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Recht auf Privatsphäre – ein kleiner Hoffnungsschimmer bleibt

Recht auf Privatsphäre – ein kleiner Hoffnungsschimmer bleibt

Seit dem Volkszählungsurteil im Dezember 1983 haben sich die Ansichten zum Schutz der Privatsphäre in der Bevölkerung um 180 Grad gedreht: Überwachung rund um die Uhr, aber auch soziale Medien haben Hochkonjunktur – George Orwells Vision scheint Realität geworden zu sein. Dieser Beitrag zeigt auf, dass unser aller Recht auf Privatsphäre tagtäglich Gefahren ausgesetzt ist, Hopfen und Malz jedoch noch nicht gänzlich verloren sind.

Privatsphäre – Definition und gesetzliche Verankerung

Was bedeutet Privatsphäre für Sie? Vermutlich ein Hauch Freiheit, ein Ort, an dem Sie vor der Außenwelt flüchten und Ihre Ruhe genießen können. So dürften auch die beiden amerikanischen Bundesrichter, Samuel D. Warren und Louis D. Brandeis 1890 empfunden haben, als sie in ihrem Aufsatz zum Recht auf Privatsphäre ausführten, es gäbe „the right to be let alone“. Anlass hierfür waren findige Fotografen, die sich von einer Hecke nicht davon abhalten ließen, eine Hochzeitsfeier zu stören.

Ganz allgemein betrachtet definiert Privatsphäre einen bestimmten nichtöffentlichen Bereich, in dem man tun und lassen kann was man will – unbehelligt von äußeren Einflüssen oder einer Beobachtung durch Dritte. Dies ermöglicht erst die freie Entfaltung der Persönlichkeit.

Allgemeines Persönlichkeitsrecht

Nun sollten Sie hellhörig werden: Das Recht auf eine freie Entfaltung der Persönlichkeit ist dem Grundgesetz zu entnehmen, genauer gesagt Art. 2 Abs. 1 GG:

„Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“

Zugegeben, von einem Recht auf Privatsphäre steht da nichts. Dieses Recht wird jedoch aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitet, welches wiederum auf Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG basiert. Wieso? Selbstbestimmung, Selbstbewahrung und Selbstdarstellung als Elemente des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wären ohne Privatsphäre nicht denkbar.

Weitere Grundrechte

Konkretisiert wird der Schutzbereich des Rechts auf Privatsphäre durch die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) und das Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG), um den geschützten nichtöffentlichen Bereich zu erweitern.

Auch in Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention findet sich das Recht auf Privatsphäre:

„Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.

Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.“

George Orwell würde sich im Grabe umdrehen…

…und darin vielleicht sogar rotieren, wenn er wüsste, dass sein Werk 1984 zwar allgemein bekannt ist, jedoch kaum einer daraus Lehren zieht. Wie sonst ist es zu erklären, dass immer noch eine große Anzahl von Menschen behauptet, man habe doch nichts zu verbergen? Auf Grundrechtseingriffe reagiert die Bevölkerung mit einem Achselzucken – oder einfach gar nicht.

Edward Snowden, ein wahrer Verfechter des Rechts auf Privatsphäre, trifft hierzu die richtigen Worte:

„Arguing that you don’t care about the right to privacy because you have nothing to hide is no different than saying you don’t care about free speech because you have nothing to say. A free press benefits more than just those who read the paper.“

Leider bleiben diese Worte vielfach ungehört. Das Recht auf Privatsphäre wird täglich beschnitten – überall, um uns herum, auch in Deutschland! Eine kurze Darlegung einiger Beispiele sollte genügen:

Big Brother is watching you

Überwachung ist längst kein Relikt mehr vergangener Zeiten, nein, sie findet auch heute noch – mit moderneren Mitteln – statt. Stichworte gefällig? Wie wäre es mit: Lauschangriffen, Videoüberwachung, DNA-Datenbanken, Gesichtserkennung und Bewegungsprofilen?

Manch einer wendet ein, diese Maßnahmen würden doch einem guten Zweck dienen. Das mag stimmen, aber um in Grundrechte einzugreifen, reicht es nicht aus, etwas nur gut zu meinen. Die Maßnahme muss verhältnismäßig sein und viele weitere Anforderungen erfüllen. Häufig werden die Voraussetzungen für einen gerechtfertigten Grundrechtseingriff gewahrt – hin und wieder allerdings nicht. Als letzte Bastion der Rechtsstaatlichkeit verbleibt dann nur das Bundesverfassungsgericht.

Ach ja, auch private Akteure wissen mehr über Sie, als Sie denken. Ob Sie ein Konto eröffnen, Kaufverträge abschließen oder dahingehen, wo der Pfeffer wächst, die Schufa ist bestens informiertTransparenz Fehlanzeige.

Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast

Okay, ich nicht… aber Google, Facebook, Amazon und Co.! Überraschung, wer hätte das gedacht? Amazons Mitarbeiter kennen nicht nur die geheimsten Sehnsüchte ihrer Kunden, sondern auch den Inhalt diverser Alexa-Gespräche, z.B. im Homeoffice. Ihr Schulabschluss, Wohnort, Ihre Lieblingspolitiker: Facebook sammelt Daten ohne Ende. Angesichts diverser Datenschutzpannen ist das mehr als bedenklich. Das scheint nur kaum jemanden zu kümmern, betrachtet man den Beliebtheitsgrad der Facebook-Konzern-Apps.

Um verfolgt und ausspioniert zu werden, reicht es schon, irgendeine Website aufzurufen – mit hoher Wahrscheinlichkeit nutzt diese Cookies, Tracking- und Analyse-Tools. Jeder Klick, eine Datenspende! Erstaunlich, wie wenig sich der Großteil der Bevölkerung mit dieser Thematik beschäftigt. Aus den Augen, aus dem Sinn?

Ihr Auftritt, Datenschutz!

Der Datenschutz ist auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zurückzuführen, welches – genauso wie das Recht auf Privatsphäre – Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist. Aus diesem Grund steht der Datenschutz dem Recht auf Privatsphäre zur Seite. Ganz ehrlich: Das ist auch dringend nötig, wenn die Vision Orwells nicht vollends Wirklichkeit werden soll.

Personenbezogene Daten dürfen nur verarbeitet werden, wenn eine Rechtsgrundlage hierfür vorliegt. Manche Daten sind äußerst sensibel – beispielsweise erfordert die Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten nach Art. 9 DSGVO die Einhaltung hoher Hürden. Bei weniger sensiblen Daten ist es leichter, eine Verarbeitung zu rechtfertigen.

Der Sensibilitätsgrad der personenbezogenen Daten lässt sich auch anhand der Sphärentheorie belegen: Staatliche Eingriffe in die Sozialsphäre, also das nach außen getragene, öffentliche Leben einer Person, sind leichter zu begründen als Eingriffe in die Privatsphäre, bei der die Maßnahme ein besonderes Maß an Verhältnismäßigkeit wahren muss. In die Intimsphäre – die eigene Gedanken- und Gefühlswelt – darf zu keinem Zeitpunkt eingegriffen werden. Berufliche Kontaktdaten (Sozialsphäre) sind damit weniger sensibel als Gesundheitsdaten (Privatsphäre). Der Inhalt eines Tagebuchs wäre dagegen absolut tabu (Intimsphäre).

Ein Hoffnungsschimmer

Viele Eingriffe in das Recht auf Privatsphäre sind legitim, wenn sie sich auf die DSGVO und das BDSG stützen lassen. Mithilfe dieser beiden Datenschutzkodifizierungen werden zudem unzulässige Eingriffe in das Recht auf Privatsphäre verhindert oder sanktioniert. Der Datenschutz hat es demnach auch weiterhin in der Hand, die Grundrechte zu wahren – Aufzugeben ist keine Option! Auch im Digitalisierungszeitalter ist die Privatsphäre durch das Datenschutzrecht sicherzustellen.

Hier gilt es anzusetzen: Das Gros der Bevölkerung wird auch in hundert Jahren nicht verstehen, welchen Wert Datenschutz hat und ihn als rückständig oder nervig bezeichnen – deshalb bedarf es nicht nur umfassender Schulungen und Informationen, sondern auch eines auf Staat und Private gerichteten wachen Auges – sei es das der Aufsichtsbehörden, der Datenschutzbeauftragten oder auch Ihres!

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  • Hallo Frau Pettinger,

    Sie haben sehr schön dargelegt, wie sich diese Grundrechte aus dem deutschen GG herleiten lassen. Mir gefallen diese Herleitungen der deutschen Grundrechte auch sehr gut, um die Wichtigkeit und den Schutzgegenstand, z.B. vom Recht auf informationelle Selbstbestimmung, zu verstehen.

    Wenn ich damals in den Vorlesungen richtig aufgepasst habe, würden deutsche Grundrechte jedoch hinter europäischen Grundrechten zurücktreten, wenn das Unionsrecht das Grundrecht hinreichend umsetzt. Beispiel: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2(1) i.V.m. Art. 1(1) GG würde hinter Art. 8 GRCh zurücktreten.
    Ich glaube, das Beispiel war damals in der Vorlesung, dass das BVerfG zur Vorratsdatenspeicherung nicht das deutsche Grundrecht heranziehen durfte, sondern ein europäisches Grundrecht für die Abwägungen nehmen musste (oder so ähnlich).

    Art. 8 GRCh ist jedoch einfach da, ohne dass wir so eine schöne Begründung haben wie die Begründung vom Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil. Weiß irgendjemand, was die Maxime hinter Art. 8 GRCh ist?

    • Vielen Dank für diese interessante Frage. Das Zusammenspiel von Grundrechten im Mehrebenensystem ist ein spannendes und komplexes Themenfeld.
      Aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts kann es sein, dass dieses deutsche Grundrechte verdrängt. Denn das Unionsrecht muss sich grundsätzlich nur am Maßstab der Unionsgrundrechte messen lassen. Dies akzeptiert das Bundesverfassungsgericht, solange auf dieser Ebene ein ausreichendes Grundrechtsschutzniveau besteht (Solange II).

      Bei nationalen Normen, die aufgrund eines Umsetzungsspielraums im Unionsrecht erlassen worden sind, prüft das Bundesverfassungsgericht aber primär deutsche Grundrechte. Warum? Es wird vermutet, dass die Grundrechte der Charta durch das GG mit gewährleistet werden. (Ausführlicher können Sie diese Grundsätze z.B. in den kürzlich ergangenen Urteilen zum Recht auf Vergessen I und II nachlesen. Dort hat das BVerfG diese dogmatisch nochmal herausgearbeitet und prüft zum ersten Mal selbst die Grundrechte der Charta.)

      In den kommenden Jahren wird sich die Rechtwissenschaft noch häufiger mit der Frage nach der Maxime des Art. 8 GrCh beschäftigen. Kein Wunder angesichts der DSGVO, die noch heute die Gemüter zu erhitzen scheint. Manches ist noch ungeklärt, beispielsweise das Verhältnis zwischen Art. 7 und 8 GrCh. Dass Art. 8 GrCh kein Pendant in der EMRK hat, aber in Art. 16 AEUV in ähnlicher Hinsicht verankert ist, dürfte auch noch zu Diskussionen führen. In seinen Entscheidungen ist der EuGH leider weniger stringent als das Bundesverfassungsgericht. Es dürfte von dessen Seite in nächster Zeit wohl nicht zu einer Klärung kommen. In der Literatur findet man zu der Frage vereinzelt Aufsätze oder Dissertationen, insbesondere vor dem Hintergrund des neuen Datenschutzrechts. Diese werden laufend mehr.

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