Das vom Bundestag heimlich und leise während des EM-Halbfinales beschlossene Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens sorgte nicht nur unter Datenschützern für einen großen Aufschrei. Die umstrittene Regelung: Wer nicht aktiv Widerspruch einlegt, dessen Daten können vom Staat für Werbezwecke weitergegeben werden.
Wie abgeordnetenwatch.de berichtet, war es ein Änderungsantrag der Abgeordneten Hans-Peter Uhl (CSU) und Gisela Piltz (FDP), durch den im letzten Moment die datenschutzfreundlichere Regelung der Einwilligungslösung aus dem Gesetzestext gekippt wurde.
Der Inhalt im Überblick
Kritik von allen Seiten…
Für großen Wirbel und starke Kritik sorgte das Gesetz nicht nur bei Datenschützern. Berichten von SPIEGEL ONLINE zu Folge geht man auch unter Politikern wieder auf Distanz zu den gerade erst durchgesetzten Änderungen.
So Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU):
Aus meiner Sicht war es ein Fehler, dass der entscheidende Paragraf quasi über Nacht im Schnellverfahren geändert wurde. So wird das Gesetz nicht kommen.
Auch Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger kommentiert das abgeänderte Gesetz wie folgt:
Wir wollen zurück zur Einwilligungslösung.
… nur nicht von Uhl: „Anfragen ohnehin zu teuer für die Werbeindustrie“
Nur CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl verteidigt die abgeänderte Widerspruchslösung nach wie vor. Diese sei auf ausdrücklichen Wunsch der Meldeämter eingefügt worden, so dass für die Änderungen ganz praktische Gründe gesprochen hätten. Konkret geht es also darum, den Behörden den Verwaltungsaufwand zu ersparen, wenn die betroffenen Bürger zunächst um Erlaubnis gefragt werden müssten. Angesichts dessen ist nach Ansicht von Uhl auch eine Zustimmung des Bundesrats denkbar.
Ganz pragmatisch hält Uhl außerdem eine massenhafte Weitergabe von Bürgerdaten ohnehin für unbegründet. Er führt dies darauf zurück, dass für die Meldeämter die Werbeindustrie keine lohnende Quelle sei, weil eine Adressanfrage zehn Euro koste:
Jeder Adresshändler wäre pleite.
Und alle hoffen auf den Bundesrat
Die umstrittene Abstimmung im Bundestag soll jetzt mithilfe des Bundesrates wieder revidiert werden. Angesichts der datenschutzrechtlichen Schwachpunkte des Gesetzes stehen die Chancen hierfür gut.
Das Gesetz fällt allerdings in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 GG, so dass keine Zustimmung des Bundesrates erforderlich ist, sondern dem Bundesrat nach Durchführung des Vermittlungsverfahrens im Vermittlungsausschuss lediglich ein Einspruchsrecht zusteht. Ein vom Bundesrat beschlossener Einspruch könnte dann durch Beschluss der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages zurückgewiesen werden.
Was auch immer die Gemüter der Bundestagsabgeordneten beim Beschluss des Meldegesetzes bewegt haben mag: Bis auf Hans-Peter Uhl scheint jedoch zwischenzeitlich überwiegend Konsenz zu bestehen, dass die im Gesetz kurzfristig abgeänderte Widerspruchslösung datenschutzrechtlich katastrophale Auswirkungen haben könnte. Ein Querschießen des Bundestages daher doch eher fernliegend.
Es sollte allerdings bei aller Aufregung beachtet werden, dass es nach alter Rechtslage mit dem Datenschutz im Melderecht schon schlecht bestellt ist.
Je nach Bundesland kann schon heute einer Datenweitergabe zu Werbezwecken nicht widersprochen werden.
Bleibt zu hoffen, dass das durch den Bundesrat verbesserte Meldegesetz auch tatsächlich eine Datenschutzverbesserung mit sich bringen wird.
Interessant: Jens Ferner zum Meldedaten-Hype:
http://www.ferner-alsdorf.de/2012/07/fakten-datenweitergabe-im-rahmen-des-bundesmeldegesetzes/
@ Dr. Datenschutz :
Heise meldete ursprünglich (irrtümlich?), dass der Bundesrat das Meldegesetz wegen der fehlenden Zustimmungspflicht nicht verhindern kann.
In der neuen Artikelfassung wurde das geändert (ohne Updatehinweis).
http://www.heise.de/newsticker/meldung/Widerstand-gegen-neues-Meldegesetz-wird-heftiger-1634695.html
Aus dem vom Bundestag beschlossenem Gesetzestext soll zudem die Zustimmungspflicht des Bundesrates hervorgehen.
@Ditta:
Vielen Dank für Deine Tipps und Hinweise, vor allem im Hinblick auf die Zustimmungsbedürftigkeit des Gesetzes.
Ich denke trotzdem, dass die im beschlossenen Meldegesetz vorgesehene Widerspruchslösung aus datenschutzrechtlicher Sicht eine erhebliche Verschlechterung im Vergleich zu den landesrechtlichen Regelungen mit sich bringt. Der Vorschlag von Herr Ferner, Betroffene lieber an ihr Auskunftsrecht zu erinnern und zu mehr Eigeninitiative aufzufordern, ist an sich begrüßenswert. Trotzdem kommt dem Staat auch eine Schutzpflicht gegenüber seinen Bürgern zu, so dass es aus meiner Sicht kein geeigneter Ansatz ist, Datenverwendungen in dem Umfang, wie sie im neuen Meldegesetz gestattet sind, zu legitimieren und den Bürger auf sein Widerspruchsrecht und Auskunftsansprüche zu verweisen. An dieser Stelle ist, wie ich finde, auch eine gewisse Aufregung angebracht.
@Dr. Datenschutz:
Danke für die Antwort.
Wenn es nach mir ginge, würde das Melderegister ohnehin vom heutigen Status eines quasi öffentlichen Registers zu einem Register mit einem strengen und hohen Datenschutzniveau umgewandelt werden.
Auskünfte an Privatpersonen, Unternehmen oder andere nicht-öffentliche Interessenten würden generell verboten.
Als Empfänger von Melderegisterauskünften kämen nach einer sorgfältigen Einzelfallprüfung ausschließlich z.B. Gläubiger, die nachweislich auf der Suche nach konkreten Schuldnern sind, in Betracht.
Die heutzutage erlaubten einfachen Melderegisterauskünfte würden abgeschafft. Dann könnte niemand mehr nur mit „Name + alte Adresse“ oder „Name + Geburtsdatum“ die aktuelle Anschrift einer Person auskundschaften, ohne sich ausweisen zu müssen und ohne dass solche Auskünfte von den Meldeämtern protokolliert werden.
Dieser Zustand, der auch mit der Melderechtsreform nicht geändert wird, ist unerträglich.
@Ditta
Die Widerspruchsmöglichkeit gegen die Weitergabe der melderechtlichen Basisdaten für erkennbare Zwecke der Direktwerbung gibt es schon heute.
Das steht nicht in den Landesmeldegesetzen, sondern geht auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes aus dem Jahre 2006 zurück. In der melderechtlichen Parxis wird das seitdem so gehandhabt.
Sehr wichtig ist der Hinweis, dass es bei der Melderegisterauskunft nicht nur um die Datenweitergabe an Unternehmen, sondern auch an natürliche Personen geht. Solche Melderegisterauskünfte halte ich für besonders problematisch, weil heute jedermann das Recht hat, die aktuelle Anschrift eiens Einwohners abzufragen, und das ohne Angabe von Gründen. Auskunftssuchende können ehemalige Schulfreunde, neugierige Bekannte oder auch Stalker oder Gewalttäter sein, die sich auf diesem Weg die Adresse eines Einwohners beschaffen. Das ist ein unhaltbarer Zustand, der im krassen Widerspruch zur Intention des Datenschutzes steht.
@ Peter D.
Vielen Dank für den Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes (Urteil des 6. Senats vom 21. Juni 2006 – BVerwG 6 C 05.05).
Die einfache Melderegisterauskunft wird in der Tat häufig kritisiert. In diesem Zusammenhang wird beispielsweise auch ein generelles Widerspruchsrecht des Bürgers gefordert.