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Bayerische Polizei nutzt DNA-Analyse Schlupfloch – Datenschutz? Ja mei!

Bayerische Polizei nutzt DNA-Analyse Schlupfloch – Datenschutz? Ja mei!

Bayern ist für seine Eigenheiten bekannt. Da verwundert es nicht, dass die Bayerische Polizei unlängst (legal) ganz neue, von der StPO verbotene Wege der Verbrechensaufklärung beschritt: Sie ließ die an einem Tatort aufgefundene DNA durch ein österreichisches Labor auf Haarfarbe und Herkunft des Verdächtigen analysieren. Was nach moderner Ermittlungsarbeit klingt, kann unvorhersehbare Folgen haben – auch für den Datenschutz!

Der Isar-Mord – Klarer Fall eines ungelösten Verbrechens

Wissen Sie wie polizeiliche Ermittlungen ablaufen? Auch wenn in US-amerikanischen Krimiserien zuerst geschossen wird, bevor man Fragen stellt: Hierzulande sieht die Realität anders aus. Denn deutsche Polizeibeamte essen weniger Donuts! Spaß beiseite – bei der Verbrechensaufklärung ist nun mal nicht alles erlaubt.

So sind beispielsweise der durchgängig hungrigen DNA-Datenkrake des Bundeskriminalamts namens DNA-Analyse-Datei gesetzliche Grenzen gesetzt, die deren Tentakel nicht überwinden dürfen. Es ist zwar möglich, an einem Tatort aufgefundene DNA-Spuren mit bereits beim BKA gespeicherten DNA-Mustern zu vergleichen, tiefergehende Analysen der DNA stoßen jedoch auf rechtlichen Widerstand. A geh, dachten sich wohl die bayerischen Ermittler und nutzten ein legales Schlupfloch, wie die Legal Tribune Online jüngst erläuterte.

Der traurige Anlass des polizeilichen Handelns

Fast sieben Jahre ist es her, da war ein Mann mit seiner Verlobten auf dem Radweg an der Isar in München unterwegs. Als die Frau plötzlich von einer am Fahrbahnrand stehenden Person angespuckt wurde, stellte der Mann den Spuckenden zur Rede. Der Unbekannte tötete das Opfer daraufhin mit mehreren Messerstichen.

Trotz umfangreicher Ermittlungsmaßnahmen konnte der Täter bis heute nicht gefasst werden. Insgesamt ging die Polizei mehr als 600 Hinweisen nach, über 15.000 Personen wurden vernommen, 5.700 gaben Speichelproben ab. Zusätzlich wurden die Daten von 64.000 Handys ausgewertet, die im Umfeld des Tatorts bei Funkmasten angemeldet waren. Überprüft wurden fast 7.500 Handybesitzer. Resultat? Nada.

Die Polizei stand vor einem Scherbenhaufen – aber einen letzten Trumpf hatte sie noch in der Hinterhand: eine am Tatort aufgefundene DNA-Spur, die anscheinend dem Täter zuzuordnen ist. Nur sollte auch diese Spur im Sande verlaufen, denn in der DNA-Analyse-Datei des BKA fand sich kein Vergleichsmuster.

Ein letzter Hoffnungsschimmer

Die Münchner Ermittler zeigten sich erfinderisch: Sie baten die Humangenetiker des Instituts für Gerichtliche Medizin der Universität Innsbruck um Hilfe, ganz im Sinne bayerisch-österreichischer Freundschaftsbeziehungen. Unser Nachbarstaat fackelte nicht lange und führte eine vertiefte DNA-Analyse durch. Das Ergebnis? Naja…

Der Täter war mit einer Wahrscheinlichkeit von 68,9 Prozent braunhaarig, zu 22,6 Prozent blond, zu 5,9 Prozent rothaarig und zu 2,6 Prozent hatte er schwarze Haare. Ah ja, wahnsinnig hilfreich. Spannender ist, was die Österreicher herausfanden, als sie die Y-Chromosomen untersuchten: Die Vorfahren des Täters väterlicherseits stammen aus dem Nordosten Europas, also aus dem Raum Nordukraine, Weißrussland und Russland. Bravo, dies trifft auf Millionen von Männern zu! Aus Sicht der bayerischen Ermittler: Basst scho, immerhin können die Forensiker (noch) kein Phantombild erstellen.

Wenn sich zwei streiten, freut sich die Polizei

Aus der DNA eines Menschen lässt sich dennoch viel herauslesen, neben der biogeographischen Herkunft auch das ungefähre Alter, das Geschlecht, Erbkrankheiten und – bis zu einem gewissen Grad – die sexuellen Vorlieben. Die Analyse der DNA auf diese und weitere Gesichtspunkte ist allerdings umstritten: Die Missbrauchsgefahr ist hoch, außerdem könnten Stigmatisierung und Racial Profiling drohen.

StPO: Das ist (zumindest teilweise) verboten!

Um die Eintrittswahrscheinlichkeit dieser Risiken zu verringern, aber gleichzeitig die Verbrechensaufklärung zu erhöhen, ordnet § 81e Abs. 1 StPO folgendes an:

„An dem durch Maßnahmen nach § 81a Absatz 1 oder § 81c erlangten Material dürfen mittels molekulargenetischer Untersuchung das DNA-Identifizierungsmuster, die Abstammung und das Geschlecht der Person festgestellt und diese Feststellungen mit Vergleichsmaterial abgeglichen werden, soweit dies zur Erforschung des Sachverhalts erforderlich ist. Andere Feststellungen dürfen nicht erfolgen; hierauf gerichtete Untersuchungen sind unzulässig.“

Man könnte meinen, damit sei alles gesagt, auf Herkunft und Alter dürfe die DNA nicht untersucht werden. Doch wer im Jurastudium gut aufgepasst hat, der weiß, eine Norm sollte immer zu Ende gelesen werden. So heißt es in § 81e Abs. 2 StPO:

„Nach Absatz 1 zulässige Untersuchungen dürfen auch an aufgefundenem, sichergestelltem oder beschlagnahmtem Material durchgeführt werden. Ist unbekannt, von welcher Person das Spurenmaterial stammt, dürfen zusätzlich Feststellungen über die Augen-, Haar- und Hautfarbe sowie das Alter der Person getroffen werden…“

Die Untersuchung auf die Haarfarbe (nicht aber auf die auf die Herkunft!) ist aktuell mit der Strafprozessordnung vereinbar. Doch Obacht! § 81e Abs. 1 S. 2 StPO wurde erst durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens eingefügt, in Kraft getreten ist die Norm zum 13. Dezember 2019. Und wann hat die Münchner Polizei die DNA den Österreichern zur Analyse überlassen? Laut Pressemitteilung der Polizei München begann die Untersuchung am Institut für Gerichtliche Medizin in Innsbruck bereits Mitte 2019. Wie das sein kann? Nun, die bayerische Rechtslage sieht etwas anders aus.

BayPAG: A so a Schmarrn!

Die Bayerische Polizei hat eine Doppelrolle: Zum einen wird sie repressiv, also in der Strafverfolgung tätig. Zum anderen hat sie sich um die Gefahrenabwehr zu kümmern, handelt also auch präventiv. Von der jeweiligen Rolle, in der sie auftritt, hängt ab, auf welche Rechtsgrundlagen sie sich berufen kann. Bei repressivem Handeln gilt die StPO, bei präventivem das BayPAG (Polizeiaufgabengesetz).

So weit, so gut. Sicherlich können Sie sich nun denken, welchen legalen „Trick“ die Bayerische Polizei angewandt hat. Richtig! Die Münchner Polizei argumentierte, sich präventiv zu betätigen. Dies kommt ihr gelegen, da Art. 32 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 des BayPAG die DNA-Analyse im Hinblick auf die Haarfarbe und die Herkunft erlaubt:

„Die Polizei kann personenbezogene Daten über die in Art. 7, 8 und 10 genannten Personen und über andere Personen erheben, wenn dies erforderlich ist

  1. zur Gefahrenabwehr (Art. 2 Abs. 1), insbesondere
  2. a) zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten sowie
  3. b) zu Zwecken des Personenschutzes, soweit sich die diesbezügliche Gefahrenabwehr auf ein in Art. 11 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 bis 3 oder Nr. 5 genanntes bedeutendes Rechtsgut bezieht, …

und die Art. 11 bis 65 die Befugnisse der Polizei nicht besonders regeln. Im Fall des Satzes 1 Nr. 1 kann die Datenerhebung durch die molekulargenetische Untersuchung aufgefundenen Spurenmaterials unbekannter Herkunft zum Zwecke der Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters, des Geschlechts, der Augen-, Haar- und Hautfarbe, des biologischen Alters und der biogeographischen Herkunft des Spurenverursachers erfolgen, wenn die Abwehr der Gefahr auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.“

Aus Sicht der Münchner Ermittler bestehe die Gefahr erneuter Straftaten, da der Täter ausgesprochen aggressiv und aus nichtigem Anlass sehr brutal gehandelt habe. Wie wir bereits festgestellt haben, ist die Ermittlungssituation festgefahren, sodass die Gefahr auch nicht anderweitig abgewehrt werden kann. Stellt sich allein die Frage, wie akut eine derartige Gefahr erneuter Straftaten ist, wenn die Tat bereits mehr als sieben Jahre zurückliegt und die Täter-DNA seither an keinem Tatort mehr aufgetaucht ist.

Des Rätsels Lösung?

Nachdem Bayern mit ihrer Initiative, die Herkunftsanalyse auch strafprozessrechtlich zu erlauben, vor dem Bundesrat gescheitert ist, versucht man es also durch die Hintertür. Ganz schön unverschämt, nicht wahr?

Das Problem liegt darin, dass das polizeiliche Tätigwerden in diesem Fall ersichtlich beiden Rollen (als doppelfunktionale Maßnahme) zugeordnet werden kann. Ja zefix, wie löst man nun dieses Dilemma?

Einigkeit besteht darin, dass ein flexibles Hin- und Herschwingen zwischen StPO und PAG, je nachdem, je nachdem, wo man sich die besten Rosinen herauspicken kann, nicht stattfinden darf. Der Staatsanwaltschaft würde ansonsten nach Belieben der Polizei die (repressive) Verfahrensherrschaft entzogen.

Es kommt auf den Schwerpunkt an

Die naheliegende Lösung bestünde darin, die seitens der Polizei durchgeführte Maßnahme daraufhin zu überprüfen, ob der Schwerpunkt in der Strafverfolgung oder in der Gefahrenabwehr lag.

Nach dem DNA-Abgleich mit dem BKA steht fest, dass der Täter vor dem Isarmord keine Straftaten begangen oder dabei zumindest keine DNA hinterlassen hat. Seit über sieben Jahren ist seine DNA auch an keinem anderen Tatort mehr aufgefunden worden. Um einen Serientäter scheint es sich daher wohl nicht zu handeln. Ist es da nicht merkwürdig, dass sich die Münchner Polizei, um ihr gefahrenabwehrrechtliches Handeln zu rechtfertigen, auf mögliche weitere, künftige Straftaten beruft?

Wer jemanden schnappen will, um ihn der Strafverfolgung zuzuführen, der möchte diesen in der Regel auch „aus dem Verkehr ziehen“, um andere vor dem Täter zu schützen. Der Schwerpunkt der DNA-Analyse dürfte vorliegend jedoch darin gelegen haben, den Täter aufzufinden und ihn vor Gericht zu stellen – insbesondere, weil die Rechtfertigung der Gefahrenabwehr doch etwas dürftig klingt.

Folgt man der Schwerpunkttheorie, hätte sich die Münchner Polizei damit auf die StPO berufen müssen, sodass eine Herkunftsanalyse gar nicht zulässig gewesen wäre.

… oder auch nicht laut BGH

Die Bayerische Polizei orientierte sich allerdings an der Rechtsprechung des BGH aus dem Jahr 2017, wonach die Auswahl der Rechtsgrundlage erst dann als rechtsmissbräuchlich anzusehen sei, wenn das Gefahrenabwehrrecht zur Legitimierung einer in Wahrheit bezweckten Strafverfolgungsmaßnahme nur vorgeschoben würde, weil die Polizei in Wirklichkeit überhaupt keine Gefahr abwehren wolle.

Da DNA-Analysen und viele weitere polizeiliche Maßnahmen bei unbekannten Tatverdächtigen in den meisten Fällen sowohl aus repressiven, als auch aus präventiven Gründen durchgeführt werden, kann der Polizei so gut wie nie vorgehalten werden, sie wolle in Wirklichkeit gar keine Gefahr abwehren. Die Rechtsprechung des BGH erteilt der Bayerischen Polizei damit mehr oder weniger einen Freifahrtschein! Was für eine Watschn…

Schleich di, Datenschutz

Das hier wäre kein Datenschutz-Blog, wenn nicht spätestens jetzt datenschutzrechtliche Hinweise auf Sie warten würden. Die DNA ist wohl das heiligste Datum – sie ist einzigartig, unabänderlich und äußerst profitabel. Zudem zeigt sie sich aussagekräftig: Dringen Informationen zu Erbkrankheiten oder zu sexuellen Vorlieben nach außen, kann dies schwere Folgen haben. Aufgrund unserer Vergangenheit dürften zudem beim ein oder anderen die Alarmglocken klingeln, wenn Schlagwörter wie ethnische Zugehörigkeit und repressive Polizeimaßnahmen in einem Atemzug fallen. Denn darum geht es auch bei der durchaus fehleranfälligen biogeografischen Herkunftsanalyse. Diejenigen, die meinen, das sei aber nun schon ewig her und würde heute sicherlich nicht passieren, lässt das Heilbronner Phantom herzlich grüßen!

Nicht ohne Grund werden genetische Daten, Gesundheitsdaten, Daten zum Sexualleben bzw. der sexuellen Orientierung, aber auch Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft hervorgeht, durch Art. 9 Abs. 1 DSGVO  (respektive Artikel 10 JI-Richtlinie) besonders geschützt.

Vorweg: Der Datenschutz zielt nicht darauf ab, Täter zu schützen! Effektive Strafverfolgung und Gefahrenabwehr sind wichtig. Dabei sollten die Konsequenzen für den Betroffenen – der ja noch nicht schuldig gesprochen wurde – aber nicht unbeachtet bleiben. Denn: Ist der erste Schritt getan, dauert es nicht lange und die nächsten schwerwiegenderen Schritte folgen.

O’zapt is er, der Datenstrom

Der BGH hat dem deutschen Strafprozessrecht keinen Gefallen getan! Nicht abzusehen ist, welche Schlupflöcher noch gebuddelt werden, um gefahrenabwehrrechtlich das durchzusetzen, was strafprozessrechtlich verboten ist. Bis diesem Vorgehen ein Riegel vorgeschoben wird, fließen noch viele sensible Informationen den Datenstrom hinunter. Na dann, Prost Mahlzeit!

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  • Ich bin der Meinung das der DS dort an seine Grenzen kommt, wenn er die Aufklärung einer Straftat behindert! Z. B. wenn die Polizei nicht auf die Krankenakte eines Mannes zugreifen darf, der ev. Krankheitsbedingt mit seinem SUV Menschen totfährt. Die Aufkärung einer Tat durch die Polizei muss immer Vorrang vor dem Schutzbedürfnis des Einzelnen haben. Die Opfer bzw Hinterbliebenen haben mit Sicherheit keinerlei Verständnis, wenn aus DS Gründen die Tat nicht aufgeklärt werden kann.

  • Der Datenschutz ist ja nichts anderes als Täterschutz. Warum sollte man aus der DNA nicht auch die biogeographische Herkunft auswerten können?

    • Weil es schlichtweg vom Gesetz nicht erlaubt wird?! Es ist Betroffenenschutz. Der ist mit Täterschutz nicht zu verwechseln. Dazwischen liegt ein Menschenrecht. Nämlich die Unschuldsvermutung. Diese gilt bis das Gericht eine Täterschaft nachprüfbar festgestellt hat.

  • Die Meinung der Autorin kann man in vielen Punkten nicht teilen und zwar aus folgenden Gründen.

    Erstens sind die datenschutzrechtlichen Einschränkungen zum DNA-basierten Identitätsnachweis im internationalen Vergleich in D besonders streng ausgelegt. Diese behindern eine beschleunigte Verbrechensaufklärung, die aus meiner Sicht höher wiegen sollte, als die Persönlichkeitsrechte von Straftätern, die mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Taten begehen könnten. Schließlich sprechen wir auch nicht von Persönlichkeitsrechten Kleinkrimineller, sondern über Tatverdächtige von schweren Gewaltverbrechen.

    Zweitens würde eine erweiterte DNA-Analyse i.d.R. anhand von Proben wie Blut oder Sperma vom Tatort erfolgen, selten an Haaren, Hautabschuppungen oder anderen zellulären Bestandteilen am Tatort, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch von Unbeteiligten stammen könnten. Die jeweiligen Proben können heutzutage relativ genau datiert werden, so dass Forensiker mittlerweile zuverlässig alte von frischen Proben unterscheiden können. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit stammen qualitativ hochwertige und gut datierte Blut- oder Spermaproben am Opfer selbst oder dessen Kleidung, bzw. Hautabschürfungen unter den Fingernägeln tatsächlich vom Täter und keinem Unbeteiligten, der sich zufällig mal am Tatort aufgehalten haben könnte oder sich in der Vergangenheit mit dem Opfer in Kontakt befand. Anders als bei einer Probenentnahme eines bekannten Tatverdächtigen bspw. im Rahmen eines Verhörs, ist in dem geschilderten Fall (eindeutige Spur am Tatort) fraglich, warum die Auswertung des Erbguts eines bisher „anonymen Täters“ einen unzumutbaren Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht darstellen sollte.

    Drittens wurden die Ergebnisse der Identitätsmerkmale des geschilderten Falls viel zu negativ dargestellt. Zumindest im Falle von DNA-Proben, die gewissen Qualitätsstandards genügen, lassen sich neben weniger exakten Aussagen zu Merkmalen wie Haut-, Augen- oder Haarfarbe bzw. die ethnische / biogeographische Herkunft andere Merkmale mit wesentlich höherer Treffsicherheit ableiten, insbesondere das Alter oder ggf. genetische Erkrankungen. Letztere wären aus datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten eher problematisch, jedoch kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen, wie die Persönlichkeitsrechte einen Tatverdächtigen durch die Eingrenzung von Alter, Haut-, Augen- und Haarfarbe tangiert wären. Sollte das der Fall sein, wären selbst Täterbeschreibungen durch Zeugen oder Auswertungen von Überwachungskameras problematisch. Die molekularbiolog. Bestimmung der ungefähren Alters über Telomerlängen etc. sind mittlerweile wesentlich exakter als bspw. vage Zeugenaussagen aus flüchtigen Begegnungen.

    Viertens: Das Rassismus-Argument zum Thema ethnische Herkunft halte ich ebenfalls für kaum nachvollziehbar, da der DNA-Identitätsnachweis nicht ausschließlich zur Täterfeststellung, sondern u.a. zum Ausschluss von unschuldigen Tatverdächtigen dient. Ein bekannter Fall war der von Marianne V. im Jahre 1999 in den Niederlanden. Das 16-jährige Mädchen war damals in der Nähe eines Asylbewerberheims in Nordholland vergewaltigt und ermordet worden und prompt gerieten drei Asylbewerber unter Verdacht. Durch die konsequente Anwendung der erweiterten DNA-Analyse in 2012 konnte die Gruppe der Tatverdächtigen eingegrenzt und die ursprünglich in Verdacht geratenen Asylbewerber entlastet werden. Schließlich konnte ein einheimischer Bauer aufgrund der durch die erweitere DNA-Analyse festgestellten Merkmale festgenommen, durch weitere Beweise überführt und rechtskräftig verurteilt werden.

    zeit.de/news/2019-02/18/dna-analyse-30-das-taeterprofil-aus-dem-dna-labor-190218-99-29106

    Dieser Fall aus den Niederlanden belegt eindrucksvoll, dass es keineswegs darum geht, Fremde mithilfe dieser modernen forensischen Methoden zu stigmatisieren. „Racial Profiling“ ist ein sehr negativ belegter Begriff, macht aber tatsächlich immer dann Sinn, wenn phänotypische Merkmale bekannt sind, die relativ sicher zugeordnet werden können. Auch hier gilt das gleiche Argument bei Täterbeschreibungen aus Zeugenaussagen oder Video-/Bildmaterial: Warum sollten Hinweise auf eine Herkunft / ethische Zugehörigkeit aus der erweiterten DNA-Analyse verboten sein, wenn die aus Zeugenaussagen bzw. Video-/Bildmaterial verwendet werden dürfen? Das ergibt keinen Sinn. Auch das Argument „Bravo, dies trifft auf Millionen von Männern zu!“ berücksichtigt nicht, dass die Erkenntnisse in dem genannten Fall viele mögliche Tatverdächtige ausschließen würde, was viel wichtiger wäre. Auch Zeugenaussagen zum Aussehen, Dialekt / Sprache, besondere Kleidungsgegenstände oder anderen Merkmalen, die Rückschlüsse auf die Herkunft bzw. Ethnie zulassen würden, müssten dann mit dem Totschlagsargument „Racial Profiling““ ignoriert werden.

    Fünftens ist das Argument zur Einschätzung des zukünftigen Gefahrenpotentials, das von einem Gewalttäter ausgeht, äußerst schwach. Für den geschilderten Fall ist es nun mal leichter, dies rückblickend zu beurteilen. Wenn seit 7 Jahren keine Täter-DNA mehr nachgewiesen werden konnte, dann deutet das doch eher darauf hin, dass sich der Täter bereits vor langer Zeit, möglicherweise direkt nach der Tat, ins Ausland abgesetzt hat. Jeder beruflich und familiär ungebundene Täter mit gesundem Menschenverstand hätte wohl diese Maßnahme ergriffen. Die Tatsache, dass kein Genmaterial mehr in Deutschland mit einer weiteren Gewalttat assoziiert werden konnte, ist lange kein Beweis, dass der Täter keine Tat mehr begangen haben könnte und somit kein Gefahrenpotential mehr von ihm ausgeht.

    Unbestritten ist DNA eine besondere Substanz, für die auch besondere Regelungen gelten sollten. Mir als Molekularbiologe leuchtete aber nicht ein, warum bei der forensischen Anwendung des „genetischen Fingerabdrucks“ wesentlich höhere rechtliche Hürden auferlegt werden als bei anderen Methoden zur forensischen Beweissicherung, die auf einen Täter schließen lassen. Ich würde sogar noch weiter gehen: In Zukunft wird es technisch möglich sein, eine Analyse anonymer genetischer Daten aus Abwasser durchzuführen, um bei Straftaten den Aufenthaltsort eines Tatverdächtigen einzugrenzen, aber hier ist auch der Gegenwind der Datenschützer zu erwarten. Deutschland wird sich eine Zeit lang gegen die Anwendungen dieser technischen Entwicklungen stemmen können, aber schlussendlich werden sie sich früher oder später auch hierzulande durchsetzen.

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