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Videoüberwachungsverbesserungsgesetz: Starke Kritik von Datenschützern

Videoüberwachungsverbesserungsgesetz: Starke Kritik von Datenschützern

Dem Referentenentwurf des Videoüberwachungsverbesserungsgesetzes des Bundesministeriums des Inneren (BMI) stehen Datenschützer kritisch gegenüber und äußern in Stellungnahmen starke Bedenken.

Derzeitige Gesetzlage

Die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) ist [nur in den rechtlichen Grenzen des §6b BDSG] zulässig, soweit sie

  1. Zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen,
  2. Zur Wahrnehmung des Hausrechts oder
  3. Zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke

erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen.

Erforderlich ist die Videoüberwachung dann, wenn die Maßnahme geeignet ist, d. h. das Überwachungsziel tatsächlich erreicht, und dafür kein anderes, gleich wirksames, aber den Betroffenen weniger in seinen Rechten beeinträchtigende Mittel zur Verfügung steht.

Zudem müssen das Interesse der verarbeitenden Stelle und das schutzwürdige Interesse der Betroffenen gegenübergestellt werden. Im Rahmen dieser Abwägung ist zu prüfen, ob die Verhältnismäßigkeit der Videoüberwachung gewahrt bleibt, wofür alle Umstände des Einzelfalls Beachtung finden sollen.

Änderungsvorhaben des BMI

Nach den Anschlägen diesen Sommer in München und Ansbach besteht jedoch, nach Ansicht des Bundesministeriums des Inneren (BMI) die Notwendigkeit, Einrichtungen und Fahrzeuge des öffentlichen Personenverkehrs, sowie großflächige Anlagen, wie etwa Sport-, Versammlungs- und Vergnügungsstätten, Einkaufszentren und Parkräumen unter Einsatz von optisch-elektronischer Sicherheitstechnologie zu überwachen, um die Sicherheit der Bevölkerung präventiv zu erhöhen.

Um dies zu ermöglichen, soll es zu einer ausdrücklichen Festschreibung einer Gewichtungsvorgabe in der Abwägungsentscheidung im Rahmen des §6b BDSG zugunsten der Sicherheit geben, wie der Referentenentwurf des BMI vom 2.11.2016 zeigt. Hierzu soll §6b Abs. 1 BDSG folgender Satz 2 angefügt werden:

„Bei öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen, wie insbesondere Sport-, Versammlungs- und Vergnügungsstätten, Einkaufszentren oder Parkplätzen, oder Einrichtungen und Fahrzeugen des öffentlichen Personenverkehrs ist der Schutz von Leben, Gesundheit oder Freiheit von dort aufhältigen Personen als wichtiges öffentliches Interesse bei der Abwägungsentscheidung nach Satz 1 Nummer 3 in besonderem Maße zu berücksichtigen.“

Datenschutzrechtliche Bedenken

Mehrere Datenschutzvereinigungen wurden bis 10.11.2016 um Stellungnahme zu dem Referentenentwurf des BMI gebeten. Man kann in den ersten Stellungnahmen bereits eine Tendenz erkennen, welche sich eindeutig gegen die geplante Gesetzesänderung ausspricht.

Die Deutsche Vereinigung für Datenschutz e.V. (DVD) und das Netzwerk für Datenschutzexpertise begrüßt in ihrer Stellungnahme zwar die Intention des BMI, Anschläge von Terroristen und Straftätern auf hochfrequentierten öffentlich zugänglichen Plätzen zu erfassen und evtl. frühestmöglich zu verhindern, stellt jedoch klar, dass die geplante Gesetzesänderung hierfür weder geeignet noch notwendig ist. Insbesondere geht sie davon aus, dass an öffentlichen Orten in unverhältnismäßiger Weise die Videoüberwachung ausgeweitet wird und dadurch eine massive unverhältnismäßige Einschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung erfolgt.

Auch die Europäische Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz (EAID) äußert in ihrer Stellungnahme erhebliche datenschutzrechtliche Bedenken. Besonders kritisch empfindet sie, dass durch die Gesetzesänderung die Abwägungsentscheidung zwischen den berechtigten Interessen zur Aufzeichnung und der informationellen Selbstbestimmung einseitig in Richtung Sicherheit verschoben wird und führt hierzu näher aus:

„Obwohl es sich bei der im Gesetzentwurf vorgesehenen Abwägungsentscheidung über die Zulässigkeit einer Videoüberwachung nach der Gesetzesbegründung formal weiterhin um eine Einzelfallentscheidung handeln mag, würde die Abwägung in verfassungsrechtlich zweifelhafter Weise eingeschränkt, wenn das grundlegende Gerüst der Interessenabwägung einseitig in Richtung der Sicherheit verschoben wird. Eine theoretische Einzelfallentscheidung, verknüpft mit einem derart weit gefassten Tatbestand, wie er durch die Gesetzesnovelle vorgegeben wird, führt im Ergebnis zu einer vordefinierten Entscheidung zugunsten des Einsatzes öffentlich installierter Überwachungskameras.“

Fazit

Ob der Referentenentwurf in dieser Form von der Bundesregierung übernommen wird, ist zwar unwahrscheinlich, aber bleibt abzuwarten. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass auch der Bundesrat noch am Gesetzgebungsverfahren beteiligt werden muss und dass das Gesetz sofern es tatsächlich zu Stande kommt, bereits das Ablaufdatum 25.5.2018 mit sich führt.

Update 11.11.2016:

Die unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Ländern fordern den Bundesminister auf, das Videoüberwachungsverbesserungsgesetz zurückzuziehen. In der Pressemittelung der 92. Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder vom 9./10. November 2016 in Kühlungsborn heißt es:

„Der Entwurf ist für die Bürgerinnen und Bürger ein Placebo mit kurzem Verfallsdatum. Er suggeriert mehr Sicherheit, ohne die bisher geltende Rechtslage tatsächlich zu verbessern […]“

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  • Der Einsatz moderner Technologien und intelligenter Lösungen im Bereich der Videoüberwachung führt in der Konsequenz zu einer deutlich verbesserten Möglichkeit der Prävention. Die Erlangung eines situativen Bewußtseins ermöglicht es etwa den Betreibern von Einkaufszentren, ungewöhnliche Verhaltensweisen früh zu entdecken und entsprechend reagieren zu können. Das Ziel islamistisch motivierter Terrorakte, wie etwa der Überfall auf ein Einkaufszentrum in Nairobi im September 2013, ist es, innerhalb einer möglichst kurzen Zeit, möglichst viele Opfer zu verursachen. Dem kann mit moderner Technik im Bereich der Videoüberwachung begegnet werden, da es diese beispielsweise ermöglicht, Entfluchtungen von der Gefahrenquelle weg zu steuern, und so die Zahl potentieller Opfer zu reduzieren, oder um es anders zu sagen, Menschenleben zu retten. Dem Sicherheitsaspekt und dem Schutz von Leib und Leben ist hier eindeutig Vorrang einzuräumen.

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