Die sächsische Aufsichtsbehörde beschäftigt sich in ihrem aktuellen Tätigkeitsbericht für das Jahr 2019 mit der Frage, ob Privatpersonen berechtigt sind, zu Zwecken einer Anzeige und zum Nachweis festgestellter Ordnungswidrigkeiten, Abbildungen und Videoaufnahmen anzufertigen und an die Ordnungsbehörden weiterzuleiten.
Der Inhalt im Überblick
Dashcam-Aufnahmen führten zur Hausdurchsuchung
Interessant ist die Frage auch deshalb, weil die Aufsichtsbehörde im Tätigkeitsbericht angibt, im Jahr 2019 insgesamt 11 Bußgelder zwischen 50 und 800 € wegen unrechtmäßigen Betriebs einer Dashcam verhängt zu haben, wobei sich 8 Bußgelder auf die DSGVO stützten und 3 Bußgelder auf das alte BDSG (siehe Seite 126).
In einem Fall erhielt die Aufsichtsbehörde regelmäßig von der Polizei Post, die mit einer Privatperson zu tun hatte, die beständig Verkehrsdelikte anzeigte, die von ihr mit einer Dashcam dokumentiert wurden. Mit der Hausdurchsuchung sollte ermittelt werden, in welchem Umfang Verkehrsverstöße und andere Ordnungswidrigkeiten mit der Dashcam aufgenommen wurden. Dies erinnert daran, wie weitreichend die Kontrollbefugnisse der Aufsichtsbehörden nach Art. 58 DSGVO sein können. Hier war insbesondere Art. 58 Abs.1 lit. f DSGVO einschlägig, wonach Aufsichtsbehörden gemäß dem Verfahrensrecht des Mitgliedstaats (in Deutschland daher die Regelungen zur (Haus-)Durchsuchung gem.§§ 102, 105 StPO) Zugang zu den Räumlichkeiten, einschließlich aller Datenverarbeitungsanlagen und -geräte, des Verantwortlichen und des Auftragsverarbeiters erhalten können.
Über die datenschutzrechtlichen Problematiken beim Dashcam-Einsatz im Fahrzeug, sowie einem Grundsatzurteil des BGH zur Verwertbarkeit solcher Aufnahmen als Beweismittel im Gerichtsverfahren, hatten wir in der Vergangenheit bereits mehrfach berichtet.
Hilfssheriffs auf Abwegen
Die Dashcam-Problematik wirft jedoch auch die Frage auf, wo überhaupt die datenschutzrechtlichen Grenzen liegen, wenn Privatpersonen, die Zeuge einer Ordnungswidrigkeit werden, sich zur Hilfspolizei aufschwingen und die Vorgänge dokumentieren, um eine Anzeige bei der Polizei aufzugeben. Häufig geht es hierbei dann nicht mehr um die Sammlung möglichen Beweismaterials für den Fall einer möglichen Rechtsverfolgung oder -verteidigung im Rahmen eines Unfalls, sondern darum, die Ordnungsbehörden auf Fehlverhalten Dritter aufmerksam zu machen.
Die erste Frage, die sich hier stellt: Ist die DSGVO überhaupt einschlägig? Schließlich fallen gem. Art. 2 Abs. 2 S.2 DSGVO familiäre und private Tätigkeiten nicht in den sachlichen Anwendungsbereich des Datenschutzrechts. Wäre die Tätigkeit der Anzeigenden eine sog. private Tätigkeit, könnten sich Dritte, die von solchen Hilfssheriff-Tätigkeiten „drangsaliert“ werden, unter dem Gesichtspunkt eines Eingriffs in ihr informationelles Selbstbestimmungsrecht gem. §§ 823 Abs.1 und 2, 1004 BGB, Art. 2 Abs.1 GG wehren. Dies wäre dann jedoch kein Thema für die Aufsichtsbehörden.
Dass sich eine solche nun mit dem Thema Anzeigen durch Private beschäftigt, legt nahe, dass sie den sachlichen Anwendungsbereich der DSGVO für eröffnet erachtet. Die Sächsische Aufsichtsbehörde stellt im Tätigkeitsbericht entsprechend fest, dass wenn Daten zum Zwecke des Nachweises wahrgenommener Ordnungswidrigkeiten an eine zuständige Behörde übermittelt werden, es sich hierbei nicht mehr um eine ausschließlich persönliche oder familiäre Tätigkeit im Sinne von Art. 2 Abs.2 S.2 lit.c DSGVO handeln kann.
Der Anzeigende sei auch hinsichtlich der Datenverarbeitung datenschutzrechtlich Verantwortlicher (Art. 4 Nr.7 DSGVO).
Worauf die Aufsichtsbehörde nicht näher eingeht ist das Erfordernis einer automatisierten Datenverarbeitung für die Anwendbarkeit der DSGVO gem. Art. 2 Abs.1 DSGVO. Diese wird jedoch in den allermeisten Fällen vorliegen, wenn die Ordnungswidrigkeit mit einer Digital-Kamera angefertigt wird oder Daten per E-Mail zusammengefasst an die Polizei gesendet werden.
Eigenes Interesse an Anzeige maßgeblich
Als Rechtsgrundlage wird häufig nur Art. 6 Abs.1 lit. f DSGVO, daher das berechtigte Interesse an der Datenverarbeitung, in Betracht kommen.
Die Aufsichtsbehörde stellt hierzu fest:
„Zu betonen ist, dass der Einzelne eben nicht Sachwalter öffentlicher Interessen ist.“
Im Grundsatz gilt daher: Verfolgt der Anzeigende eigene Interessen bei der Datenerhebung und Verarbeitung zum Zwecke der Anzeige einer Ordnungswidrigkeit gegenüber der Polizei, wird er eine in diesem Zusammenhang stattfindende Datenerhebung und -verarbeitung regelmäßig auf sein berechtigtes Interesse stützen können.
Führt er sich hingegen wie ein verlängerter Arm (oder hier Auge) der Ordnungsbehörden auf, wird ein berechtigtes Interesse grundsätzlich nicht vorliegen. In diesem Fall wären datenschutzrelevante Aufzeichnungen für die Anzeigeerstattung gegenüber der Polizei datenschutzrechtlich rechtswidrig. Der Tätigkeitsbericht zählt einige von der Rechtsprechung entschiedene Fälle auf (Seite 35 f.).
Fehlender staatlicher Übertragungsakt
Auf eine andere mögliche Rechtsgrundlage ist die Sächsische Aufsichtsbehörde hingegen nicht näher eingegangen – Art. 6 Abs.1 lit.e DSGVO:
Hiernach kann die Verarbeitung gerechtfertigt sein, wenn sie für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich ist, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde.
Das Bundesverwaltungsgericht stellte hierzu fest (BVerwG, Urteil vom 27.03.2019, Az. 6 C 2.18), dass sich Privatpersonen auf Art. 6 Abs.1 lit. e DSGVO berufen können
„wenn ihnen die Befugnis, auf personenbezogene Daten zuzugreifen, im öffentlichen Interesse oder als Ausübung öffentlicher Gewalt übertragen ist. Sie müssen anstelle einer Behörde tätig werden. Dies setzt einen wie auch immer gestalteten staatlichen Übertragungsakt voraus“
Ein einem solchen staatlichen Übertragungsakt wird es regelmäßig bei den Anzeigenden, die etwa einen Falschparker fotografieren und an die Polizei melden, fehlen.
Rechtswidrigkeit und Verwertbarkeit
Die Aufsichtsbehörde stellt am Ende des Beitrags einen ganz wesentlichen Punkt heraus: Die Rechtswidrigkeit einer Aufnahme hat in der Praxis wenig Auswirkung auf die Verwertbarkeit als Beweismittel und verweist hierbei auf die vorgenannte BGH-Rechtsprechung zu Dashcams.
Damit gilt im Kern: Führt sich jemand als Hilfssheriff auf und übermittelt festgestellte Ordnungswidrigkeiten an die Polizei, wird diese die Aufnahmen möglicherweise gegen die Störer verwenden, der vermeintliche Hilfssheriff läuft dabei jedoch Gefahr, von der Aufsichtsbehörde für Datenschutz einen „auf den Deckel zu bekommen“. Im schlimmsten Fall kann es so weit gehen, dass der Anzeigende irgendwann die Aufsichtsbehörde oder ihre Hilfssheriffs – die richtige Polizei – in den eigenen 4 Wänden hat.