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BAG entscheidet (nicht) über Recht auf Kopie des E-Mail-Verkehrs

BAG entscheidet (nicht) über Recht auf Kopie des E-Mail-Verkehrs

Das mit Spannung erwartete Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur Reichweite des Auskunftsanspruchs, insbesondere des Rechts auf Kopie nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO, enttäuscht Kläger und datenschutzrechtlich interessierte Öffentlichkeit gleichermaßen. Anstatt der ersehnten höchstrichterlichen Hinweise zum Umfang des Rechts aus Art. 15 DSGVO im Beschäftigtenverhältnis gibt es eine Klagabweisung aus prozessualen Gründen.

Wenn das Prozessrecht der Rechtsfindung im Weg steht

„Arbeitgeber muss vollständigen E-Mail-Verkehr von Beschäftigten herausgeben“ oder eben auch: „Beschäftigte können keine Kopien ihrer E-Mails verlangen“. So oder so ähnlich hätte die Überschrift zu diesem Artikel lauten können. Und die Welt des Datenschutzrechts wäre zumindest ein kleines Stückchen einfacher geworden. Unternehmen und Beschäftigte hätten ihre Rechte wieder ein klein wenig genauer bestimmen können. Und draußen hätte die Temperatur bundesweit die 20 Grad geknackt (bestimmt!). Doch wir reden im Konjunktiv.

In der Realität lässt der gestern entschiedene Fall einen solchen Ausspruch nicht zu. Jedenfalls soweit sich die Ansicht des 2. Senats des BAG aktuell aus der Pressemitteilung des Gerichts zum Aktenzeichen 2 AZR 342/20 interpretieren lässt. Anstatt wie von vielen erhofft über den Umfang des Auskunftsanspruchs bzw. des Anspruchs auf Erteilung von Kopien gemäß Art. 15 Abs. 3 DSGVO zu befinden, erklärte das BAG lediglich:

„Der Senat konnte offenlassen, ob das Recht auf Überlassung einer Kopie gemäß Art. 15 Abs. 3 DSGVO die Erteilung einer Kopie von E-Mails umfassen kann.

Jedenfalls muss ein solcher zugunsten des Klägers unterstellter Anspruch entweder mit einem iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmten Klagebegehren oder, sollte dies nicht möglich sein, im Wege der Stufenklage nach § 254 ZPO gerichtlich geltend gemacht werden. Daran fehlte es hier.“

(BAG, Urteil vom 27.04.2021, Az. 2 AZR 342/20)

Mit anderen Worten: Wäre der Kläger im Laufe des Prozesses anders vorgegangen, hätte sich das Gericht auch Gedanken darüber machen müssen, ob der Anspruch auf Erteilung einer Kopie der bezüglich des Klägers verarbeiteten, personenbezogenen Daten, auch die Herausgabe des (gesamten) E-Mail-Verkehrs umfasst. Bei Lage der Dinge allerdings sah sich das Gericht nicht dazu veranlasst, hierüber zu befinden. Denn das Prozessrecht bot einen (vermutlich vor allem bequemeren) Ausweg.

Der dem BAG Urteil zugrundeliegende Sachverhalt

Aber schauen wir einmal kurz zurück auf den Ausgangspunkt des Verfahrens:

Der Kläger, ein Wirtschaftsjurist, war gerade einmal 14 Tage (!) im beklagten Unternehmen, als sich sowohl dessen Geschäftsführung auch der Betriebsrat gegen seine Weiterbeschäftigung aussprachen. Der (kurzfristige) Arbeitnehmer zog gegen die Kündigung vor Gericht, bewaffnet vor allem mit verschiedenen Argumenten aus dem Bereich des Datenschutzes.

Sowohl vor dem Arbeitsgericht Hameln (Urteil vom 26.06.2019, 3 Ca 24/19) als auch im Berufungsverfahren vor dem LAG Hannover war vor allem auch über die Rechtmäßigkeit der Kündigung verhandelt worden – allerdings mit negativem Ausgang für den ehemaligen Beschäftigten. Dieser hatte sich auf einen besonderen Kündigungsschutz, den er als Datenschutzbeauftragter genieße, berufen. Das Problem dabei war nur, dass er diese Funktion noch gar nicht innehatte. Sie sollte ihm erst perspektivisch übertragen werden. Das Gericht stellte insoweit fest, dass Voraussetzung für den mit der Stellung eines Datenschutzbeauftragten verbundenen Kündigungsschutz sei, dass dem Beschäftigten sämtliche Aufgaben eines Datenschutzbeauftragten bereits übertragen worden seien, sowohl gegenüber der Aufsichtsbehörde als auch gegenüber den Beschäftigten und Unternehmensinternen.

Am Rande sei noch erwähnt, der BAG legte am gleichen Tag in einem anderen Fall dem EuGH zudem Fragen zu den Anforderungen einer Abberufung des Datenschutzbeauftragten vor.

E-Mail für dich

Zumindest aber hatte der Kläger mit einem anderen Punkt vor dem Landesarbeitsgericht Hannover Erfolg gehabt: Und zwar hatte das LAG den Anspruch des Klägers auf Herausgabe von Kopien nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO grundsätzlich anerkannt.

Hinsichtlich seines eigenen E-Mail-Verkehrs hatte das LAG Hannover die Klage jedoch abgelehnt, da die entsprechenden E-Mails dem ehemaligen Beschäftigten bereits bekannt seien:

„Dem Kläger ist der E-Mail-Verkehr, den er selbst geführt oder erhalten hat, bekannt, sodass es nach dem Schutzzweck keinen Anlass gibt, diesen gesamten E-Mail-Verkehr zur Verfügung zu stellen. Sinn und Zweck der Auskunftserteilung und Zurverfügungstellung einer Kopie ist es, den betroffenen Personen eine Überprüfung der Datenverarbeitung zu ermöglichen, nicht aber vollständige Kopien aller Unterlagen zu erhalten, in denen personenbezogene Daten über sie enthalten sind“.

(LAG Hannover, Urteil vom 09.06.2020, Az. 9 Sa 608/19)

Hiergegen wandte sich der Kläger mit der Revision.

Rechtsfortbildung gibt´s ein andermal

Der nun vor dem BAG gelandete Teil des Verfahrens betraf damit lediglich noch die Frage, ob dem ehemaligen Beschäftigten ein Anspruch auf Kopien des vollständigen von ihm oder über ihn geführten E-Mail-Verkehrs zusteht. Es ging für den Kläger also allein um Kopien des ihn betreffenden E-Mail-Verkehrs aus einer Zeitspanne von nicht einmal einem Monat.

So wenig Relevanz eine Entscheidung in der Sache demgemäß für den zugrundeliegenden Einzelfall gehabt hätte, umso bedeutsamer wäre sie doch für die Rechtsfortbildung gewesen. Schließlich hätte die Entscheidung sich zu der ungeklärten, aber für die Praxis überaus relevanten Streitfrage verhalten müssen, wie weit der Anspruch auf Erteilung einer „Datenkopie“ nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO reicht. Jegliche diesbezügliche Aussage des BAG wäre in der Datenschutzgemeinde auf fruchtbaren Boden gefallen. Umso enttäuschender ist der Ausgang des Verfahrens für Unternehmen und Berater, die, nach etwas Rechtsklarheit lechzend, vom BAG im Regen stehen gelassen werden.

Wie weit reicht der Anspruch auf Kopie gem. Art. 15 Abs. 3 DSGVO?

Der Streit wie weit der Anspruch auf Erteilung von Kopien nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO reicht, ist mittlerweile regelrecht ein Klassiker und bewegt sich grob formuliert zwischen zwei diametralen Standpunkten: Der Ansicht, dass der Anspruch auf Kopie aus Abs. 3 nur bedeute, dass der Betroffene eine verschriftlichte Auskunft mit den Angaben nach Abs. 1 (dem eigentlichen Auskunftsanspruch) verlangen könne. Und der Ansicht, dass nach Abs. 3 eine Kopie sämtlicher Dokumente, Dateien, etc. herauszugeben sei, die Personenbezug zu dem Betroffenen aufweisen. Je nach Lesart soll dies sogar Screenshots der Eingabeoberflächen, wie sie sich für den konkreten Anwender im Unternehmen darstellen, umfassen oder eben auch sämtliche E-Mails mit Bezug zum Betroffenen. Wer Genaueres wissen will, dem sei die sehr informative und mit vielen Nachweisen gespickte Materialsammlung von Tim Wybitul zu dem Thema ans Herz gelegt.

Gegensätzliche Positionen in der Rechtsprechung

Auch in der Rechtsprechung finden sich die oben genannten gegensätzlichen Positionen wieder. So standen sich zuletzt vor allem die Urteile des LAG Baden-Württemberg vom 20.12.2018 („auskunftsfreudig“) und des LG Köln vom 18.03.2019 („restriktiv“) entgegen:

Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hatte in seinem Urteil unter anderem entschieden, dass dem Kläger eine Kopie seiner sämtlichen personenbezogenen „Leistungs- und Verhaltensdaten“ zur Verfügung zu stellen sei. Da dieser Begriff leider nicht genauer konkretisiert wurde, kann man nur darüber spekulieren, ob damit – nach Auffassung des Gerichts – gerade auch Kopien aller (den Kläger betreffenden) E-Mails zur Verfügung gestellt werden müssen. Angesichts der auch im Übrigen sehr zugunsten eines weiten Auskunftsanspruchs laufenden Argumentation des Gerichts, wurde dies unter Datenschützern aber regelmäßig so aufgefasst.

Das LG Köln wiederum hatte entschieden, dass „der Anspruch aus Art. 15 DS-GVO (…) nicht der vereinfachten Buchführung des Betroffenen (diene), sondern (…) sicherstellen (soll), dass der Betroffene den Umfang und Inhalt der gespeicherten personenbezogenen Daten beurteilen kann“. Auch beziehe sich der Auskunftsanspruch nicht auf sämtliche internen Vorgänge der dortigen Beklagten, wie z.B. von dieser erstellte Vermerke. Mit dieser Begründung wäre also auch eine Herausgabepflicht betreffend den E-Mail-Verkehr ehemaliger Beschäftigter zu verneinen.

Enttäuschte Erwartungen bereits 2020

Bereits im vergangenen Jahr hatten Datenschützer und Unternehmer auf Klärung hinsichtlich des Umfangs des Auskunftsanspruchs gehofft. Denn für das oben genannte Urteil des LAG Baden-Württemberg war die Revision zugelassen und eingelegt worden. Es gab sogar bereits einen für Mitte 2020 angesetzten Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem BAG. Dann jedoch einigten sich die Parteien doch noch außergerichtlich. Vor diesem Hintergrund ist das Urteil des BAG also umso frustrierender.

Auskunftsanspruch als Munition im arbeitsgerichtlichen Verfahren

Nach der gestrigen Entscheidung des BAG bleibt auch ein weiteres Problem bestehen:

Der Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO dürfte auch weiterhin, nicht zuletzt im arbeitsrechtlichen Prozess, als prozesstaktisches Mittel herhalten müssen. Ehemalige Arbeitnehmer setzen diesen im arbeitsgerichtlichen Verfahren schon nahezu standardmäßig ein, um hierdurch die Höhe der Abfindung (ohne sachlichen Grund) in die Höhe zu treiben. Gerade in großen, komplexen Unternehmen kann die Erfüllung eines sehr weit verstandenen Auskunftsanspruchs erhebliche Ressourcen beanspruchen, bedenkt man auf wie vielen Servern, Datenbanken, Cloud-Anwendungen, Notebooks, externen Speichermedien, etc. personenbezogene Daten zu finden sein können. Ganz abgesehen davon, dass in zahlreichen Fällen über eine Herausgabe der Daten erst nach Abwägung mit den Interessen anderer Betroffener befunden werden oder diese erst nach umfangreichen Schwärzungen erfolgen kann.

Nachvollziehbar also, wenn Unternehmen dem Auskunftsanspruch kritisch gegenüberstehen. Gerade wenn Beschäftigte ihn einsetzen, ohne dass offenbar ein echtes Interesse an der Auskunftserteilung besteht. Nachvollziehbar auch, wenn in der juristischen Diskussion bereits Erwägungen angestellt werden, ob die Geltendmachung des Auskunftsanspruchs nicht in einigen solcher Konstellationen als rechtsmissbräuchlich einzustufen wäre. Soweit uns bekannt halten aber jedenfalls die Aufsichtsbehörden wenig von einer solchen Argumentation.

Nach dem Urteil ist vor dem Urteil

So ist es zunächst wieder an den Arbeits- und Landesarbeitsgerichten sowie den Aufsichtsbehörden durch weitere Entscheidungen für bessere Orientierung zu sorgen – egal wie (un)erquicklich diese aus Sicht der betroffenen Kreise dann aussehen mag. Was die zukünftige Umsetzung solcher potentiell weiter bestehenden Auskunftsansprüche angeht, dürften Unternehmen gut daran tun, durch Investitionen in ihr Datenschutzmanagement dafür zu sorgen, dass solche Ansprüche mit möglichst geringem Aufwand erfüllt werden können.

Über diesbezügliche Entwicklungen werden wir natürlich ebenso berichten wie über weitere relevante Entscheidungen von Gerichten und Aufsichtsbehörden. Oder anders ausgedrückt: Wir kommen unseren Auskunftsverpflichtungen nach – und zwar gerne!

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