Effizienz wird bei Amazon großgeschrieben. Und die Kunden profitieren – insbesondere in Zeiten von Corona. Die Tagesschau berichtete von brisanten Erkenntnissen bezüglich einer benachteiligten Gruppe in diesem Konstrukt: die Mitarbeiter. Mithilfe einer Software soll Amazon umfangreiche Leistungsdaten seiner Beschäftigten überwacht haben, sodass auch die niedersächsische Landesbeauftrage für Datenschutz hellhörig wurde.
Der Inhalt im Überblick
Mitarbeiteraussortierung am Fließband
Die schnelle Lieferung innerhalb eines Tages, gerne auch nach 20 Uhr und dann auch noch den Bearbeitungsstand der Bestellung live mitverfolgen können – Luxus pur! Da steigt die Vorfreude auf die Bestellung und die Zufriedenheit der Kunden ist garantiert. Der Arbeitsalltag für die Amazon-Mitarbeiter auf der anderen Seite scheint anders auszusehen.
Die Tagesschau berichtete kürzlich von einem Bericht des ARD-Magazins Panorama, der die Mitarbeiterüberwachung durch eine Software in einem Amazon-Versandlager in Winsen enthüllte. So befragte Panorama ehemalige Mitarbeiter von Amazon, die von ihrer plötzlichen Kündigung berichteten. „Release Day“ habe es ein Amazon-Vorarbeiter genannt und Panorama anonym bestätigt, dass diese Tage angesetzt würden, um mehrere befristete Mitarbeiter zu kündigen.
Die Entscheidung beruhe dabei auf den Ergebnissen eines internen Computersystems. Bei einer Recherche zu Umweltproblemen bei Amazon sei Greenpeace darüber hinaus auf Unterlagen dieser Software gestoßen und habe diese Panorama zugänglich gemacht. Demnach zeichne die Kontrollsoftware auf, welches Paket wann und von wem verpackt wird, indem die Mitarbeiter bei Einlagerung, Heraussuchen und Einpacken jedes Teil scannen. Dieser Scanvorgang sei für den Vorarbeiter minutengenau einsehbar und auch Abwesenheitszeiten somit kontrollierbar. So berichtete die ehemalige Mitarbeiterin beispielsweise, dass sie oftmals befragt wurde, wo sie zu einem bestimmten Zeitpunkt gewesen sei.
Zeigt die Software also an, dass bei einem Mitarbeiter unterdurchschnittliche Arbeitsleistung festgestellt wird oder häufige Abwesenheiten, greift der Vorarbeiter gerne ein. Da stellt sich die Frage: Kann diese Art von Totalüberwachung noch rechtens sein?
Nicht die erste Datensünde bei Amazon
Während der Konzern immer weiter aufsteigt und stetig den Markt des Onlineversandhandels einnimmt, gerät er auch weiter in die Kritik bezüglich seiner Praktiken – auch aus datenschutzrechtlicher Sicht.
Erst im Oktober berichtete Vice, wie Amazon-Mitarbeiter die E-Mailadressen von Kunden unrechtmäßig an Dritte weitergaben und das zweimal innerhalb eines Jahres. Auch die Europäische Gesellschaft für Datenschutz (EuGD) strengt derzeit eine Schadensersatzklage gegen Amazon an, da das Unternehmen rechtswidrig Daten von EU-Bürgern in die USA transferiere. Und dass Amazon Gespräche auswerte, die mittels der virtuellen Assistentin Alexa aufgezeichnet werden, ist fast schon wieder Schnee von gestern.
Somit ist auch der aktuelle Vorwurf gegen Amazon von einer unverhältnismäßigen Leistungskontrolle und Überwachung seiner Beschäftigten nicht verwunderlich. Die Konsequenz eines Kontrollverfahrens seitens der niedersächsischen Aufsichtsbehörde überrascht demnach ebenfalls nicht. Laut Tagesschau habe die Landesbeauftrage für Datenschutz bereits einige Funktionen der eingesetzten Software in einem Bericht an Amazon beanstandet.
Und was sagt die DSGVO zur Leistungskontrolle?
Wie die Aufsichtsbehörde die Software bewerten wird, ist noch unklar. Fakt ist, dass die Verarbeitung von Mitarbeiterdaten für Zwecke der Leistungskontrolle eine heikle Angelegenheit in der Datenschutzwelt darstellt.
Während Amazon sich gegenüber Panorama folgendermaßen zur Nutzung der Software äußert:
„Nach unserer Einschätzung sind diese Systeme im Einklang mit den Verordnungen und Gesetzen in Deutschland und in der EU“
sind wir uns da nicht so sicher. Schauen wir uns mal die datenschutzrechtlichen Anforderungen für den Betrieb einer solchen Software an.
Erforderlichkeit für das Beschäftigungsverhältnis
Im deutschen Recht ist vor allem § 26 BDSG für den Beschäftigtenkontext von Bedeutung. Eine mögliche Rechtsgrundlage für die Verarbeitung der Beschäftigtendaten könnte nach § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG für den Zweck der Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses vorliegen. Das eingesetzte Mittel müsste dafür aber auch „erforderlich“ sein. Die Erforderlichkeitsprüfung sieht nach Gesetzesbegründung des BDSG die Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen zur Herstellung einer praktischen Konkordanz vor.
Bringt Amazon beispielsweise vor, dass die Software notwendig sei, um die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Pflichten zu kontrollieren oder für den Betriebsablauf erforderlich sei, könnte hierin ein legitimes Interesse bestehen. Diesem Interesse könnte das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Beschäftigten als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gegenüberstehen.
Eine Leistungskontrolle, die einer Totalüberwachung gleicht, wenn Vorgesetzte Mitarbeiter bei häufigen Toilettengängen ansprechen oder die Beschäftigten somit dem ständigen Leistungs- und Konkurrenzdruck ausgesetzt sind, dürfte dieser Interessenabwägung wohl kaum standhalten. Für die Zweckverfolgung der Leistungskontrolle dürfte mithin eine strichprobenartige Überwachung ausreichend sein oder für das Ziel eines reibungslosen Betriebsablaufs auch eine anonymisierte oder zumindest pseudonymisierte Erfassung in der Software.
Mitbestimmungspflicht des Betriebsrats
Möglich wäre auch nach § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG, dass die Betriebsvereinbarung die Datenverarbeitung der Mitarbeiter Amazons legitimiert. Sofern eine technische Einrichtung im Unternehmen eingeführt oder angewandt wird, die geeignet ist, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen, ist der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mitbestimmungspflichtig. Die eingesetzte Software von Amazon müsste demnach von dem Betriebsrat genehmigt und in eine Betriebsvereinbarung aufgenommen worden sein.
Aber auch hier müssten die allgemeinen Grundsätze des Datenschutzes nach Art. 5 DSGVO beachtet werden. Die Grundsätze „Datenminimierung“ und „Transparenz“ sind besonders fragwürdig bei so einer Überwachung. Ein minutengenauer Abgleich der Scanvorgänge der Mitarbeiter ist weder notwendig noch sind die Mitarbeiter höchstwahrscheinlich über den genauen Umfang der eingesetzten Software informiert, wenn die ehemalige Mitarbeiterin gegenüber Panorama ihre Verwunderung über die Frage ihres Vorgesetzten zu ihrer kurzen Abwesenheit äußert.
Einwilligung der Beschäftigten
Aus einem ähnlichen Grund ist eine mögliche Einwilligung der Beschäftigten nach § 26 Abs. 2 BDSG anzuzweifeln. Auf einer informierten Einwilligung würde die Rechtsgrundlage aus den bereits genannten Schlussfolgerungen zumindest nicht beruhen. Insbesondere die Freiwilligkeit der erteilten Einwilligung wird regelmäßig nicht vorliegen, wenn man den Umfang der Überwachung bedenkt und die Mitarbeiter andernfalls eine Kündigung fürchten müssen.
Die Grenze der Leistungskontrolle
Schlussendlich gilt, dass eine Leistungskontrolle durch den Arbeitsgeber nicht unmöglich ist. Der Arbeitgeber wird regelmäßig ein berechtigtes Interesse vorzuweisen haben, wie beispielsweise die Kontrolle der Einhaltung von Vertraulichkeitspflichten oder die Prävention des Diebstahls von sensiblen Geschäftsinformationen. Zu einem gewissen Punkt wird also die Verhaltens- und Leistungskontrolle vertretbar oder sogar notwendig sein. Das Grundgesetz verankert jedoch die Grenze dieser Überwachung und zwar im Allgemeinen Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.
Auch sollte Amazon bei der Einführung solcher Softwares bedenken, dass diese verhältnismäßig sind, d.h. es liegt ein legitimer Zweck vor und das eingesetzte Mittel ist erforderlich und angemessen, um den Zweck zu erreichen.
Vertrauen ist gut, Kontrolle besser?
Lenin sagte es bereits: Vertrauen ist gut, Kontrolle besser. Sollte aber für Amazon vielleicht anders heißen: Kontrolle ist gut, Vertrauen besser. Mit weniger Leistungsdruck wird ein Arbeitsumfeld erzeugt, das die Motivation und somit auch die Arbeitsleistung der Mitarbeiter steigert. Somit wird einem abermals bewusst, dass bei der ständigen Effizienzsteigerung und der „Preisdumpings“ nicht alle Parteien profitieren.
Wie es bei dem Bescheid der Datenschutzaufsichtsbehörde an Amazon weitergehen wird, ist unklar. Ein Amazon-Sprecher teilte dem NDR jedoch mit, dass Amazon der Ansicht sei, die Art und Weise der Datenerhebung sei rechtmäßig. Bis zum 03. Dezember könne Amazon gegen den Bescheid der Aufsichtsbehörde Klage einreichen.
Großartige Seite! Sehr informativ. Das doch streckenweise trockene Thema Datenschutz wird anschaulich, praxisnah und verständlich behandelt. Ich freue mich, diese Seite gefunden zu haben. Sie ist eine Bereicherung. Vielleicht könnte man die gängigen Vorbehalte gegen den Datenschutz in die einzelnen Themen einbauen um sie zu erörtern und bestenfalls zu widerlegen.