage. Demokratie bedeutet aber auch Wettstreit der Meinungen, der hier, insb. mit dem letzten Absatz, auch angestoßen wird. Eine solide gebildete Meinung beruht wiederum auf der Informiertheit des jeweiligen Individuums. Einen kleinen Beitrag leistet dieser Artikel.
Ist es nicht längst zu spät diese unvermeidliche Entwicklung aufzuhalten? Die Technik ist jetzt schon verfügbar, wird in den kommenden Jahren immer leistungsfähiger und billiger und auch Privatleute werden alles zupflastern mit Kameras usw. Gleichzeitig gibt es in Bevölkerung nicht das geringste Gefahrenbewusstsein. Vielmehr sehnt man sich die Überwachung förmlich herbei und lädt bereitwillig seine Biowerte in Echtzeit ins Internet hoch. Dazu kommt die durch AFD, BILD und Co geförderte subjekte Angst. …Als ob es in Deutschland unsicher ware… Der einfache Bürger klammert sich da natürlich gerne an das Versprechen, dass man diese „Gefahr“ durch mehr Überwachung verringern könnte. Und so wird der Ausbau der Überwachung lauthals gefordert oder zumindest verharmlost.
Seien wir doch mal ehrlich: Der bisherige Datenschutz ist ein Witz. Das wird die DSGVO leider auch nicht ändern. Die ganzen Regeln und Selbstverpflichtungen existieren doch nur auf dem Papier. Keiner kontrolliert, was wirklich mit den Daten passiert. Die Überwachungsinfrastruktur wird definitv weiter ausgebaut und es ist nur eine Frage der Zeit, bis irgendjemand sich den ganzen Apparat einverleibt und einen Kontrollstaat errichtet. Die paar Leute die dagegen ankämpfen, werden leider nicht gehört. Ich habe wenig Hoffnung, dass sich das ändert.
Finde ich ebenso, dass es zu spät ist das (unter diesem politischen Regime) aufzuhalten. Es geht ja noch viel tiefer, Meldepflicht (eingeführt unter Hitler) dient wie damals dazu uns jederzeit aufspüren und für irgendeinen blödsinnigen Gesetzesverstoß zur Verantwortung ziehen zu können. Nummernschilder an Autos, Identifikationszwang bei Zahlungen und bei der Bank, Ausweiszwang, etc., etc., etc. doch genauso. Nur wegen dem Ausweiszwang haben die ja unsere Bilder, die sie jetzt zur Gesichtserkennung einsetzen. Logischerweise müssen wir uns gegen viel mehr wehren als nur gegen diese eine Maßnahme. Wenn wir es hinkriegen das Regime durch was besseres zu ersetzen (oqgc.com) wäre das die einizge noch friedlich mögliche Lösung. Wenn wir das nicht schaffen, sehe ich das früher oder später in die Luft fliegen, wenn die Mehrheit sich die Unterdrückung nicht mehr gefallen lässt. Wenn der Pöbel sich erst wehrt, will ich nicht mittendrin sein.