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Politiker und Datenschutz: Scheinheiligkeit ohne Ende

Politiker und Datenschutz: Scheinheiligkeit ohne Ende

Mit Transparenz haben es Politiker nicht so. Kein Wunder also, dass die Europäische Union bestimmte Auskünfte zu Milliardendeals verweigert. Bei Politikerdaten wird ein großes Fass aufgemacht – während unsereins um Datenschutz und Verschlüsselung bangen muss. Das halte ich für eine Sauerei. Ein Kommentar.

What happens in the messenger, stays in the messenger

Politiker vermeiden die Öffentlichkeit, wenn sie ihnen schadet. Unangenehmes schweigt man nach der Merkel-Methode einfach zu Tode, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Nun gibt es da aber zum Ärger der Geheimnistragenden ein (auch auf europäischer Ebene bestehendes) Recht, das nennt sich Informationsfreiheit. Und dieses sorgt in der EU gerade für ganz schön Wirbel.

Das Recht auf Zugang zu Dokumenten, Vereinbarungen und Absprachen bei den Organen der Europäischen Union wird bei manchen nicht gern gesehen; der ein oder andere Politiker würde lieber im Dunkeln lassen, was irgendwo in Archiven verborgen ist. Nun findet immer mehr offizieller Austausch, beispielsweise mit Lobbyisten und Konzernen, per SMS oder Messenger statt – jüngster bekannt gewordener Fall ist der telefonisch und per Textnachrichten eingefädelte Deal der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, mit dem Pfizer-Chef Albert Bourla über 1,8 Milliarden Dosen Covid19-Impfstoff. Allerdings soll laut EU-Kommission nun ausgerechnet für SMS- und Messenger-Nachrichten die Informationsfreiheit nicht gelten. Sie weigert sich, die Inhalte herauszugeben. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Lieber dicht als transparent

Die Informationsfreiheit in der EU ist in der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlamentes, des Rates und der Kommission geregelt. Was unter einem Dokument im Sinne dieser Verordnung verstanden wird, erläutert Art. 3 lit. a:

„Inhalte unabhängig von der Form des Datenträgers (auf Papier oder in elektronischer Form, Ton-, Bild- oder audiovisuelles Material), die einen Sachverhalt im Zusammenhang mit den Politiken, Maßnahmen oder Entscheidungen aus dem Zuständigkeitsbereich des Organs betreffen“

Klare Sache, würde man meinen: Nachrichten per SMS bzw. Messenger-Diensten wie WhatsApp oder Signal müssten darunterfallen. Nein, sagt die Europäische Kommission in ihrer Begründung für die Ablehnung einer Anfrage eines Netzpolitik-Reporters im Hinblick auf den Milliarden-Deal mit Pfizer.

Eine Sache der Definition

SMS- und Messenger-Nachrichten werden nämlich einfach nicht als aufbewahrungspflichtige Dokumente eingestuft. Hintergrund ist Art. 7 Ziffer 1 der Commission decision vom 6. Juli 2020 „on records management and archives“:

„Documents shall be registered if they contain important information which is not short-lived or if they may involve action or follow-up by the Commission or one of its departments.”

Ähnlich hatte EU-Kommissionsvizepräsidentin Věra Jourová bereits auf eine parlamentarische Anfrage zum Thema Nachrichtenherausgabe geantwortet. Die drei Hauptkriterien für eine Archivierung seien:

  • Die Informationen beziehen sich auf die Politik, Tätigkeiten oder Entscheidungen, die in den Zuständigkeitsbereich des EU-Organs fallen.
  • Es sind wichtige und nicht nur kurzlebige Informationen.
  • Die Informationen wurden durch ein EU-Organ (in diesem Fall die Kommission) erstellt oder sind bei ihm eingegangen.

SMS und Messenger-Nachrichten seien einfach zu kurzlebig und vergänglich, um wichtige Informationen über die Politik, Tätigkeiten oder Entscheidungen der Kommission zu enthalten. Da kann selbst die Europäische Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly nicht viel ausrichten.

Wieso eine E-Mail langlebiger sein soll als eine WhatsApp-Nachricht und überhaupt inhaltlich relevanter als ein Chat, ist für mich nicht nachvollziehbar. Wir leben nicht mehr in Zeiten, in denen mühsam mehrfach auf eine Taste gedrückt werden musste, um den gewünschten Buchstaben auszuwählen. Nachrichten sind schnell getippt, ja, aber sie werden auch nicht unbedingt schneller gelöscht als E-Mails (es sei denn, man heißt Frau von der Leyen und die Justiz ist einem auf den Fersen). Per WhatsApp können ganze Dokumente, Videos und Sprachnachrichten verschickt werden, das ersetzt durchaus ein Meeting. Irrelevant und weniger wichtig? Wen wollt ihr hier für dumm verkaufen?

Gute Nachrichten für Lobbyisten

Prinzipiell fehle es aber an klaren Kriterien, wann es sich bei Nachrichten um ein Dokument handele, und an einer technischen Lösung, meint Kommissionsvizepräsidentin Věra Jourová, die vor kurzem angekündigt hat, neue Leitlinien für den Dokumentenzugang schaffen zu wollen. Sie glaube jedoch nicht, dass Ursula von der Leyen oder sie selbst jemals Entscheidungen per SMS oder Messenger getroffen hätten, die „in Stein gemeißelt“ wären, es sei „Zusatzkommunikation“.

Ernsthaft? Niemand im Parlament hing häufiger am Handy rum als Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel. Wenn diese angebliche Zusatzkommunikation selbst zu im Internet-Neuland-Zeitalter Lebende vordringt, stellt sie vielmehr einen Nebenkanal als einen Geheimtipp dar.

Deutlicher kann man Lobbyisten und anderen Gaunern nicht deutlich machen, wie man die eigenen Machenschaften am besten vor der Öffentlichkeit versteckt. Die von der EU-Kommission und Pfizer geschlossenen Verträge (Vorvereinbarung und Kaufvertrag) sind zwar öffentlich zugänglich, allerdings in Teilen geschwärzt, insbesondere was Lieferpreis und Haftungsfragen angeht. Ich bin der Meinung, wer zahlt, der schafft an. Hierzu ggf. stattgefundene heimliche Absprachen sind nicht in Ordnung.

Hierzulande sieht es nicht besser aus

Deutschland ist da ebenfalls kein Vorbild. Was keiner mitkriegen soll, wird zur Verschlusssache erklärt. SMS zwischen Angela Merkel und Ursula von der Leyen wurden weder durch Berlin noch Brüssel veröffentlicht. Und selbst Twitter-Direktnachrichten des Bundesinnenministeriums bleiben verborgen – so entschied das Bundesverwaltungsgericht am 28. Oktober 2021, dass die Nachrichten zwar unter die behördliche Transparenzpflicht fallen könnten, hier würden diese aber aufgrund ihrer geringfügigen inhaltlichen Relevanz keinen Anlass geben, einen Verwaltungsvorgang anzulegen. Die Aufzeichnung der Nachrichten sei nicht final genug. Wie schön, dass über Finalität und Relevanz ausgerechnet die Behörden entscheiden dürfen, die kein Licht ins Dunkel bringen wollen.

Wasser predigen, Wein saufen

Dass politisches Handeln häufig von Inkonsequenz (ich bin versucht, Inkompetenz zu schreiben) geprägt ist, wissen wir. Doch wer sich an seine eigenen Regeln nicht hält, lieber vom Elfenbeinturm aus predigt und für sich selbst Freiheiten einfordert, die anderen abgesprochen wird, den nehme ich nicht ernst. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendein Neunmalkluger entschlosseneres Vorgehen gegen irgendwas verlangt und den schwarzen Peter dem Datenschutz zuschiebt. Wir Datenschützer sind aber auch echt schlimme Finger, Mensch.

Aber was rede ich, noch schlimmer ist natürlich die Verschlüsselung. Dieser Dorn im Auge der Politik macht unsere lieben Abgeordneten schon länger blind für die Risiken und Gefahren, die wir alle nach Abschaffung der Verschlüsselung zu erwarten haben. Egal – bei der informationellen Selbstbestimmung handelt es sich doch nur um ein Grundrecht und mit Grundrechten steht man ja heutzutage eh auf Kriegsfuß.

Es ist auffällig, das Schnüffeln in den Nachrichten normaler Leute als notwendiges und gar nicht mal so schlimmes Opfer für die Sicherheit zu propagieren, bei den eigenen – nicht im privaten Kreis stattfindenden – Nachrichten aber komplett dicht zu machen. Das ist Messen mit zweierlei Maß und lässt mich an der Integrität so mancher Politiker zweifeln. Ich kann verstehen, dass private und irrelevante Dinge nicht an die Öffentlichkeit gehören. Sowas ließe sich aber schwärzen. Milliardendeals bzw. Lobby-Einfluss unter den Tisch zu kehren und den demokratischen Diskurs zu konterkarieren, indem das nebulöse Geheimabsprachen-Hinterzimmer auf das Smartphone verlagert wird, kann aber nicht die Lösung sein. Über Politik- und EU-Verdrossenheit braucht man sich da nicht zu wundern.

Und täglich grüßt der Lobbyist

Ehrlich gesagt, habe ich so richtig die Schnauze voll. Ich meine, was soll das? Ist ja nicht so, dass wir es von unseren Herrschaften da oben im Olymp nicht gewohnt wären. Aber man scheint sich nicht einmal mehr die Mühe zu machen, die Leichen im Keller (Kontakte zu Lobbyisten) zu verstecken. Vielmehr rennt man in des Kaisers neuen Kleidern durch die Gegend, weil sowieso keiner nachfragt und allenfalls mit den Schultern zuckt. Anscheinend gehöre ich zu den wenigen Menschen, die den Lobby-Sumpf in der EU nicht einfach hinnehmen wollen. Wenn dann noch Scheinheiligkeit und Hybris dazukommen, weil für die Politikerriege Datenschutz gelte und das Volk doch Cookies essen solle, möchte ich anmerken: Hochmut kommt stets vor dem Fall.

Update 26.01.2022

Der vom ehemaligen Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar geführte Verein „Europäische Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz“ (EAID) hat vor kurzem eine ähnliche Forderung veröffentlicht: Kurznachrichten von Regierenden dürfen nicht pauschal geheimgehalten, gelöscht oder vergessen werden!


Dieser Beitrag ist ein Kommentar und spiegelt daher die persönliche Meinung der Autorin / des Autors wider. Diese muss nicht mit der Meinung des Herausgebers oder seiner Mitarbeitenden übereinstimmen.

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