Noch nicht lange ist es her, da hat der Skandal um den Kindesmissbrauch in Münster ganz Deutschland erschüttert. Nun fordert die Innenministerkonferenz Konsequenzen digitaler Art: Eine Vorratsdatenspeicherung müsse her – wen interessiert schon Datenschutz?
Der Inhalt im Überblick
Voller Tatendrang
Nicht schon wieder! Dass Politiker regelmäßig für Kopfzerbrechen und Unverständnis (nicht nur) in der Datenschutzwelt sorgen, ist bekannt. Neuester Anlass: Die im Rahmen einer Konferenz in Erfurt letzten Freitag versammelten Innenminister und –senatoren der Länder sowie des Bundes kamen zu dem Entschluss, erneut eine Vorratsdatenspeicherung anzustreben. Eine genauere Analyse zeigt, wie unter dem Deckmantel des Kampfes gegen sexuellen Kindesmissbrauch und Kinderpornografie reinster politischer Aktionismus betrieben wird – unüberlegt, vorschnell und mithilfe eines Rundumschlags gegen Bürgerinnen und Bürger, deren Datenschutz Politikern eigentlich am Herzen liegen sollte.
Münster ist überall
Seitdem der schwere sexuelle Missbrauchsfall in Münster bekannt wurde, herrscht Entsetzen – wie konnten die Täter so lange unentdeckt Kinder quälen und einschlägiges Material im Darknet vertreiben? Aus Sicht von Politikern könne eine Vorratsdatenspeicherung derartige Straftaten künftig verhindern. Dass diese nicht ohne Grund umstritten ist, spielt anscheinend keine Rolle mehr. So müsse laut Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) zur Aufklärung von Kindesmissbrauch jetzt „alles, was nötig und möglich ist“, geprüft und getan werden:
„Wenn die Vorratsdatenspeicherung ein Punkt ist, der dazu gehört, dann müssen wir uns den ansehen und dann müssen wir das auch machen.“
Kindesmissbrauch ist abscheulich. Doch heiligt der Zweck jedes dafür ergriffene Mittel?
Anlasslos, jederzeit, allumfassend
Kaum jemand würde es gutheißen, wenn Einsicht in sein Tagebuch genommen würde. Verständlich, die darin geäußerten Träume, Wünsche und Sehnsüchte sind ja privat. Die Online-Welt spiegelt diese jedoch wider: Welche Videos man guckt, welche Gegenstände man shoppt, mit wem man sich austauscht – all das wird in einer Art digitalem Tagebuch gespeichert. Wer sich im Internet bewegt, hinterlässt nun einmal Spuren. Das alles geschieht bereits jetzt – mithilfe von Tracking, Cookies und beim Speichern durch Ihren Provider.
Die Vorratsdatenspeicherung ermöglicht ein Anreichern Ihres digitalen Tagebuches um immer mehr Informationen. Irgendwann ist im Zweifel jeder Aspekt Ihrer Persönlichkeit darin abgebildet. Dieses Profil ist Gold wert, jedes Werbeunternehmen wäre neidisch. Aber auch Hacker dürften sich nach dem riesigen Datenschatz verzehren, den Provider infolge der massenhaften Speicherung von Daten auf Vorrat anzulegen hätten. Datenschutz? Keine Chance: Gespeichert würde absolut alles, anlasslos, andauernd – je nach Ausgestaltung und (böser) Absicht. Ganz schön angsteinflößend.
Einmal Fuß gefasst…
Kein Grund zur Beunruhigung: Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) könne sich vorstellen,
„dass die Vorratsdatenspeicherung zunächst auf den Bereich Kinderpornografie beschränkt wird.“
Also halb so wild? Nein. Wie das Wörtchen „zunächst“ zeigt, ist eine umfassendere Vorratsdatenspeicherung geplant – nur versucht man zuallererst den Fuß in die Tür zu bekommen. Dann kann man damit beginnen, Überwachungsmaßnahmen Schritt für Schritt salonfähiger zu machen. Und irgendwann ist es zu spät.
Eine Beschränkung auf Fälle von Kindesmissbrauch wirft aber auch rein praktische Fragen auf: Wenn lediglich Daten von derartigen Sexualstraftätern auf Vorrat gespeichert würden, müsste dann nicht der Provider schon wissen, dass bei dieser und jener Person strafwürdiger Inhalt anfällt? Ginge damit nicht die Forderung nach Vorratsdatenspeicherung für Missbrauchstäter und Konsumenten von Kinderpornografie einher mit der Verpflichtung der Provider, sämtliche Daten auf derartige Inhalte auszuwerten? Müssten Ermittlungsbehörden den Provider dann nicht auch über möglicherweise verdächtige Personen informieren, vielleicht sogar in einem noch sehr frühen Ermittlungsstadium oder gar rein präventiv?
Klar wäre es denkbar, „zunächst“ nur Daten einschlägiger Websites auf Vorrat zu speichern, um länger auf diese zugreifen zu können. Liegt es aber hier nicht vielleicht eher am mangelnden Personal, an Inkompetenz und der langsamen Behördenarbeit, dass nicht rechtzeitig gegen pädophile Straftäter bzw. Websitebetreiber vorgegangen wird?
So verständlich es auch ist, Kinderpornografie endlich Einhalt gebieten zu wollen – viele Straftäter wüssten sich trotz Vorratsdatenspeicherung zu schützen. Auch im Falle des Kindesmissbrauchs in Münster war es so – die elektronischen Geräte des Hauptverdächtigen waren derart verschlüsselt, dass die Ermittler diese lange nicht entsperren konnten. Aber auch Betreiber von Kinderpornografie-Seiten dürften auf Schutz ihrer Konsumenten bedacht sein. Im Zweifel entlohnen sie ihre IT-Fachkräfte besser als der Staat.
Und wieder: Totschlagargumente
Viele Datenschutzlaien hierzulande sind sich sicher: Wer die Vorratsdatenspeicherung ablehne, schütze Kriminelle – Datenschutz sei ja im Übrigen Täterschutz! Solche Aussagen hören wir öfter und ganz ehrlich, langsam haben wir sie satt. Der Datenschutz zielt nicht darauf ab, irgendwelche Straftäter zu schützen, sondern die 99 Prozent, die sich nichts zuschulden kommen haben lassen, davor zu bewahren, von vorne bis hinten ausgespäht zu werden.
Dass in manchen Fällen auch Straftäter von Datenschutz profitieren, lässt sich nicht verhindern – das ist jedoch kein Grund, die Grundrechte aller auszuschalten!
An dieser Stelle lasse ich den NRW-Innenminister Herbert Reul zu Wort kommen:
„Es muss doch möglich sein, aus diesen ideologischen Kriegen von Vorratsdatenspeicherung ja oder nein rauszukommen und einfach mal zu sagen, dann machen wir es eben für den Kinderschutz.“
So ist das also: Der Kinderschutz wird nur vorgeschoben, um die leidige Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung ein für alle Mal zu beenden – mit einem für die CDU und SPD befriedigenden Ergebnis. Politiker wissen, wie man der Bevölkerung unangenehme Sachverhalte am besten verkauft. Man muss sie nur ins richtige Licht rücken. Massenüberwachung zwecks Massenüberwachung klingt halt nicht so toll. Wer ist schon ernsthaft gegen den Schutz der Schwächsten unserer Gesellschaft? Keiner. Kritiker der Vorratsdatenspeicherung setzen sich dem Vorwurf aus, die Täter den Opfern vorzuziehen.
Was viele Politiker dabei übersehen: Sie degradieren Kinder zum Objekt, nutzen sie als Mittel zum Zweck, sei es aus Unwissenheit oder Machtgier. Dass der fehlenden Vorratsdatenspeicherung dazu noch die Schuld am unentdeckten Kindesmissbrauch zugeschoben wird, kommt manchen ganz gelegen, lenkt dies doch vom Behördenversagen – und damit auch dem der eigenen Politik – in Münster ab.
Die Odyssee der Vorratsdatenspeicherung
Das Hin und Her beim Thema Vorratsdatenspeicherung beschäftigt Politik, Datenschützer und Gerichte bereits seit 2006 – ein Ende ist nicht in Sicht.
EU-Richtlinie und erstes Gesetz
Die im Jahr 2006 erlassene EU-Richtlinie zur sechsmonatigen, anlasslosen Speicherung aller Telefon-, E-Mail- und Internetverkehrsdaten auf Vorrat wurde mit Urteil des EuGH vom 08. April 2014 rückwirkend für ungültig erklärt. Diese hatte in einem besonders großen Ausmaß und mit besonderer Schwere in EU-Grundrechte eingegriffen.
Das auf Grundlage der Richtlinie geschaffene erste Vorratsdatenspeicherungsgesetz Deutschlands wurde durch das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 02. März 2010 für verfassungswidrig erklärt. Eine verfassungsgemäße Ausgestaltung der Vorratsdatenspeicherung sei zwar möglich, unterliege allerdings sehr strengen Anforderungen. Neben einem hohen Standard an Datensicherheit und hinreichender Transparenz erfordere eine verfassungsgemäße Ausgestaltung ein effektives Rechtsschutzsystem und klare gesetzliche Regelungen zum Umfang der Datenverwendung. Dabei müssten vorsorglich anlasslose Datenspeicherungen grundsätzlich die Ausnahme bleiben. Die Speicherung auf Vorrat dürfe zudem nicht zu einer Rekonstruierbarkeit praktisch aller Aktivitäten der Bürger führen. Ob das die Bundesregierung interessiert?
Zweites Gesetz
Zumindest gab diese nicht auf: Mit dem am 11. Dezember 2015 in Kraft getretenen zweiten Vorratsdatenspeicherungsgesetz wagte sie einen neuen Versuch. Darin steht, dass Standortdaten nunmehr vier Wochen und alle übrigen Verkehrsdaten zehn Wochen gespeichert werden sollten. E-Mail-Daten speichere man nicht mehr. Da sich weiterhin aussagekräftige Bewegungsprofile erstellen ließen, sind auch gegen dieses Gesetz mehrere Verfassungsbeschwerden anhängig. Immer noch.
Vorläufig ausgesetzt
Derzeit ist die Vorratsdatenspeicherung mehr oder weniger ausgesetzt – fast alle Telekommunikationsanbieter sehen von einer derartigen Speicherung ab. Wieso? Mit Beschluss vom 22. Juni 2017 entschied das Oberverwaltungsgericht Münster im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens, dass der Provider Spacenet vorläufig nicht speichern müsse. Der Grund: Die Speicherpflicht könnte potentiell nicht mit der EU-Grundrechtecharta vereinbar sein. Erst Ende 2016 hatte der EuGH seine Position aus 2014 bestätigt.
Die Bundesnetzagentur gab infolge des Oberverwaltungsgerichtsbeschlusses bekannt, bis zu einer abschließenden Klärung im Hauptsacheverfahren TK-Anbieter, die der Speicherpflicht nicht bereits ab dem 01. Juli 2017 nachkamen, nicht aufsichtsrechtlich zur Rechenschaft ziehen zu wollen.
Am 25. September 2019 entschied das Bundesverfassungsgericht, dem EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens zu konsultieren. Vielleicht weiß der ja mehr. Es bleibt spannend…
Auf Wählerfang
Die Forderung nach einer erneuten Vorratsdatenspeicherung ist juristisch mehr als wackelig und unausgegoren – wieso keimt dieser Vorschlag dann immer wieder auf? Ganz einfach: Ob die massenhafte Datenspeicherung auf Vorrat umgesetzt werden kann oder nicht, ist aus Politikersicht nicht entscheidend! Um Wählerfang zu betreiben, reicht der bloße Anschein aus, gegen Kindesmissbrauch vorzugehen. Ob man die Maßnahmen überhaupt je verwirklicht, ist zweitrangig. Im Zweifel prüft das sowieso keiner.
Ich kann Frau Pettinger voll umfänglich zustimmen. Auch ich beobachte, wie die Corona-Krise politisch dazu benutzt wird, Grundrechte auf breiter Basis usn weit über das Ziel hinnausschiessend eingeschränkt werden und der Staat immer mehr versucht, sich dem chinesischen Kontrollmodell anzunähern. was nützt z.B. eine Corona App, wenn die Eigentümer der App mindestens 14 Tage unkontrolliert herumlaufen, bevor sie mit bekommen, dass sie infiziert sind? Wenn die Infizierten freiwillig ihre Infektion in die App eintragen müssen. Was ist, wenn sie sich nicht vorsorglich testen lassen? Warum muß in einer medizinischen „Erstazteil-Datenbank“ auch alles andere an Gesundheitsdaten gespeichert werden (Art9 DSGVO). Warum enthält die Corona Daetneback auch die gesammelten Daten gesunder Menschen? Wer überwacht die Schnittstelle der Anonymisierung?
Die lIste liesse sich endlos fortsetzen. Nciht nur das Finanzamt will den gläsernen Bürger, alle anderen politisch verantwortlichen Instanzen offensichtlich auch.