Gemäß EuGH-Urteil kann sich ein Sportverband bei der entgeltlichen Weitergabe von personenbezogenen Mitgliedsdaten zu Marketing- und Werbezwecken auf seine berechtigten Interessen nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO berufen. Doch der Teufel steckt im Detail. Dieser Artikel geht darauf ein inwiefern beim Abstellen auf die Rechtsgrundlage der berechtigten Interessen auf die sonstigen Grundsätze der DSGVO zu achten ist.
Der Inhalt im Überblick
Anlass des ursächlichen Rechtsstreits
Der Beklagte ist ein Sportverband. Um die Verbreitung und Sichtbarkeit des Tennissports und den Bestand seiner Mitglieder zu steigern, arbeitet der Verband mit Sponsoren zusammen. Gegenüber zwei der Sponsoren legte der Verband gegen Entgelt personenbezogene Daten seiner Mitglieder (Name, Anschrift und Wohnort) für den Versand postalischer Werbung offen. Gegenüber einem anderen Sponsoren legte der Verband neben den Namen, Anschriften und Wohnorten seiner Mitglieder deren Geburtsdaten, Festnetznummern, Mobiltelefonnummern und E‑Mail-Adressen sowie die Namen der Tennisclubs offen, denen diese Mitglieder angehörten. Zweck dieser Bereitstellung war eine Telefonwerbemaßnahme.
Aufgrund von Beschwerden verschiedener betroffener Mitglieder verhängte die Aufsichtsbehörde aufgrund von Verstößen gegen Art. 6 Abs. 1 lit. a, f i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. a DSGVO eine Geldbuße in Höhe von 525.000 Euro gegen den Verband. Der Verband wehrte sich mit einer Klage gegen die Entscheidung der Aufsichtsbehörde. Nach Ansicht des Verbands sei eine Einwilligung der betroffenen Personen für die Datenverarbeitung nicht erforderlich gewesen, da die Datenverarbeitung auf ein berechtigtes Interesse gestützt werden könne. Die Aufsichtsbehörde hingegen vertritt die Ansicht, dass nur zum Gesetz gehörende, gesetzliche und in einem Gesetz festgelegte Interessen berechtigte Interessen im Sinne von Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO darstellen könnten.
Fragen an den EuGH zu berechtigten Interessen
Das angerufene Gericht setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH verschiedene Fragen zum berechtigten Interesse zur Entscheidung vor. Der EuGH beantwortete in der Rechtssache C-621/22 die ihm vorgelegten Fragen, in denen es im Wesentlichen darum ging, ob jedes wirtschaftliche Interesse – soweit legal – ein berechtigtes Interesse im Sinne von Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO darstellen kann oder ob das jeweils verfolgte Interesse gesetzlich bestimmt sein muss, zusammen.
Weitere DSGVO-Grundsätze beachten!
Der EuGH weist darauf hin, dass bei einer Abstellung auf den berechtigten Interessen als Rechtsgrundlage ebenfalls die anderen den Sportverband obliegenden Pflichten aus der DSGVO erfüllt werden müssen. Das Gericht würdigt insbesondere die in Artikel 5 DSGVO aufgestellten Grundsätze für die Verarbeitung solcher Daten, namentlich die Verarbeitung nach Treu und Glauben, die Zweckbindung und Datenminimierung, und die in Artikel 13 Abs. 1 DSGVO normierten Informationspflichten.
Enge Auslegung des Begriffs der berechtigten Interessen
Der EuGH weist unter Bezugnahme auf seine Entscheidung in der Rechtssache C‑252/21 (Meta Platforms u. a.) darauf hin, dass die Rechtsgrundlagen aus Art. 6 Abs. 1 lit. b bis f DSGVO eng auszulegen sind. Denn sie können dazu führen, dass eine Verarbeitung personenbezogener Daten trotz fehlender Einwilligung rechtmäßig ist.
Das Gericht führt weiter aus, dass grundsätzlich ein breites Spektrum von Interessen als berechtigt gelten kann, soweit die verfolgten Interessen rechtmäßig sind. Ein verfolgtes berechtigtes Interesse müsse nicht gesetzlich geregelt sein, damit die vorgenommene Verarbeitung personenbezogener daten als rechtmäßig im Sinne von Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO gelte.
Voraussetzungen bei der Abwägung berechtigter Interessen
Die Verarbeitung personenbezogener Daten unter Berufung auf berechtigte Interessen nach Artikel 6 Abs. 1 lit. f ist unter drei kumulativen Voraussetzungen rechtmäßig:
- Wahrnehmung eines berechtigten Interesses
- Verarbeitung muss zur Verwirklichung des berechtigten Interesses erforderlich sein
- Interessen oder Grundfreiheiten der betroffenen Person dürfen ggü. berechtigten Interessen des Verantwortlichen nicht überwiegen
Prüfungspunkt 1: Wahrnehmung eines berechtigten Interesses
Da der Begriff der berechtigten Interessen eng auszulegen ist, wertete das Gericht die Interessen des Sportverbands den Tennissport mittels Sponsoren bekannter zu machen als berechtigte Interessen. So führt auch der 47. Erwägungsgrund der DSGVO die Zwecke der Direktwerbung im Allgemeinen als Beispiel für berechtigte Interessen an.
Prüfungspunkt 2: Erforderlichkeit der Verarbeitung
Die Erforderlichkeit ist zu bejahen, wenn keine Mittel vorliegen, die ebenso geeignet sind und weniger stark in die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Personen eingreifen. Das Gericht stellt fest, dass es dem Sportverband möglich gewesen wäre seine Mitglieder im Voraus zu informieren und zu fragen, ob ihre Daten für Werbe- oder Marketingzwecke an Dritte weitergegeben werden können. Solch ein Vorgehen wäre weniger eingriffsintensiv und hätte im Einklang mit dem Grundsatz der Datenminimierung den Mitgliedern erlaubt die Kontrolle über die Offenlegung ihrer personenbezogenen Daten zu behalten.
Letzter Prüfungspunkt: Interessenabwägung der Betroffenen
Streng genommen ist an diesem Punkt offensichtlich, dass sich der Sportverband aufgrund der nicht gegebenen Erforderlichkeit der Datenverarbeitung nicht auf berechtigte Interessen berufen kann. Da die Interessenabwägung in der Praxis mithin am meisten Schwierigkeiten macht, wird auch diese näher erläutert. Hat das verankerte Recht der Mitglieder von Tennisvereinen auf Privatsphäre hinsichtlich der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten Vorrang vor dem wirtschaftlichen Interesse des Sportverbands? Besondere Bedeutung ist auch der Frage beizumessen, ob die Mitglieder zum Zeitpunkt der Übermittlung ihrer Daten zum Zweck des Beitritts zu einem Tennisverein vernünftigerweise absehen konnten, dass diese Daten gegen Entgelt für Werbe- und Marketingzwecke gegenüber Dritten, wie z.B. Sponsoren des Sportverbands, offengelegt werden.
Auch auf den Kontext der Datenweitergabe kommt es an
Abschließend ermahnt der EuGH das nationale Gericht zu berücksichtigen, dass die betreffenden Mitgliedsdaten u. a. an einen Anbieter von Glücks- und Kasinospielen übermittelt wurde. Dieser Kontext scheint nicht durch eine angemessene Beziehung zwischen den betroffenen Personen und dem Verantwortlichen gekennzeichnet. Durch diese Verarbeitung könnten sich die Mitglieder der betreffenden Tennisvereine der Gefahr der Entwicklung einer Spielsucht aussetzen.
Man merke: Bei Abwägung berechtigter Interessen sorgfältig sein!
Die Entscheidung des Gerichts veranschaulicht auf einprägsame Art und Weise worauf bei der Abwägung berechtigter Interessen nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO zu achten ist. Als verantwortliche Stelle ist stets zu prüfen, ob die berechtigten Interessen gegebenenfalls durch ein milderes, weniger Eingriff intensives Mittel erreicht werden können. Vornehmlich wird eine Prüfung in der Praxis zumeist an der Interessenabwägung der Betroffenen scheitern. In besagtem Ausgangsfall wird aller Wahrscheinlichkeit nach kein Vereinsmitglied zum Zeitpunkt des Beitritts damit gerechnet haben, dass die Mitgliedsdaten an Sponsoren zum Zwecke der Direktwerbung weitergegeben werden. Grundsätzlich ist es ratsam, bei Unsicherheit hinsichtlich Stützen auf berechtigte Interessen den Datenschutzbeauftragten frühzeitig zu involvieren.
Gar nicht dabei: Zweckänderung. Die Prüfung, ob Daten für den ganz anderen Zweck verarbeitet werden dürften. Inkl. Informationspflicht vor der neuen Verarbeitung.
Und in Deutschland bzw. wo das ähnlich reglementiert ist: § 7 Abs. 2 UWG. (Eine Verarbeitung, die gegen das ausdrückliche Einwilligungserfordernis eines Schutzgesetzes verstößt, wird kein „berechtigtes“ Interesse sein. )
D., der sich nicht zum ersten Mal wundert, wie man überhaupt auf den Gedanken kommen kann…
,,Das Gericht stellt fest, dass es dem Sportverband möglich gewesen wäre seine Mitglieder im Voraus zu informieren und zu fragen, ob ihre Daten für Werbe- oder Marketingzwecke an Dritte weitergegeben werden können.“
Das ist das Einzige, was mich an dieser Entscheidung stört. Im Endeffekt sagt der EuGH, dass hier eine Einwilligung nach Art. 6 I lit. a) DSGVO einzuholen ist. Das widerspricht jedoch der ständigen Rechtsprechung des EuGH, wonach eine Verarbeitung rechtmäßig ist, wenn MINDESTENS einer der Tatbestände des Art. 6 I DSGVO vorliegt (EuGH, 16.01.2019 – C-496/17; EuGH, 22.06.2021 – C-439/19; EuGH, 30.03.2023 – C34/21; EuGH. 04.05.2023 – C-60/22; EuGH, 04.07.2023 – C-252/21; EuGH, 21.12.2023 –
C-667/21.).
Der EuGH sagt in den zitierten Entscheidungen gerade nicht, dass zunächst zu prüfen ist, ob man eine Einwilligung einholen kann. Ein solches Erfordernis ergibt sich weder aus dem Wortlaut von Artikel 6 I DSGVO (,,Die Verarbeitung ist nur rechtmäßig, wenn MINDESTENS eine der nachstehenden Bedingungen erfüllt ist:[….]“) noch aus der Systematik des gesamten Artikel 6 DSGVO oder seines Zweckes, welcher in der ABSCHLIEẞENDEN Regelung der Voraussetzungen für eine rechtmäßige Verarbeitung personenbezogener Daten liegt.
Der EuGH sagt nicht, dass sich der Sportverband hinsichtlich der Rechtsgrundlage auf die Einwilligung i. S. v. Art. 6 Abs. 1 lit. a DSGVO hätte berufen müssen. Das Gericht erwähnt diesen Aspekt im Kontext der sorgfältigen Interessenabwägung. Diese ist bei Verwendung von Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO als Rechtsgrundlage einer Datenverarbeitung stets vorzunehmen. Was die Erforderlichkeit der Verarbeitung betrifft, wäre eine vorherige Befragung der Mitglieder ein weniger eingriffsintensives und dem Grundsatz der Datenminimierung entsprechendes Mittel gewesen.