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Urteile aus der Welt unzulässiger Videoüberwachung

Urteile aus der Welt unzulässiger Videoüberwachung

Das Thema Videoüberwachung ist ein absoluter Dauerbrenner in der Welt des Datenschutzes. Immer wieder beschäftigt dieses Thema daher auch die Gerichte. In diesem Beitrag stellen wir zwei Urteile vor, welche die Folgen unbedachter oder mangelhaft geprüfter Videoüberwachung aufzeigen.

Urteil 1: Die uneinsichtige Kita

In unserem ersten Fall (LG Berlin Urt. v. 15.7.2022 – 63 O 213/20) hatte eine Kita trotz verlorenem Verfahren und eindeutigen Anordnungen von Gericht und Aufsichtsbehörde an einer rechtswidrigen Videoüberwachung und den daraus erlangten Daten festgehalten.

Zum Sachverhalt

Besagte Kita befindet sich in einem Gebäude, welches auch Wohnungen beherbergt. Die fragliche Videoüberwachung, die die Kita einrichtete, war hierbei auf den Innenhof des Gebäudes gerichtet, welcher auch von den Mietern des Gebäudes genutzt werden durfte und in welchem sich ein Spielplatz befindet. Als einer der Mieter sein Fahrzeug in diesem Innenhof abstellte, um es für eine Urlaubsreise zu beladen, beschwerte sich die Kita beim Vermieter und behauptete der Mieter (im Folgenden „Kläger“) habe einen Hausfriedensbruch begangen. Daraufhin entbrannte ein Rechtsstreit zwischen der Kita und dem Kläger, welcher die Videoüberwachung für rechtswidrig erachtete. Dem stimmte das AG in der ersten Instanz zu und auch der Berliner Datenschutzbeauftragte hat die Kita im Zuge dieses Vorfalls bestandskräftig verwarnt. Neben der Unterlassung verlangte der Betroffene auch Schadensersatz, da er über einen langen Zeitraum den Innenhof wegen der Videoüberwachung nicht nutzen konnte, sowie Schmerzensgeld wegen des einhergehenden Überwachungsdrucks und der Bezichtigung als Hausfriedensbrecher.

Kein berechtigtes Interesse der Kita

Das LG sah für die Datenverarbeitung der Kita keine Rechtsgrundlage. Im Rahmen des Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO (berechtigtes Interesse) überwiegen nach Auffassung des Gerichts die Interessen des Betroffenen. Dieser habe stets damit rechnen müssen, dass mit Betreten des Innenhofs sein Verhalten beobachtet würde. Hier sei zudem erschwerend hinzugekommen, dass es sich bei der beobachteten Fläche um einen Rückzugsbereich gehandelt habe, wo der Betroffene und dessen Kinder ihre Freizeit verbringen durften. Darüber hinaus war auch keine zeitliche Begrenzung der Speicherung der Aufnahmen ersichtlich.

Höhe des Schadens

Das Gericht bejahte hier sowohl einen materiellen als auch einen immateriellen Schaden. Durch die Videoüberwachung konnte der Betroffene den Innenhof und den Spielplatz nicht nutzen, ohne einem Überwachungsdruck ausgesetzt zu sein und ohne zu wissen was mit den Aufnahmen passiert. Damit sei er faktisch an der Nutzung des Innenhofs gehindert gewesen, obgleich ihm diese laut Mietvertrag zustand. Wie es generell um das Thema Videoüberwachung im Bereich von Miet- und Wohnhäusern bestellt ist, beleuchten wir in diesem Beitrag.

Bei der Ermittlung des Schadens wurde berücksichtigt, dass die Kita trotz Abmahnung, Beschwerden des Verwalters und gerichtlichem Versäumnisurteil die Überwachung fortsetzte und die Daten offenkundig noch speicherte und bis zum Tag der Urteilsverkündung noch verwendete (kurioserweise legte sie in der mündlichen Verhandlung ein Foto des Betroffenen vor). Auch nahm die Kita fälschlicherweise an, dass das Verfahren vor dem Datenschutzbeauftragten eingestellt worden sei, obwohl dieser eine Verwarnung ausgesprochen hatte. Vorliegend ist lediglich mildernd berücksichtigt worden, dass die Videoüberwachung mit schützenswerten Kindesinteressen begründet worden sei.

Im Ergebnis wurde das Versäumnisurteil der Vorinstanz aufrechterhalten. Dieses sprach dem Kläger einen Schadensersatz in Höhe von 2.011,52 € und ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,00 € zu (jeweils nebst Zinsen). Das Schmerzensgeld bezieht sich hier auf einen Zeitraum von 18 Monaten.

Streit um Ausgleich und Abschreckung

Ob der Schadenersatz im Datenschutz auch abschreckende oder nur ausgleichende Funktion haben muss, ist aktuell in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Das LG Berlin ist hinsichtlich dieses Streits offenkundig ein Verfechter der Ansicht, dass Schadensersatz bei Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht auch einen abschreckenden Charakter haben solle. Zu dieser Thematik liegen dem EuGH bereits mehrere Vorabentscheidungsverfahren vor und dieser wird daher letzten Endes diesen Streit entscheiden müssen (z.B. BAG, Beschluss vom 26.8.2021 – 8 AZR 253/20; LG Saarbrücken, Beschluss vom 22.11.2021 – 5 O 151/19).

Urteil 2: Mit rechtswidriger Überwachung ist nichts zu beweisen

Unser zweiter Fall (LAG Niedersachsen, Urteil vom 6.7.2022 – 8 Sa 1148/20) beschäftigt sich mit einer Videoüberwachung in einem Arbeitsverhältnis und einem Beweisverwertungsverbot auf Grund rechtswidriger Datenverarbeitungen.

Zum Sachverhalt

In diesem Fall stritten die Parteien um die Rechtmäßigkeit einer Kündigung. Der Kläger ist bei der Beklagten als Mitarbeiter im Bereich Gießerei beschäftigt. Auf Grund interner Hinweise und Ermittlungen kam die Beklagte zu dem Schluss, dass der Kläger und andere Mitarbeiter regelmäßig Arbeitszeitbetrug begingen.

Diese Schlussfolgerung ergab sich für die Beklagte unter anderem aus der Auswertung von Bildern eines am Ein- und Ausgang des Werksgeländes installierten Videoüberwachungssystems. Hieraus war ersichtlich, dass der Kläger das Werksgelände mehrfach vor Ende seiner Schicht verlassen hatte. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger. Dieser wandte sich mit einer Klage gegen die Kündigung. Das Gericht der ersten Instanz gab dem Kläger Recht. Die Beklagte ging daraufhin in die Berufung.

Beweisverwertungsverbot für unzulässige Videoaufnahmen

Die Berufung der Beklagten blieb jedoch erfolglos. Nach Auffassung des Gerichts kann der Arbeitszeitbetrug des Klägers nicht ausreichend nachgewiesen werden. Das Gericht ist der Auffassung, dass hinsichtlich der von der Beklagten in das Verfahren eingeführten Videoaufzeichnungen ein Beweisverwertungsverbot besteht. Zwar kennen weder die ZPO noch das vorliegend anwendbare ArbGG ein Beweisverwertungsverbot, dieses wird jedoch von der Grundrechtsbindung der Gerichte und der Pflicht zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung hergleitet. Dafür muss ein Zivilgericht prüfen, ob mit einer gerichtlichen Verwertung des Beweismittels ein erneuter Eingriff in verfassungsrechtlich geschützte Positionen oder die Vertiefung/Verfestigung eines solchen Eingriffs verbunden wäre.

Zulässigkeit gem. § 26 BDSG

Das Gericht prüfte zunächst, ob die Videoüberwachung gem. § 26 Abs. 1 BDSG zulässig war. Demnach muss die Datenverarbeitung erforderlich sein zur Durchführung oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Datenverarbeitung muss hierbei einer vollständigen Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzogen werden, d.h. die Verarbeitung muss geeignet, erforderlich und angemessen sein den angestrebten Zweck zu erreichen und es dürften keine gleich geeigneten milderen (d.h. das Persönlichkeitsrecht weniger einschränkende) Mittel zur Verfügung gestanden haben.

Erwägungen zur Geeignetheit

Das Gericht verneinte vorliegend das Erfordernis der Datenverarbeitung zur Durchführung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Videoüberwachung sei schon nicht geeignet gewesen. Die diesbezügliche Begründung ist jedoch nicht gänzlich nachvollziehbar, da das Gericht hier der Auffassung ist, dass es nur auf das Verlassen des konkreten Arbeitsplatzes ankommen könne und nicht auf das Verlassen des Geländes. Da mit letzterem jedoch zwangsläufig auch der Arbeitsplatz verlassen wird, ist diese Begründung insoweit nicht überzeugend.

Erwägungen zu Erforderlichkeit und Angemessenheit

Vielversprechender sind in jedem Fall die Ausführungen zur Erforderlichkeit und Angemessenheit. Hierzu sagt das Gericht, dass bezüglich der Dokumentation von Arbeitszeiten verlässlichere Mittel existierten. Eine Anwesenheitserfassung könnte durch Vorgesetzte oder auch durch technische Einrichtungen wie eine Stempelkarte erfolgen. Auch sei eine Videoüberwachung zur Überprüfung der Arbeitszeit nicht angemessen, da sowohl sachlich als auch zeitlich die Intensität des Eingriffs erheblich sei und außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe stünde.

Dies liege darin begründet, dass die Kameras alle Ein- und Ausgänge überwachten und damit auch alle Arbeitnehmer beim Betreten und Verlassen des Werksgeländes. Es seien daher etwa Schlussfolgerungen möglich mit wie viel zeitlichem Vorlauf der Arbeitnehmer erscheint, wie er gekleidet ist und ob und von wem er ggf. begleitet wird. Da die Beklagte bei ihren internen Ermittlungen auf Aufzeichnungen zurückgriff, die mitunter vor einem Jahr entstanden, liege zudem ein offenkundiger Verstoß gegen die Grundsätze der Speicherbegrenzung und Datenminimierung vor. Auch dadurch, dass die Beklagte die Videoüberwachung primär zur Verhinderung des Zutritts Unbefugter sowie zur Unterbindung bzw. dem Nachweis von Eigentumsdelikten betreibt ändere sich nichts. Die Beklagte habe die Aufnahmen nämlich gezielt hinsichtlich des Verdachts auf Arbeitszeitbetrug gesichtet und ist damit von dem Zweck abgewichen. Damit handele es sich auch nicht um einen gegebenenfalls verwertbaren „Zufallsfund“.

Beweisverwertungsverbot und Fernwirkung

Da die Unzulässigkeit der Videoüberwachung gem. § 26 Abs. 1 BDSG für das Gericht feststand, hat es weiter geprüft, ob die Verwertung von Erkenntnissen durch das Gericht mittels dieser Maßnahme einen Grundrechtsverstoß darstellen würde. Das hat das Gericht vorliegend bejaht, denn die Videoüberwachung sei gerade deshalb unzulässig, da sie sie sachlich und zeitlich in erheblicher Weise in das Persönlichkeitsrecht des Klägers eingreife und eine gerichtliche Verwertung somit einen erneuten ungerechtfertigten Grundrechtseingriff darstellen würde.

Ein nunmehr bestehendes Beweisverwertungsverbot umfasse außerdem nicht allein das unrechtmäßig erlangte Beweismittel selbst sondern auch eine mittelbare Verwertung, z.B. eine Vernehmung von Zeugen, welche Kenntnis über den Inhalt des Beweismittels haben (also in diesem Fall die Mitarbeiter des Beklagten, welche die Videoaufnahmen eingesehen haben). Damit hat das Beweisverwertungsverbot eine sogenannte Fernwirkung. Das scheint auch insoweit nachvollziehbar, als das ein Beweisverwertungsverbot leerlaufen würde, wenn eine Inaugenscheinnahme des Videomaterials zwar verboten wäre aber eine Vernehmung von Personen, die Kenntnis über dessen Inhalt erlangt haben, zulässig wäre (vgl. ArbG Frankfurt/M. Urt. v. 25.1.2006 – 7 Ca 3342/05).

Mögliche Folgen rechtswidriger Videoüberwachung

Bei Videoüberwachung handelt es sich, trotz oder auch gerade wegen der weiten Verbreitung von Videokameras, um ein äußerst sensibles Thema sowohl im privaten wie auch im gewerblichen Bereich. Verantwortliche Stellen sind angehalten den Einsatz neuer, aber auch bestehender Videoüberwachungsanlagen genauestens rechtlich zu prüfen. Wie die vorgestellten Urteile zeigen, drohen nicht nur Bußgelder durch Aufsichtsbehörden, sondern mitunter auch hohe Schadenersatzforderungen von Betroffenen oder erhebliche Nachteile in Gerichtsverfahren.

Da derzeit noch nicht durch den EuGH geklärt wurde, inwieweit Schmerzensgeldansprüche im Rahmen einer DSGVO-Verletzung relevant sein können, besteht derzeit auch noch das Risiko, dass weitere Gerichte der Ansicht folgen, dass dem Anspruch gem. Art. 82 DSGVO auch Abschreckungswirkung zukommen soll.

Das Urteil des LAG Niedersachsen lässt zudem durchscheinen, dass Gerichte im Rahmen der Prüfung eines Beweisverwertungsverbots auf Grund datenschutzrechtswidriger Verarbeitungen den zweiten Schritt der Prüfung gerne schnell abhandeln. Damit könnte man ein Beweisverwertungsverbot in Folge einer rechtswidrigen Datenerhebung nahezu schon als indiziert ansehen. Auch ist zu beachten, dass ein solches Beweisverwertungsverbot nicht im Prozess dadurch umgangen werden kann, dass statt der Aufnahmen, Zeugen vernommen werden, welche die Aufnahmen eingesehen haben. Es kann außerdem mitgenommen werden, dass eine Videoüberwachungsanlage zur Überprüfung der Arbeitszeit als nicht verhältnismäßig angesehen werden sollte.

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