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BGH: Auskunftsanspruch gegen Krankenhaus auf die Patientenadresse

BGH: Auskunftsanspruch gegen Krankenhaus auf die Patientenadresse

Patientendaten unterliegen gemäß § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB der ärztlichen Schweigepflicht. Nicht zuletzt wegen drohender strafrechtlichen Konsequenzen und empfindlicher Bußgelder wegen Verstöße gegen datenschutzrechtliche Vorschriften sind Ärzte hinsichtlich der Weitergabe von Patientendaten an Dritte – zu Recht – zurückhaltend. In dem vom BGH entschiedenen Fall (III ZR 329/14) überwog allerdings der Auskunftsanspruch das Geheimhaltungsinteresse.

Was ist der Fall?

Zwei Halbwüchsige teilen sich ein Krankenhauszimmer. Da bricht sich der eine das Bein. Der Geschädigte behauptet, der Mitpatient war es. Jener will nun diesen verklagen. Dazu benötigt er die Adresse, die er nicht kennt. Er wendet sich an das Krankenhaus. Aus Angst vor strafrechtlichen Konsequenzen verweigert es jedoch die Auskunft.

Anschließend klagte der Geschädigte gegen das Krankenhaus auf Auskunft und bekam – wie von den Vorinstanzen auch – in letzter Instanz vom BGH Recht.

Urteilsgründe: Auskunftserteilung ist dem Krankenhaus zumutbar

Der dritte Senat gelangt in seinen Urteilsgründen zu dem Ergebnis, dass die Erfüllung des Auskunftsanspruchs dem Krankenhaus zumutbar ist, das dadurch nicht unbillig belastet wird. Zu den Gründen im Einzelnen:

Datenschutz und ärztliche Schweigepflicht

Zwingende Bestimmungen des Datenschutzes sowie die ärztliche Schweigepflicht gemäß § 203 StGB stehen dem Auskunftsanspruch nicht entgegen.

Übermittlung der Patientendaten an Dritte

Nach § 32 Abs. 1 Landeskrankenhausgesetz Mecklenburg-Vorpommern (LKHG-MV) unterliegen zwar die im Krankenhaus erhobenen Patientendaten dem Datenschutz. Hierzu zählen insbesondere Angaben zur Person des Patienten, z.B. die Adresse. Allerdings ist die Übermittlung der Patientendaten an Dritte nach § 35 Abs. 1 Nr.3 LKG-MV zulässig, soweit dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr auch für die persönliche Freiheit des Patienten erforderlich ist und wenn diese Rechtsgüter das Geheimhaltungsinteresse wesentlich überwiegen.

Mit den Worten des BGH (III ZR 329/14 Rn.22):

„Das Recht des Klägers, einen Schadensersatzanspruch notfalls auch unter Inanspruchnahme der Zivilgerichte gegen seinen Mitpatienten geltend machen zu können, wird von § 35 Abs. 1 Nr. 3 LKHG M-V erfasst. Die Regelung, die sprachlich bewusst an § 34 StGB angelehnt ist, hebt die Notwendigkeit einer Abwägung der widerstreitenden Interessen und der betroffenen Rechtsgüter hervor. § 34 StGB beschränkt seinen Anwendungsbereich aber nicht auf einige wenige notstandfähige Rechtsgüter, sondern erstreckt sie auf jedes rechtlich geschützte Interesse, gleichgültig, von welchem Teil der Rechtsordnung es diesen Schutz erfährt. Die Hervorhebung einzelner Rechtsgüter hat nur exemplarischen Charakter (…) Der Begriff der persönlichen Freiheit i.S.d. § 35 Abs. 1 Nr. 3 LKHG M-V ist daher weit auszulegen. Die vom Landesgesetzgeber vorgesehene und hervorgehende Notwendigkeit der Güterabwägung sichert einen ausreichenden Interessenausgleich. Der grundgesetzlich garantierte Justizgewährungsanspruch würde dagegen durch die bereichsspezifischen Regelungen im LKHG M-V unverhältnismäßig verkürzt, wenn ein in einem Krankenhaus von einem Mitpatienten Geschädigter von vorneherein und ohne Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen keine Möglichkeit hätte, Angaben zu der Identität des Schädigers zu halten.“

Auskunftsinteresse überwiegt Geheimhaltungsinteresse

Im Rahmen der gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 3 LKG M-V vorzunehmende Interessenabwägung überwiegt das Auskunftsinteresse bzw. der Auskunftsanspruch des Klägers das Geheimhaltungsinteresse des Mitpatienten. Es kommt dabei nicht darauf an, ob feststeht, dass der Mitpatient die vom Patienten behauptete Körperverletzung begangen hat. Ohne Herausgabe der Adresse wird dem Geschädigten jede Möglichkeit genommen, den Mitpatienten in Anspruch zu nehmen.

§§ 33 ff. LKHG M-V schützen besonders sensible Gesundheitsdaten (Krankheitsverlauf, Vorerkrankungen, Dauerschäden) vor unzulässiger Weitergabe. Die Vorschriften bezwecken jedoch nicht, Patienten, die Mitpatienten schädigen, die vollständige Anonymität zu sichern und damit den Geschädigten rechtlos zu stellen.

Ärztliche Schweigepflicht kein Hindernisgrund für die Herausgabe der Adresse

Liegen die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Nr. 3 LKHG M-V vor, so ergeben sich unter dem Aspekt der ärztlichen Schweigepflicht keine Hindernisgründe gegenüber der Herausgabe der Adressdaten.

Hierzu führt der BGH aus (III ZR 329/14 Rn.24):

„Demnach scheidet, wenn die Erteilung einer Auskunft nach gebenden Person nach § 35 Abs. 1 Nr. 3 LKHG M-V erlaubt ist, eine Strafbarkeit der Auskunft gebenden Person nach § 203 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 2 StGB von vorneherein aus, da die Offenbarung des zum persönlichen Lebensbereich gehörenden „Geheimnisses“ nicht unbefugt erfolgt (…)“

Überzeugende Argumentation

Dem dritten Senat des BGH gelingt im vorliegenden Urteil eine überzeugende Argumentation. Unter systematischer Bezugnahme auf § 34 StGB und dem Willen des Landesgesetzgebers in Mecklenburg-Vorpommern interpretiert der BGH den Begriff der persönlichen Freiheit in § 35 Abs. 1 Nr. 3 LKHG M-V zu Recht weit, um den Justizgewährungsanspruch in die Rechtsgüterabwägung einbeziehen zu können.

Auch in der Wertung der widerstreitenden Interessen liegt der BGH richtig. Der Auskunftsanspruch überwiegt zu Recht das Geheimhaltungsinteresse des Krankenhauses. Die Adresse des Mitpatienten betrifft nicht den Kernbereich der besonders sensiblen und schutzbedürftigen Gesundheitsdaten. Zumal das Recht auf Geheimhaltung dieses weniger schutzbedürftigen Datums jegliche Bemühungen zur Geltendmachung rechtlicher Ansprüche von vorne herein zum Scheitern verurteilt hätte.

Praxistipp – Abwägungen sind Entscheidungen im Einzelfall

Abwägungen wie die in diesem BGH-Urteil lassen nicht generalisieren lassen und implizieren immer eine Entscheidung im Einzelfall. In einer abweichenden Fallkonstellation als die vorliegende kann das Geheimhaltungsinteresse ein unüberwindbares Hindernis für das Auskunftsbegehren darstellen. Daher setzt eine rechtliche Beurteilung eine genaue Analyse sämtlicher fallrelevanter Umstände voraus. Dabei helfen Ihnen Experten im Bereich Datenschutzrecht.

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