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EuGH zur parallelen Ausübung von DSGVO-Rechtsbehelfen

EuGH zur parallelen Ausübung von DSGVO-Rechtsbehelfen

Die DSGVO sieht verschiedene Rechtsbehelfe vor, mit denen betroffene Personen ihre Rechte nach der DSGVO wahrnehmen können. Was aber passiert, wenn die Inanspruchnahme verschiedener Rechtsbehelfe, bezogen auf denselben Sachverhalt zu unterschiedlichen Ergebnissen führen würde? Mit dieser Frage hat sich der Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in seinem Urteil vom 12.01.2023 (C-132/21) beschäftigt.

Parallele Rechtsbehelfe im Geltungsbereich der DSGVO

Die betroffene Person nahm als Aktionär an der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft teil und stellte in deren Verlauf mehrere Fragen an Mitglieder des Verwaltungsrats und weitere Teilnehmer der Versammlung. Im Anschluss forderte er die Aktiengesellschaft – als Verantwortliche für die Datenverarbeitung – auf, ihm den während der Hauptversammlung aufgezeichneten Tonmitschnitt zu übermitteln.

Die Gesellschaft kam seiner Aufforderung zwar grundsätzlich nach, stellte ihm aber nur die Abschnitte der Aufzeichnung zur Verfügung, die seine eigenen Beiträge wiedergaben, nicht jedoch diejenigen Abschnitte, auf denen die Stimmen andere Personen zu hören waren. Dies obwohl es sich hierbei um Antworten auf die durch ihn gestellten Fragen handelte.

Dagegen legte der Betroffene bei der ungarischen Aufsichtsbehörde Beschwerde ein und beantragte die Feststellung eines DSGVO-Verstoßes durch das Zurückbehalten der Tonaufzeichnungen – insbesondere die Antworten auf seine Fragen – sowie die Verpflichtung der Gesellschaft, ihm die streitgegenständlichen Tonaufzeichnungen herauszugeben. Nach Auffassung der Aufsichtsbehörde lag in dem Verhalten der Gesellschaft kein Verstoß, so dass sie den Antrag des Betroffenen zurückwies.

Gegen diese Entscheidung erhob der Betroffene gemäß Art. 78 Abs. 1 DSGVO Klage beim Verwaltungsgericht, dem Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht, Ungarn) und beantragte die Abänderung, hilfsweise die Aufhebung der Entscheidung.

Parallel hierzu erhob er gemäß Art. 79 DSGVO eine zweite Klage gegen die Aktiengesellschaft vor einem ungarischen Zivilgericht, nämlich dem Fővárosi Ítélőtábla (Hauptstädtisches Tafelgericht, Ungarn). Das Zivilgericht gab dem Betroffenen Recht, stellte fest, dass die Gesellschaft sein Recht auf Zugang zu seinen personenbezogenen Daten verletzt habe und verpflichtete sie zur Herausgabe der entsprechenden Tonabschnitte. Das Urteil ist rechtskräftig. Die Klage gegen die Entscheidung der Aufsichtsbehörde vor dem Verwaltungsgericht ist hingegen noch anhängig.

Vorabentscheidungsersuchen zur parallelen Ausübung von Rechtsbehelfen

Das vorlegende Verwaltungsgericht wies im Rahmen seines Ersuchens darauf hin, dass es denselben Sachverhalt und dieselbe Behauptung eines DSGVO-Verstoßes prüfen müsse, über die bereits rechtskräftig entschieden wurde und wollte in diesem Zusammenhang wissen, in welchem Verhältnis die von einem Zivilgericht vorgenommene Beurteilung der Rechtmäßigkeit zu dem bei ihm anhängigen Verwaltungsverfahren steht.

Da die parallele Einlegung von verwaltungs- und zivilrechtlichen Rechtsbehelfen zueinander widersprechenden Entscheidungen führen könne, wollte das Gericht ferner wissen, ob einer der Rechtsbehelfe Vorrang gegenüber dem anderen hat.

Der EuGH stellt hierzu zunächst folgendes fest:

„Was den Wortlaut der […] genannten Bestimmungen der Verordnung 2016/679 betrifft, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach Art. 77 Abs. 1 dieser Verordnung jede betroffene Person „unbeschadet eines anderweitigen verwaltungsrechtlichen oder gerichtlichen Rechtsbehelfs“ das Recht auf Beschwerde bei einer Aufsichtsbehörde hat. Sodann hat nach Art. 78 Abs. 1 der Verordnung jede natürliche oder juristische Person „unbeschadet eines anderweitigen verwaltungsrechtlichen oder außergerichtlichen Rechtsbehelfs“ das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf gegen einen sie betreffenden rechtsverbindlichen Beschluss einer Aufsichtsbehörde. Schließlich garantiert Art. 79 Abs. 1 der Verordnung jeder betroffenen Person „unbeschadet eines verfügbaren verwaltungsrechtlichen oder außergerichtlichen Rechtsbehelfs einschließlich des Rechts auf Beschwerde bei einer Aufsichtsbehörde gemäß Artikel 77“ das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf.“

Und weiter:

„Somit bieten diese Bestimmungen der Verordnung 2016/679 Personen, die einen Verstoß gegen diese Verordnung geltend machen, verschiedene Rechtsbehelfe, wobei jeder dieser Rechtsbehelfe „unbeschadet“ der anderen eingelegt werden können muss.“

Nach den Feststellungen des EuGH ist insofern weder eine Vorrangigkeit noch eine Ausschließlichkeit der Rechtsbehelfe vorgesehen – auch nicht im Hinblick darauf, ob es sich um eine Entscheidung der Behörde oder eines Gerichts handelt.

Ziel der Verordnung sei es, ein hohes Datenschutzniveau für betroffene Personen zu gewährleisten. Die Bereitstellung mehrerer Rechtsbehelfe stärke insoweit die Position der betroffenen Personen und stehe im Einklang mit den Zielen der DSGVO.

Allerdings sei es Aufgabe der Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die konkreten Modalitäten für die Ausübung der in der DSGVO vorgesehenen Rechtsbehelfe das in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union niedergelegte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf bei einem Gericht nicht unverhältnismäßig beeinträchtigen.

Ausgestaltung obliegt den Mitgliedstaaten

Die Antwort des EuGH wird das vorlegende Gericht sicherlich vor einige Herausforderungen stellen. Einerseits betont der EuGH die Unabhängigkeit und Gleichwertigkeit der Rechtsbehelfe. Andererseits widerspräche eine gegensätzliche Entscheidung seiner Auffassung nach den Schutzzielen der DSGVO an einem einheitlichen Schutz der betroffenen Personen, was zu einer Schwächung ihrer Stellung sowie zu Rechtsunsicherheiten führen würde.

Der EuGH stellt insofern auf die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten ab:

„Es obliegt den Mitgliedstaaten, im Einklang mit dem Grundsatz der Verfahrensautonomie die Modalitäten des Zusammenspiels dieser Rechtsbehelfe zu regeln, um die Wirksamkeit des Schutzes der durch diese Verordnung garantierten Rechte, die gleichmäßige und einheitliche Anwendung ihrer Bestimmungen sowie das in Art. 47 der Charta der Grundrechte niedergelegte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf bei einem Gericht zu gewährleisten.“

Es bleibt abzuwarten, wie das vorlegende Gericht dieses Dilemma lösen und diese Vorgaben im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes umsetzen wird.

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