Ein Kind im digitalen Zeitalter aufzuziehen ist eine Herausforderung. Digitale Technologien bestimmen bereits viele Bereiche unseres Lebens. Nun sollen digitale Technologien auch bei der Kindererziehung helfen. Tracking-Apps, um den Standort des Kindes zu erfahren oder Programme zur Einschränkung des Internetzugangs können eingesetzt werden, um das Verhalten von Kindern zu regulieren. Eine sinnvolle Ergänzung zu der Erziehung oder ein Schritt in die elterliche „Totalitärüberwachung“?
Der Inhalt im Überblick
Digital Parenting – Elternsein im digitalen Zeitalter
Eltern im digitalen Zeitalter stehen vor einem Dilemma. Ihre Kinder werden als sogenannte „Digital Natives“ geboren. Sie werden von Anfang an mit digitalen Technologien konfrontiert. Keine Schonfrist oder ein „Handy erst ab 16“. Vielerorts sieht man bereits Kleinkinder, die Spiele auf Tablets spielen oder Grundschulkinder mit den neusten Smartphones.
Dieser neue allgegenwärtige Zugang zu Technologie stellt Eltern nun vor die Herausforderung, wie sie ihre Kinder im Bezug auf die Digitalisierung erziehen wollen. Und nicht selten stoßen sie hierbei auf ein Dilemma: Zum einen wollen sie ihre Kinder vor den Gefahren des Internets schützen, wie Cybermobbing, unangemessenen Inhalten und dem Einfluss sozialer Medien. Gleichzeitig möchten sie die Privatsphäre und das Vertrauen ihrer Kinder respektieren und ihnen Raum zur eigenen Entfaltung geben.
Was sind eigentlich Parental-Control-Apps?
Die sogenannten Parental-Control-Apps (dt. Apps zur elterlichen Kontrolle) geben den Eltern die Möglichkeit, das Verhalten ihrer Kinder im Internet und auch ihren Standort zu tracken. Diese Apps und Programme können bestimmte Webseiten blockieren, Apps ab einer gewissen Nutzungsdauer sperren, Textnachrichten oder Posts scannen oder eben den Standort des Kindes rund um die Uhr anzeigen.
„Ich weiß, was du heute getan hast.“ – Tracking-Apps zur Überwachung
Ein bekanntes und umstrittenes Tool zur Überwachung der eigenen Kinder ist die Bewegungstracking-App. Eltern können mithilfe derartiger Programme den Standort ihrer Kinder jederzeit abrufen. Hierfür wird eine bestimmte App auf dem Handy des Kindes installiert, welche sodann Standortdaten mittels GPS oder über eine Internetverbindung an ein weiteres Gerät übermittelt. Auf diese Art und Weise können Eltern auf ihrem eigenen Smartphone oder Tablet sehen, wo sich das Kind gerade aufhält.
Eine prominente Anwendung für das Standorttracking eines Kindes ist die Life360-Anwendung. Diese App bietet die Echtzeit-Standortverfolgung für die ganze Familie an. Zudem können Nutzer in der Life360-App sogenannte „Geofences“ erstellen, das sind virtuelle Grenzen um bestimmte Orte wie Zuhause, Schule oder Arbeit. Die App sendet dann Benachrichtigungen, wenn ein Familienmitglied diese Bereiche betritt oder verlässt. Außerdem enthält die Anwendung eine SOS-Funktion, die es Familienmitgliedern ermöglicht, schnell einen Notruf auszulösen. Dies sendet sodann sofortige Benachrichtigungen an die anderen Mitglieder des Kreises und zeigt den aktuellen Standort desjenigen, der Hilfe benötigt. Zuletzt ist auch Kommunikationstool in die Anwendung eingebaut, damit die Nutzer über die App chatten können.
Die Anwendungsfelder der App sind vielfältig. Fast unbeachtet bleibt, dass diese Tools eine Vielzahl von personenbezogenen Daten erhebt und verarbeitet. So werden „nicht nur“ Standortdaten erhoben, sondern auch die persönlichen Identifikationsdaten von Eltern und Kindern, Nutzungsdaten der App, Kommunikationsdaten wie Chats und auch SOS-Meldungen und schließlich auch Geräteinformationen.
In Anbetracht der Menge an personenbezogenen Daten, die von derartigen Anwendungen verarbeitet werden, ist besondere Vorsicht geboten. Schließlich handelt es sich hierbei um eine App „wie jede andere auch“. Sie erhebt Daten für ihre Dienstleistungen und speichert diese. Die Konsequenz kann sein, dass Dienstleister genaue Daten darüber haben, wo und wann Eltern und Kinder sich draußen bewegen und welche Muster womöglich zu erkennen sind. Man sollte diesen Gedanken auch bei Nutzung derartiger Apps behalten.
„Wir bestimmen, was du siehst“ – Beschränkung der Internetnutzung
Ferner gibt es Anwendungen, mithilfe derer Eltern die Nutzung des Internets ihrer Kinder einschränken können. Solche Programme ermöglichen es Eltern, die digitale Nutzung ihrer Kinder zu überwachen und zu steuern. Sie bieten Funktionen zur Überwachung der Geräteaktivitäten, einschließlich der Nutzung von Apps und der besuchten Websites. Eltern können Zeitlimits für die Bildschirmnutzung festlegen und bestimmte Apps oder Websites blockieren, um den Zugang zu ungeeigneten Inhalten zu verhindern.
Hierbei werden Identitätsdaten, möglicherweise intime Konversationen, Verhaltensmuster der Kinder und Nutzungs- und Geräteinformationen erhoben und verarbeitet. Diese Daten werden nicht nur von den Anbietern der Parental-Control-Apps verarbeitet. Regelmäßig haben auch die Eltern Einsicht in derartige Daten ihres Kindes und können sogar gewisse Funktionen und Websites sperren.
Problematisch ist dies insofern, als dass Kinder jeglichen Alters entmündigt werden, ihre Privatsphäre erheblich gestört wird und sie nicht mehr selbst bestimmen können, wie sie das Internet oder Apps nutzen wollen. Zudem können Eltern ihre Textnachrichten einsehen und scannen. Dies bedeutet einen invasiven Eingriff in das Post- und Briefgeheimnis gemäß Art. 10 GG. Es ist daher essenziell, dass Eltern sich der Schwere dieser Situation bewusst sind und möglicherweise vom Kontrollieren der Chats absehen.
Haben Kinder ein Recht auf Privatsphäre?
Das Recht auf Privatsphäre ist ein anerkanntes Menschenrecht. Unbestritten hat jedermann ein Recht auf einen ganz persönlichen Bereich, in den niemand eindringen darf. Wie sieht es jedoch im Verhältnis von Eltern zu ihrem Kind aus?
Das Motiv der Parental-Control-Apps ist der Schutz des Kindes vor Gefahren von außen oder auch vor unangemessenen Inhalten im Internet. Wenn nun eine Parental-Control-App eingesetzt werden soll, greift dies zunächst invasiv in die Privatsphäre des Kindes ein. Schließlich haben Eltern durch derartige Programme einen vollständigen Überblick, wie sich das Kind im Internet verhält und wo es sich womöglich aufhält.
Das Kind kann ferner weder bei der Nutzung des Internets, bei der Kommunikation mit Freunden oder bei dem Bewegen draußen ungestört und für sich sein. Dies ist ein erheblicher und invasiver Eingriff in die Privatsphäre des Kindes. Klar ist, dass dies nicht so stehengelassen werden darf. Man muss ein Maß finden, mit dem ein Schutz zwar gewährleistet werden kann, aber die technischen Überwachungsmaßnahmen derart beschränkt werden, damit Kinder ihre Privatsphäre nicht vollkommen aufgeben müssen. Das Recht auf Privatsphäre eines Kindes ist unter allen Umständen zu wahren.
Überwachung vs. Datenschutz bei Parental-Control-Apps
Parental-Control-Apps, einschließlich Tracking-Apps und Programme zur Einschränkung der Internetnutzung, erheben und verarbeiten sensible personenbezogene Daten. Tracking-Apps erfassen GPS-Daten und Bewegungsprofile, während Programme zur Internetnutzungskontrolle Informationen über besuchte Websites und Nutzungszeiten sammeln. Beide Arten von Anwendungen benötigen eine klare Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung. Hierbei kann eine Einwillgung in Betracht kommen. Doch können Kinder in derartige Datenverarbeitungen einwilligen?
Wer darf einwilligen?
In der EU dürfen Kinder gemäß Art. 8 DSGVO ab 16 Jahren selbst in die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten einwilligen, sofern es sich um Dienste der Informationsgesellschaft handelt. Mitgliedstaaten können das Mindestalter auf bis zu 13 Jahre senken, was Deutschland aber nicht getan hat. Für Kinder unter 16 Jahren müssen die Eltern oder Erziehungsberechtigten die Einwilligung erteilen. Diese Einwilligung muss informiert und freiwillig erfolgen, wobei die Eltern über die Art, den Umfang und die Zwecke der Datenverarbeitung aufgeklärt werden müssen.
Dies bedeutet für Parental-Control-Apps, dass Eltern für ihre Kinder einwilligen können. Hier tritt ein Dilemma auf: Warum dürfen Eltern, die überwachen wollen, derart über das Kind bestimmen? Gerade Heranwachsende könnten unter diesen Regelung leiden, da die Jugendzeit in vielerlei Hinsicht Privatsphäre für die Entwicklung erfordert.
Einhaltung der Grundsätze des Datenschutzes
Die Parental-Control-Apps müssen die Grundsätze des Datenschutzes gemäß Art. 5 DSGVO einhalten. Insbesondere der Datenminimierung kommt eine hohe Relevanz zu. Es sollen nur solche Daten erfasst werden, die für die Erreichung des Zwecks notwendig sind. Das bedeutet, dass die App keine überflüssigen Informationen sammeln sollte, die nicht direkt für die Funktionalität der App erforderlich sind.
Auch die Speicherbegrenzung ist wichtig für den Schutz der personenbezogenen Daten der Eltern und der Kinder. Die Daten dürfen nur so lange gespeichert werden, wie es für die Zwecke, für die sie verarbeitet werden, erforderlich ist. Gerade bei Standortdaten ist es wichtig, dass die Daten so kurz wie möglich verarbeitet und nach Möglichkeit gar nicht gespeichert werden. Nur so kann eine „Dauerüberwachung“ verhindert werden. Nach Erreichen des Zwecks oder auf Verlangen der Eltern sollten die Daten zudem gelöscht werden.
Datenschutz – dringend einhalten!
Abschließend lässt sich festhalten, dass Parental-Control-Apps unter strikter Berücksichtigung der datenschutzrechtlichen Grundsätze ausgewählt werden müssen. Die Einhaltung von Transparenz, Zweckbindung, Datenminimierung, Richtigkeit, Speicherbegrenzung sowie der Sicherstellung von Integrität und Vertraulichkeit ist unerlässlich, um die Rechte und die Privatsphäre der Kinder zu schützen. Besonders wichtig ist die Einholung einer informierten Einwilligung der Eltern, die als gesetzliche Vertreter die Datenverarbeitung ihrer Kinder autorisieren müssen. Nur durch die konsequente Beachtung dieser Anforderungen können Parental-Control-Apps verantwortungsvoll genutzt werden.
Wie sollen wir künftig mit unseren Kindern umgehen?
Ob und wenn ja, inwiefern Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder Parental-Control-Apps nutzen wollen, bleibt ihnen selbst überlassen. Wichtig ist, dass Eltern sich darüber bewusst sind, wie weit sie in das Privatleben der Kinder eingreifen können. Sie müssen einen Balanceakt Schutz und Respekt für die Privatsphäre ihrer Kinder vollziehen. – Ein schwieriges Unterfangen, keine Frage.
Netta Weinstein, Professorin für Klinische und Soziale Psychologie der Universität Reading, sagt dazu:
„Hören Sie den jungen Menschen zu, erfahren Sie, welche Einstellung sie zu Technologie haben, wie sie sie nutzen, wie sie sie nutzen möchten und was ihre Bedenken sind. Wenn wir Kindern beibringen können, wie sie online vernünftige Entscheidungen treffen […], wenn wir diese offene und vertrauensvolle Kommunikation und Beziehung zwischen Eltern und Jugendlichen aufbauen, hilft das den jungen Menschen, für den Rest ihres Lebens vernünftige Entscheidungen im Umgang mit Technologie zu treffen.“ (übersetzt aus dem Englischen)