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Auskunftsanspruch und das Recht auf unentgeltliche Kopie

Auskunftsanspruch und das Recht auf unentgeltliche Kopie

Sei es aus fachlichem Interesse, Neugier oder um die Punktevergabe anzufechten, die meisten Examenskandidaten wollen sich die schriftlichen Korrekturanmerkungen der Prüfer nicht entgehen lassen. Gestattet ist neben der Durchsicht vor Ort auch das Abfotografieren der Aufsichtsarbeiten mit dem Handy. Doch warum kompliziert, wenn es auch einfacher und vor allem umsonst geht? Wie weit der Auskunftsanspruch des Betroffenen nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO i.V.m. Art. 12 Absatz 5 DSGVO tatsächlich reicht, zeigt uns ein Urteil des Oberverwaltungsgericht Münster.

Dem Wunsch auf unentgeltliche Kopie wird stattgegeben

Ein Examenskandidat forderte über die örtliche Einsichtnahme hinaus vom Landesjustizprüfungsamt Nordrhein-Westfalen die unentgeltliche Zusendung von Kopien seiner Aufsichtsarbeiten inklusive Prüfergutachten in elektronischer Form oder auf postalischem Wege. Das Prüfungsamt sagte ihm zwar die Übersendung der Kopien zu, jedoch gegen eine Vorschusszahlung in Höhe von 69,70 €. Dies wollte der Kandidat so nicht akzeptieren und klagte zunächst vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen gegen das Prüfungsamt.

Er berief sich dabei auf seinen Auskunftsanspruch als Betroffener nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO i.V.m. Art. 12 Absatz 5 DSGVO und hatte Erfolg. Das Verwaltungsgericht stellte in seinem Urteil klar, dass nicht nur der gesamte Inhalt der Aufsichtsarbeiten des Kandidaten digital oder postalisch als Kopie herausgegeben werden muss, sondern dass dies auch unentgeltlich zu erfolgen habe. Das Prüfungsamt muss hinsichtlich des Kandidaten somit insgesamt 348 Seiten kopieren bzw. einscannen und dem Kandidaten zukommen lassen. Dies bedeutet Zeitaufwand, Personalaufwand und zusätzliche Kosten. Harter Tobak für das Prüfungsamt, welches zugleich zum Gegenschlag ausholte und im Anschluss an die Urteilsverkündung in Berufung ging (OVG Münster vom 08.06.2021 – 16 A 1582/20).

Inhalt der gerichtlichen Auseinandersetzung

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster stellt sich in der Berufung wie zuvor das Verwaltungsgericht konsequent gegen die Argumente des Prüfungsamtes und tendiert zu einer weiten Auslegung des Auskunftsanspruchs.

Anwendungsbereich der DSGVO überhaupt eröffnet?

Das Prüfungsamt führte eine weite Palette an Argumenten an, um der eigenen Kostentragungspflicht zu entgehen. So behauptete es, dass für das vorliegende Auskunftsbegehren schon der sachliche Anwendungsbereich für die Datenschutz-Grundverordnung gem. Art. 2 Abs. 2 lit. a DSGVO ausgeschlossen sei.

Hiernach findet die DSGVO keine Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen einer Tätigkeit, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt. Sowohl das VG Gelsenkirchen als auch das OVG Münster zeigten eine eindeutige Tendenz dazu, dass der Anwendungsbereich sehr wohl eröffnet sei. Begründet wurde dies damit, dass es sich bei Staatsexamensprüfungen in Deutschland, um berufsorientierte Prüfungen handele. Diese sind Voraussetzung für eine spätere Berufsausübung in Deutschland oder auch in anderen Mitgliedstaaten der EU. Die hiermit verbundene Verarbeitung personenbezogener Daten sei folglich für die Grundfreiheiten relevant. Da der Art. 2 Abs. 2 lit.a DSGVO ohnehin weit zu fassen sei, könne alles mit zumindest abstraktem Unionsbezug dem Anwendungsbereich zugeschrieben werden.

Außerdem verweist Art. 88 DSGVO ebenfalls auf den Bezug zur Datenverarbeitung im Beschäftigungsverhältnis. Gerade die Abschlussarbeiten im zweiten Examen sind für eine spätere Berufswahl maßgebend. Letztendlich konnte aber nach Auffassung der Gerichts offenbleiben, ob der Anwendungsbereich eröffnet ist.

Der Anspruch des Klägers ergibt sich im Zweifel nämlich auch aus § 5 Abs. 8 DSG NRW, nachdem auf Verarbeitungen, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, die Art. 2 Abs. 1, 12 und 15 DSGVO entsprechend anzuwenden sind.

Vorrang des spezielleren Gesetzes?

Zudem bemängelt das Prüfungsamt, dass § 23 Abs. 2 JAG NRW eine der DSGVO vorgehende speziellere Regelung enthalte:

„Dem Prüfling ist die Einsicht in seine Prüfungsarbeiten einschließlich der Gutachten der Prüferinnen oder Prüfer zu gestatten. Die Einsicht erfolgt in den Räumen des Justizprüfungsamtes. Der Antrag ist binnen eines Monats nach Bekanntgabe der Prüfungsentscheidung bei dem Justizprüfungsamt zu stellen.“

Offensichtlich zeigt sich hier, dass eine Zusendung von Kopien durch die Norm nicht ausgeschlossen wird. Es heißt gerade nicht, dass die Einsicht NUR in den Räumen des Prüfungsamtes erfolgen muss.

Prüfungsarbeiten als personenbezogene Daten?

Des Weiteren seien Prüfungsarbeiten keine personenbezogenen Daten.

Die vorgenannten Gerichte sind sich hier jedoch einig, dass der Begriff der personenbezogenen Daten weit auszulegen sei und die Aufsichtsarbeiten des Kandidaten sowie die Prüfergutachten unter die Definition des Art. 4 Nr. 1 DSGVO fallen würden. Unter personenbezogenen Daten verstehe man nicht nur Informationen objektiver, sondern auch subjektiver Art. Außerdem genüge es, wenn das Prüfungsamt den Prüfling anhand der Kennnummer auf der Arbeit der jeweiligen Arbeit zuordnen kann und damit eine Identifizierung möglich ist. Die Pseudonymisierung von Daten schließt die Identifizierung im Gegensatz zur Anonymisierung gerade nicht aus.

Exzessives Verhalten des Betroffenen?

Der Auskunftsanspruch des Kandidaten sei laut Prüfungsamt zu weit gefasst und damit exzessiv.

Die Kopie der 348 Seiten sei nicht als Bearbeitungsaufwand zu betrachten, der schon als exzessiv definiert werden könne, da zusätzlich ein rechtsmissbräuchliches Verhalten festgestellt werden müsste. Eine Schädigungsabsicht des Prüflings gegenüber dem Prüfungsamt könne hier nicht erkannt werden, da er nur ein einziges Mal um die Zusendung der Kopien bittet.

Vorrang den Gebührenvorschriften in NRW ?

Nach Ansicht des Prüfungsamtes würden die landesrechtlichen Gebührenvorschriften, die die Erhebung einer Gebühr verlangen, der Unentgeltlichkeit des Auskunftsanspruch nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO und Art. 12 Abs. 5 DSGVO entgegenstehen.

Auch hier sind die Gerichte standhaft und heben deutlich hervor, dass die landesrechtlichen Vorschriften in NRW gerade nicht speziell von Examensklausuren sprechen. Die allgemein gefassten Gebührenregelungen können und dürfen vor allem nach unionsrechtskonformer Auslegung daher nicht als Einschränkungsmöglichkeit im Sinne des Art. 23 DSGVO angesehen werden. Ohnehin sind die Voraussetzungen des Art. 23 DSGVO hier nicht erfüllt. Denklogisch existiere sonst kein Anspruch mehr auf eine unentgeltliche Kopie. Diese Beschränkung ist auch zum Schutz sonstiger wichtiger Ziele des allgemeinen öffentlichen Interesses der Union oder eines Mitgliedstaates nicht notwendig.

Letztendlich teilte das OVG Münster die datenschutzrechtliche Einschätzung des VG Gelsenkirchen und weist die Berufung des Prüfungsamtes zurück. Im Tenor des Beschlusses heißt es:

„Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 27. April 2020 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Beklagte unter Aufhebung seines Bescheides vom 6. November 2018 verpflichtet wird, dem Kläger eine Kopie seiner im Rahmen der zweiten juristischen Staatsprüfung angefertigten Aufsichtsarbeiten mitsamt Prüfergutachten in Papierform oder einem gängigen elektronischen Format unentgeltlich zur Verfügung zu stellen.“

Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung spiegelt die von der DSGVO beabsichtigte Stärkung der Betroffenenrechte wider und zeigt, dass sich auch ein Prüfungsamt nicht hinter einem Schleier der personellen Überlastung und bloß allgemein gehaltener landesrechtlicher Gebührenregeln verstecken kann. Zudem hat die Entscheidung der Gerichte sicherlich nicht nur diesen einen Prüfling erfreut, sondern birgt auch Potential, um weitere Examenskandidaten zu bestärken eine unentgeltliche Kopie zu verlangen. Zwar wird dieser Weg bisher von Prüflingen noch nicht häufig begangen, doch ist nicht auszuschließen, dass sich dies in Zukunft ändert.

Die Prüfungsämter sollten sich auf diesen Mehraufwand vorbereiten und nicht ihre Pflichten als Verantwortliche im Sinne des Art. 12 Abs. 5 DSGVO auf die Prüflinge abwälzen.

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  • Ich halte die DSGVO in weitern Teilen für gut und wichtig. Aber hier gehen deutsche Gerichte dazu über etwas Gutes kaputt zu machen. In letzter Konsequenz kann man jetzt Behörden und Unternehmen mit absurden Auskünften blockieren. Huch, ich hab mein Abizeugnis verschlampt. Macht nix, kostenlose DSGVO Auskunft bei der Schule. Wo hab ich die Handwerkerrechnung hingelegt, die ich für die Steuer brauche? Egal, steht ja mein Name drauf, also DSGVO Auskunft. Autoverkaufen und kein Serviceheft? DSGVO Auskunft.

  • Der Fall ist eigentlich schon lange ausjudiziert: EuGH, 20.12.2017, Az.: C-434/16

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